Um den Titel des ersten Spielfilms der jungen rumänischen Regisseurin Cristina Iacob zu verstehen, muss man mit dem englischen Wort des Jahres 2013 und seiner Bedeutung vertraut sein. Ein „Selfie“ ist ein fotografisches Porträt, das eine Person (oftmals in Begleitung weiterer Personen) mit einem Handy, einem Smartphone oder einer Digitalkamera von sich selbst aufnimmt, indem sie das fotografische Objektiv des jeweiligen Geräts in einer Armeslänge Entfernung auf sich richtet und dabei den Auslöser betätigt.
Das Foto kann dann taufrisch und brühwarm über soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter in Windeseile einem weiteren Betrachterkreis zugänglich gemacht werden, insbesondere wenn ihm ein Doppelkreuz (#), engl. hash, als Markierung, engl. tag, vorangestellt ist, das die fotografische Nachricht als so genannten Hashtag in den globalen Netzwerken leichter auffindbar macht. Der Selfie, auf dem die Moderatorin der Oscar-Nacht 2014 Ellen DeGeneres gemeinsam mit einer Reihe von Hollywoodstars bei der Fernsehübertragung der Academy Awards-Verleihung am 2. März dieses Jahres im Dolby Theatre in Los Angeles zu sehen war, schlug dabei alle Rekorde. Innerhalb von weniger als einer Stunde wurde der Oscar-Schnappschuss 1,3 Millionen Mal weitergeleitet, er erfuhr, um es mit dem Neusprech der Netzwelt zu formulieren, als Tweet bei Twitter 1,3 Millionen Retweets.
Ähnlich smart setzt auch Cristina Iacobs Film ein, wenn gleich zu Beginn die Namen der Schauspieler nach der Art der Präsentation von Adressdateien auf dem Display eines Smartphones in die Filmhandlung eingeblendet werden, die mit einem Abiturfest einsetzt, welches zwei Tage vor Beginn der Abiturprüfungen abgehalten wird. Die drei Freundinnen Yasmine (Crina Semciuc), Roxana (Olimpia Melinte) und Ana (Flavia Hojda) feiern gemeinsam mit ihren Klassenkameraden das Ende der Schulzeit und bewerfen, besprengen und bestreuen sich am Ende des Festes nach Art des indischen Holi-Brauches mit bunten Farben als Zeichen eines Neubeginns im Symbol des Regenbogens. Damit dieses neue Leben in Freiheit nicht so schnell endet, beschließen die drei Freundinnen, das rauschende Fest auf eigene Faust zu verlängern. Im flotten Mini Coupé brausen sie über die mondäne Bukarester Basarab-Passage in Richtung Schwarzes Meer, um zunächst einmal in die Disco- und Vergnügungswelt von Mamaia einzutauchen. Yasmine, die reifste unter den drei Pennälerinnen, verfolgt dabei ihre eigenen Pläne. Sie möchte ihren heimlichen Freund, den Geschichtslehrer Sergiu (Răzvan Fodor), treffen, der auf einer Luxusyacht nächtigt, tagsüber Tauchunterricht erteilt und nebenbei im ‚Pontos Euxeinos’ nach dakischen Münzen sucht.
So hangelt sich die Filmhandlung mit viel Klamauk und wenig Humor von einer Unglaubwürdigkeit zur nächsten fort. Die drei Mädchen werden in aller Frühe am Bankautomaten Opfer von drei Trickbetrügern, drei jungen Burschen, die bei aller Dieberei das Herz auf dem rechten Fleck haben. Aus den beiden Trios wird alsbald ein abenteuerlustiges Sextett, das sich für den Abend zu einem Konzert mit einer bekannten Band am Strand von Vama Veche verabredet. Zwischendurch macht Yasmine mit Mihai (Levent Sali) ihren Freund und Geschichtslehrer eifersüchtig, Roxana verliebt sich in den einfühlsamen George (Vlad Logigan), und Ana, die einen Studienplatz in Princeton sicher hat, aber lieber Schlagersängerin werden möchte, findet in Bogdan (Alexandru Călin) einen mitfühlenden Seelenverwandten.
Währenddessen sind aus Bukarest die besorgten allein erziehenden Eltern Anas und Roxanas gemeinsam in Richtung Constan]a aufgebrochen, um die vermissten Töchter in ihre behüteten Elternhäuser heimzuholen. Das ungleiche Paar, sie ein körperbewusster Alt-Hippie, er ein Ceau{escu-Fan, der zu allem Überfluss Ceau{u heißt und als Erkennungszeichen die berühmte Mütze des großen Führers trägt, kommt sich, nachdem ihr Vehikel mit einer Reifenpanne am Straßenrand liegen geblieben ist, mit Hilfe von Haschisch und Alkohol rasch näher. War der Film bislang der Devise gefolgt, Lustigkeit werde durch das Lachen der Schauspieler erzeugt, sorgt er jetzt erstmals für echtes Schmunzeln beim Kinopublikum: Herrlich die Szene, wie Răzvan Vasilescu beim ungewollten Kiffen aus seiner Ceau{escu-Rolle fällt, erheiternd, wie Alina Chivulescu nach durchzechter Nacht ihr getrübtes Gedächtnis zu ordnen versucht.
Nach allerlei bedrohlichen, aber glücklich überstandenen Situationen – zum Beispiel ertrinken Mihai und Yasmine beinahe in ihrem ins Meer gestürzten Alfa Romeo, werden aber von den am Strand nächtens promenierenden Ana und Bogdan im letzten Moment gerettet – kommt es zu einem mäßig lustigen Showdown im Polizeigewahrsam von Vama Veche. Der auf die Komödiantenrolle des Polizisten abonnierte Florin Călinescu (mit Ion Grosu als bewährtem Adjutanten) lässt humoristisch nichts anbrennen, die falliten Töchter und die diebischen Burschen bleiben aber so lange eingesperrt, bis Ana zur Gitarre greift und damit den in der Nachbarzelle schmorenden Vater nebst Roxanas Mutter zur Wahrnehmung ihrer Erzieherrolle und zum Wiedergewinn der elterlichen Initiative anstachelt. Der Arrest ist dann mit einem Mal zu Ende, jetzt muss das Abitur geschrieben werden.
Doch angesichts der vorgerückten Stunde ist guter Rat teuer, Bukarest ist fern, und die schriftliche Abiturprüfung steht unmittelbar bevor. Da packt der archäologisch interessierte Geschichtslehrer, der sich inzwischen wieder für Yasmine interessiert, den letzten Gag aus der Schatztruhe der Komödieneinfälle. Als die Eltern mit ihren drei Töchtern nach langer Fahrt endlich vor dem Bukarester Gymnasium „Gheorghe Lazăr“ halten, hat das Examen wegen einer anonymen Bombendrohung noch gar nicht angefangen. Was in Cristina Iacobs Spielfilmdebüt 123 Minuten lang währte, wird schließlich gut, oder, um es mit Shakespeares Worten zu pointieren: Ende gut, alles gut!
Wer nicht in das Lachen der Schauspieler mit einstimmen, sich nicht an den gefühligen Passagen des Streifens laben (wenn etwa bunte Himmelslaternen über dem nächtlichen Meeresstrand in die Höhe steigen) und sich auch nicht am Abfilmen von Lokalkolorit und Jugendkultur ergötzen kann, wird sich dennoch an den hervorragenden schauspielerischen Leistungen von Crina Semciuc und Răzvan Vasilescu festhalten und damit über die Runden retten können, nicht zuletzt mit dem geflügelten Wort im Hinterkopf: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.