Meist weiß man den Wert einer Sache erst richtig zu schätzen, wenn diese fast verloren scheint. So erinnerten kürzlich die Feuilletons an den Einsturz des Kölner Stadt-Archivs vor zehn Jahren, der einer breiten Öffentlichkeit die Bedeutung dieser Institution und somit von Archiven überhaupt ins Bewusstsein rief. Trotz der Verluste kann heute konstatiert werden, dass dieses Unglück zu besseren Konservierungsverfahren, einer größeren Transparenz und vor allem einer gestiegenen Wertschätzung geführt hat.
Die materiellen Hinterlassenschaften der Deutschen in Rumänien, z. B. die sächsischen Kirchenburgen in Siebenbürgen, erfreuen sich mittlerweile der Aufmerksamkeit weiter Bevölkerungskreise, nicht nur in Rumänien, sondern in ganz Europa. Aber wie steht es mit den immateriellen Gütern? Die Bedeutung der „Nachbarschaften“ oder der besonderen Ausprägung der evangelischen Konfession lässt sich nicht ohne Weiteres aus baulichen Überresten oder einer buntbemalten Bauerntruhe ablesen.
Michaela Nowotnick hat – angeregt durch ihr Projekt zur archivalischen Sicherung von in Privatbesitz befindlichen Vor- und Nachlässen deutscher Literatur – die Aufgabe übernommen, in gleich zwei Bänden der „Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas“ („Archive in Rumänien“ I, Heft 1/2018, Jg. 13 (67) und „Archive in Rumänien“ II, Heft 2/2018, Jg. 13 (67), Verlag Friedrich Pustet, Regensburg) den Lesern einen Eindruck von den vielfältigen geistigen Hinterlassenschaften deutschen und deutsch-jüdischen Kulturgutes in rumänischen Archiven, aber nicht nur, zu vermitteln. Trotz der Fülle der Beiträge bekennt sie, dass es sich dabei zunächst um eine „erste Bestandsaufnahme…, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann“ (S. 9), handelt.
Während der erste Band seinen Schwerpunkt auf die Archive in Siebenbürgen und damit auf die Siebenbürger Sachsen legt, werden im zweiten Band Archive mit Bezug auf die Banater Schwaben, die Bergland-Deutschen, die Zipser, die Sathmarer-Schwaben und die Dobrudscha-Deutschen vorgestellt. Zumeist handelt es sich hierbei um die Kreisdienststellen des rumänischen Nationalarchivs, aber auch andere Institutionen und Formen des Kulturerbes werden berücksichtigt. So berichtet Sigrid Haldenwang in Band I über die seit hundert Jahren währende Arbeit am Mammutwerk des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs (SSWB), das den Dialekten und Mundarten gewidmet ist. In Band II referiert Mihaela Șandor dann folgerichtig über das jüngste Forschungsprojekt zum Wörterbuch der Banater deutschen Mundarten. Beide Projekte sind aufgrund fehlender Mittel und vor allem fehlenden Personals gefährdet.
Bei der Präsentation der Archive und Institutionen spielt die oft wechselvolle Geschichte der Archive selbst – Verluste durch Kriege, Umlagerungen, aber auch politische Umwälzungen und Besitzerwechsel, die den Zustand der Archivalien und vor allem ihre Auffindbarkeit stark beeinflussten – eine bedeutende Rolle. Aber auch die andere Seite, die des Forschers, rückt in den Fokus, um eine bestimmte Herangehensweise im Umgang mit Archiven bzw. ihren Beständen zu erläutern. In manchen Archiven sind die Findbücher (das sind die Kataloge, die die Bestände auflisten) nicht auf dem aktuellsten Stand, geben keine genauen Hinweise auf den Inhalt des Aktenkonvoluts und sind nicht online abrufbar. Damit, dass die meisten Findmittel nur auf Rumänisch vorliegen, muss gerechnet werden. Der Forscher muss sich also auf kostspielige Reisen und unter Umständen mehrwöchige Aufenthalte vor Ort einstellen. Zumindest hat sich die Zugänglichkeit in den letzten Jahren stark verbessert, und durch die Bank werden die Archivbediensteten als hilfreich beschrieben.
Archive in Rumänien I
Die umfangreichsten und ältesten Archivbestände zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen befinden sich in der Kreisdienststelle Hermannstadt, deren Archivgeschichte bis in das Jahr 1476 zurückreicht, wie András Bándi erläutert. Die frühesten Bestände des Stadtarchivs stammen bereits aus dem 13. Jahrhundert, Urkunden, Akten bzw. Abschriften zum Siebenbürgischen Landtag, aber auch die frühesten Dokumente der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien – auch aus vorreformatorischer Zeit – lagern in diesem Archiv. Ebenso Urkunden und Handschriften aus dem Bestand des Brukenthal-Museums. Aufgrund von Enteignungen seit den 1930er Jahren gehören viele kirchliche Akten nicht mehr der Institution Kirche. Nach der Wende 1989/90 konnte die Evangelische Kirche jedoch laut Bándi Pfarrarchive aus den zum Teil verwaisten Gemeinden in dem neugegründeten ZAEKR, dem Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien, in Hermannstadt zusammenführen, sodass hier Akten vom 16. bis zum 21. Jahrhundert archiviert sind. Ebenso beherbergt dieses Archiv heute Nachlässe von deutschsprachigen Schriftstellern, u. a. von unserem jüngst verstorbenen Kollegen Hans Liebhardt, die Transylvanica-Bibliothek, über die Wolfgang H. Rehner berichtet, und die Schulbuchsammlung Friedrich Philippi, die er persönlich vorstellt.
Das Kronstädter Kreisarchiv blickt auf eine ähnlich bewegte und weit zurückreichende Geschichte, die hier von Bogdan-Florin Popovici präsentiert wird. Parallel hierzu verblieb ein großer Teil der kirchlichen Archivbestände in der Obhut der Honterusgemeinde. Thomas Șindilariu, seit 2004 Leiter des Archivs und der Bibliothek der Honterusgemeinde, gelang es mit Hilfe von Projekten, die Bestände weitestgehend konservatorisch zu sichern, neu zu ordnen und zu digitalisieren, sodass auf die meisten Akten und Findbücher heute online sogar auf Deutsch zugegriffen werden kann. Somit ist das Archiv der Honterusgemeinde heute laut Selbstauskunft eines der modernsten Archive Rumäniens, dessen Angebote zunehmend genutzt werden.
Nicht zu vergessen sind an dieser Stelle jedoch auch die Kreisdienststellen von Klausenburg mit ihren bedeutenden Beständen nicht nur zur Geschichte der Stadt selbst, den aus dem 14. Jahrhundert stammenden Privilegien, die heute allesamt online eingesehen werden können, sondern auch von Bistriz, Sathmar, Broos oder Schäßburg, um nur einige zu nennen, die Livia Ardelean hier detailliert auflistet. Akten des evangelischen Pfarramtes von Schäßburg finden sich auch in der nicht so leicht zugänglichen Kreisdienststelle in Târgu Mureș, die laut Peter Moldovan auch aus jüngeren Zeiten „Bestände polizeilicher Unterlagen“ aufweist. Diese Dokumente zeugen „vom grausamen Schicksal der Deutschen während und nach dem Zweiten Weltkrieg“ (S.58.). Auch Zeugnisse über die Deutsche Volksgruppe, die rumäniendeutsche Organisationsform während der Nazizeit, finden sich in mehreren Archiven, u. a. in Akten aus Mühlbach, die in der Kreisdienststelle Karlsburg/Alba Julia aufbewahrt werden. Für diese Stelle verzeichnet Popa die Bestände mit deutschem Bezug, u. a. über evangelische Frauenvereine, Nachbarschaften oder Zunft-Unterlagen. Ablauf und Zielsetzung eines zukunftsweisenden Projekts des Münchner Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS), „Saxonica. Ein virtuelles Archiv zur Alltagsgeschichte der Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert“, präsentiert Corneliu Pintilescu, auf dessen Umsetzung sicher so mancher gespannt sein wird.
Zu den Hinterlassenschaften jüdischen Lebens in Siebenbürgen und der Bukowina stellt Julie Dawson ein Projekt des Leo-Baeck-Institutes vor. Auch hier handelt es sich um einen ersten Überblick, in welchen staatlichen Archiven – neben denen der jüdischen Gemeinden und den Institutionen in Bukarest – relevantes Material gelagert wird. Neben Hermannstadt, Kronstadt und Suceava lagern auch z. B. in Târgu Mureș Akten, in denen sich unter der Rubrik „Verschiedenes“ zahlreiche Dokumente über Deportationen nach Auschwitz verbargen. Zu „den Spuren des jiddischen Theaters in Rumänien“ liefert Corina L. Petrescu einen „Archivbericht“, wobei sie sich auf das Material in staatlichen und nichtstaatlichen Archiven in Bukarest und Sammlungen in Deutschland und Israel beschränkt.
Aus dem weiteren Inhalt des ersten Bandes seien an dieser Stelle nur einige Titel kurz erwähnt.
Aus der Rubrik Rezensionen die Quellensammlung von Annemarie Weber und Hannelore Baier zu „Die Deutschen in Rumänien 1944–1953“. Hannelore Baier liefert im Feuilleton auch den Nachruf auf den langjährigen ADZ-Journalisten Hans Liebhardt. Neben diesem Nachruf gilt es, etlicher Jubilare zu gedenken, die Wesentliches für das rumäniendeutsche Kulturleben geleistet haben, so des Chefredakteurs der Kronstädter „Karpatenrundschau“ Hannes Schuster (80), der Dichterin Ilse Hehn (75) – zu ihrem Lyrikband „Sandhimmel“ gibt es auch eine Besprechung von Katharina Kilzer –, des langjährigen Leiters des IKGS, Stefan Sienerth (70), dessen Lebenswerk von Joachim Wittstock gewürdigt wird, der vor allem für ihre Kinderbücher bekannten Autorin Karin Gündisch (70) und zu guter Letzt des vielseitigen Mitglieds der Aktionsgruppe Banat, Anton Sterbling (65). Um auch der jüngeren Generation gerecht zu werden, sei hier das Porträt der siebenbürgischen Dramatikerin Elise Wilk „Von grünen Katzen und glitzernden Meteoriten“ von Christine Chiriac erwähnt. Wilks Stücke sind mittlerweile in mehrere Sprachen übersetzt und feiern sowohl in Rumänien als auch international große Erfolge.
Aus der „Literatur“ sei hier nur auf den durch seine Übersetzungen und Vermittlung rumänischer Literatur bekannten Dichter und Herausgeber Roland Erb verwiesen, der erstmals über seine „Annäherung an die rumänische Literatur“ berichtet. Ein Bezug zu deutsch-jüdischem Kulturleben wird im Literaturteil von Yvonne Livay, die auch die Illustrationen zu diesem Band lieferte, hergestellt: „Lyris. Ein deutschsprachiger Dichterzirkel in Jerusalem“.
(Fortsetzung folgt)