Im Eigenverlag Bensberg ist im Sommer 2018 ein beachtenswertes Buch des in Hermannstadt geborenen Germanisten und Lehrers Wilfried Bielz erschienen. Der Autor der Memoiren bezieht in seine Darstellung mit ein, was andere erfahren haben und weitet das Blickfeld so aus, dass Schicksale von Mitmenschen aus drei Ländern dem Leser nahegebracht werden, betont Hansgeorg von Killyen im Vorwort. Die Porträts, die der Autor von seinen Mitmenschen zeichnet, sind einfühlsam und überzeugend. Äußerste Sensibilität in Sprache und Stil werden dem Autor Bielz attestiert. Spannende Inhalte gekoppelt mit viel Witz und manch einer Anekdote machen die besondere Ausstrahlung des Geschriebenen aus.
Gemeinsamkeiten veredeln den Menschen. Johann Wolfgang Goethe hat über sein Leben geschrieben und nannte sein Buch „Dichtung und Wahrheit“. Wo die Erinnerung nicht weiterhelfen konnte, sprang die Dichtung ein. Die Methode machte Schule. Der bekannte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki betitelte seine im 20. Jahrhundert erschienenen Memoiren schlicht mit „Mein Leben“. Beide, Goethe und Reich-Ranicki, haben etwas Gemeinsames. Sie schreiben nicht nur über sich, über ihr Leben, nein, sie nutzen die Gelegenheit, ein vielschichtiges Panorama ihrer Zeit zu liefern. In diese Tradition des sich Erinnerns fügt sich das Buch des in Siebenbürgen geborenen Autors Wilfried Bielz „Unterwegs durch die Jahre“.
Vorsichtig, fast selbstironisch, wird dem Buch ein Gebet der spanischen Karmeliterin und Mystikerin Teresa von Avila aus dem 16. Jahrhundert vorangestellt. Darin heißt es: „Bewahre mich vor der Einbildung, / bei jeder Gelegenheit / Zu jedem Thema etwas sagen zu müssen! / Bewahre mich vor der Aufzählung / endloser Einzelheiten / und verleihe mir Schwingen, / zur Pointe zu gelangen!“
Das Buch von Bielz wird in acht Kapitel eingeteilt, die die Zeitspanne von 1933, dem Geburtsjahr des Autors, bis in die Gegenwart abdecken und die großen Wegetappen seines Lebens verfolgen. Wilfried Bielz wurde in Hermannstadt geboren, in einer Zeit, in der „Führung und Verführung“ für die Eltern zunächst schwer zu unterscheiden war.
Die strenge Chronologie wird immer wieder durchbrochen, was einerseits zu einer Auflockerung des Textes führt, andererseits dem Erzählten eine zusätzliche objektive Dimension verleiht. Die Sicht eines anderen ergänzt die eigene Sicht des Autors und es wird dadurch öfters eine Rückblende in die Zeit erzielt. So geschehen mit dem Original-Bericht des Großvaters als Interpolation oder später der Bericht der Mutter über die schweren Jahre vor und nach dem Zweiten Krieg. Es sind persönliche Schicksale, die sich in die bekannten geschichtlichen Abläufe einfügen und die trockene Historie dadurch lebendig machen.
Der eigene Lebenslauf von Wilfried Bielz wird durchkreuzt und begleitet von bedeutenden Persönlichkeiten; ihnen wird im Buch jeweils ein Denkmal gesetzt, so dem Puppenspieler Walter Hatzack, der sowohl in Hermannstadt, wie auch in Mühlbach mehreren Kindergenerationen den Kasperle unvergesslich machte.
Als Seminarist an der Schäßburger Bergschule begegnet Bielz dem berühmten Musikpädagogen Ernst Irtel, dem er lebenslange Begeisterung und Verständnis für die Musik verdankt. Dem Musiker Irtel wird ein längeres Porträt gewidmet, das sicherlich vielen, die ihn gekannt haben, große Freude bereiten wird; der jüngeren Generation wird ein Pädagoge nähergebracht, der Musiker und Musikliebhaber ganz Siebenbürgens geprägt hat.
Während seines Germanistikstudiums in Bukarest, beginnend mit dem Studienjahr 1953/1954, eröffnet sich dem Siebenbürger Sachsen Bielz, dessen Lebensstationen Hermannstadt, dann Schäßburg, anschließend Haschagen waren, eine komplett neue Welt.
Parallel zur offiziellen kommunistischen Politik des Landes konnte sich in Bukarest eine Kultur, basierend auf Werten des kompromisslosen Humanismus, weiter etablieren. Hochschullehrer waren die Träger und Wegweiser dieser gefährlichen Gratwanderung.
Durch die detaillierte Beschreibung seiner Studienjahre (1953 - 1958) gelingt Bielz etwas Einmaliges. Es werden die wichtigsten seiner Lehrmeister erwähnt und porträtiert, es sind Wissenschaftler, die maßgebend die Germanistik in Rumänien weitergeführt und geprägt haben. Sie sind die Autoren und Schrittmacher der Textsammlungen zur Deutschen Sprach- und Literaturgeschichte und der Lehrbücher für den gymnasialen Deutschunterricht bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts in Rumänien. Hier seien nur einige wenige erwähnt, wie der Lehrstuhlinhaber Jean Livescu, der in Berlin studiert hat und Vorlesungen über die deutsche Klassik hielt, die Linguistin Grete Klaster-Ungureanu, die zeitlebens am Deutsch-Rumänischen Wörterbuch mitgearbeitet hat, und nicht zuletzt Sevilla Baer-R˛ducanu, die bekannte Mediävistin.
Beim berühmten rumänischen Literaturkritiker Tudor Vianu hat der junge Bielz Vorlesungen über Weltliteratur gehört. Unvergessen in seiner Erinnerung ist die moderne Interpretation des weltberühmten Cervantes-Romans „Don Quijotte“, die Vianu seinen staunenden Studenten darbot.
Ein gelungener Einschub ist die Erwähnung des Dichters Paul Celan, der einige Jahre in Bukarest verbrachte, bevor er, ausgestattet mit einer Empfehlung von Alfred Margul-Sperber, die Reise nach Wien und später Paris antrat.
Die weiteren Stationen dieses an Ereignissen und Begegnungen äußerst reichen Lebens werden in den nächsten Kapiteln „Wie ich ein Kronstädter wurde“ und der Neuanfang „in Deutschland“ beschrieben.
Dabei vergisst der Autor nie die Mahnung der Mystikerin Teresa von Avila: „Lehre mich an anderen Menschen / unerwartete Talente zu entdecken, / und verleihe mir, O Herr, / die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen.“
Nicht vergessen soll hier das Wirken von Wilfried Bielz als Lehrer an dem traditionsreichen Honterusgymnasium (zeitweise auch im Șaguna-Lyzeum untergebracht) in Kronstadt sein, wo er von 1958 bis 1974 vielen Schülergenerationen die deutsche Sprache und Literatur nähergebracht und sie dadurch geprägt und vorbereitet hat für ein späteres intellektuelles Wirken.
Das letzte Kapitel seiner Erinnerungen ist einem exotischen Abschnitt seines Lehrerdaseins gewidmet. Wilfried Bielz ging ehrenamtlich nach Russland und hat dort zehn Jahre lang, bis zu drei Monate jährlich, gewirkt. Er fasste den Entschluss, sich für den Deutschunterricht in Russland zu engagieren.
„Unterwegs durch die Jahre“ - ein empfehlenswertes Buch, dessen Lektüre dem Leser die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren Problemen aber auch angenehmen Seiten anhand von Einzelschicksalen nahebringt.
Aus Sicht des Autors Wilfried Bielz ist es ein Buch der Dankbarkeit. Dankbarkeit gegenüber den Menschen, die dem Autor während eines langen Lebens begegnet sind, ihn geformt haben, mit ihm gelitten und geliebt haben.
Das Buch kann in Rumänien bei Herrn Dorin Stoica (Tel. 0736-040.031; E-Mail: dorin52st@gmail.com zum Preis von 49 Lei bestellt und gekauft werden.