Um William Shakespeares gewaltiges dramatisches Werk in seiner Gesamtheit aufzuführen, braucht es fast eine ganze Woche und eine Menge Schauspieler, welche die über 1800 Rollen interpretieren. Strengt man sich an, wird es in nur 90 Minuten und mit nur drei Darstellern geschafft.
Das bewies das Ensemble der deutschen Abteilung am Radu-Stanca-Theater in seiner ersten Premiere in diesem Jahr, die Dienstagabend stattfand. Ali Deac, Wolfgang Kandler und Daniel Plier führten im Studio-Saal des Theaters „Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)“ in der Regie des Letztgenannten auf. Das Stück basiert auf der von Dorothea Renckhoff gezeichneten Übersetzung des US-amerikanischen Originals „The Complete Works of William Shakespeare (Abridged)” von Adam Long, Daniel Singer und Jess Winfield. Die wenigen Abweichungen von der Vorlage spielen auf die heutige politische Situation in Rumänien an. So erfreut sich die in Europa und Amerika wenig bekannte Tourismus- und Entwicklungsministerin Udrea einer besonderen Beliebtheit.
Damit Shakespeares Welt dem Publikum vertrauter wird, wurde am Anfang seine Biografie vorgetragen. Dabei entstand das erste Durcheinander: Shakespeares Lebensdaten und die von Adolf Hitler flossen ineinander. Dergleichen Verwirrungen halten bis zum Ende der Vorstellung an. Begründet wahrscheinlich durch die Tatsache, dass der Shakespeare-Fachmann grade mal ein Buch über sein Metier gelesen hatte und ansonsten nach mancher Gestalt gegoogelt worden war.
„Die ganze Welt ist Bühne, / Und alle Frau’n und Männer bloße Spieler. / Sie treten auf und gehen wieder ab, / Sein Leben lang spielt einer manche Rollen.“ Mit diesem Zitat aus Shakespeares „Wie es euch gefällt“ beginnt die rasante Achterbahnfahrt durch die Werke. „Romeo und Julia“ wird von zwei Schauspielern präsentiert, denn: Es ist ein Ding der Unmöglichkeit alle Rollen nur zu dritt darzustellen. Kaum sind die beiden Verliebten tot, eilt „Titus Andronicus“ als eine Koch-Show auf die Bühne.
Dem folgt eine Rap-Version von „Othello“, denn keiner der Schauspieler erfüllt die „körperlichen Voraussetzungen“ für die Rolle eines Mohrs. Danach ist es an der Zeit, sich den zahlreichen Komödien Shakespeares zu widmen. Da diese nicht nur „weniger lustig sind“ als die Tragödien, sondern alle einander ähneln, werden sie in einem Stück zusammengefasst.
Die Historien wiederum werden als Fußballspiel dargebracht, in dem die britische Krone als Fußball fungiert. König Lear wird dabei vom Schiedsrichter als „fiktive Figur“ disqualifiziert. „Macbeth“ wird in Schottenröcken und auf Schottisch gebracht – mit all dem Aberglauben, der um das Stück kreist. „Coriolanus“ fällt wegen der Geschmacklosigkeit der zweiten Silbe aus, es bleibt also nur noch „Hamlet“ übrig. Mit zahlreichen Pannen und Versionen.
Zunächst weigert sich Ali Deac – die Darsteller spielen unter ihrem eigenen Namen –, „Hamlet“ zu spielen, weil er sich nicht imstande fühlt, ein solch anspruchsvolles Stück zu interpretieren, und läuft weg. Er wird von Wolfgang Kandler gefangen und zum Spiel gezwungen. Daniel Plier bricht bei Hamlets „Sein oder Nichtsein“-Monolog weinend zusammen, wegen „all dem, was mit Doktor House passiert ist“, wie erklärt wird. Am Ende der Vorstellung wird zunächst eine rasante Kurzfassung und ein „Hamlet“ von rückwärts geboten.
Dass eben die „ganze Welt eine Bühne“ ist, zeigen die Darsteller durch die Interkommunikation mit dem Publikum. Zwei Zuschauer wurden auf die Bühne gezerrt, um in einer Szene aus „Hamlet“ mitzuwirken und der ganze Saal musste wiederholt mitmachen. Die wichtigste Aufgabe des Publikums ist jedoch, ein gewisses Maß an Vorwissen mitzubringen. Man muss sich nicht nur mit den Werken Shakespeares auskennen, sondern auch die Hintergründe mancher Pointen kennen. Die meisten Zuschauer am Dienstag schienen diesen Voraussetzungen zu entsprechen, denn gelacht wurde ausgiebig und fast ununterbrochen. Nach der Vorstellung ging man nicht nur mit Lachmuskelkater, sondern viel gebildeter in Sachen Shakespeare nach Hause.
Besonders hervorzuheben ist die Leistung von Ali Deac, der fast alle weiblichen Rollen mit der Grazie eines verkleideten Mannes aufführt. Dass er eben nur verkleidet ist, lässt er Romeo (Wolfgang Kandler) während der Szene mit dem ersten Kuss spüren, als er ihm einen Tritt in die Weichteile verpasst. Das schauspielerische Wachstum dieses jungen Akteurs ist bemerkenswert.
Noch vor wenigen Jahren sprach er kaum Deutsch. Nun spielt er fast ebenbürtig mit zwei Muttersprachlern. Die deutsche Abteilung bekam mit dieser Aufführung ein weiteres Wertpapier in ihr Portfolio. Daniel Plier und Wolfgang Kandler zeigten, dass sie nicht nur ernste Stücke wie „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ gemeinsam inszenieren können, sondern auch weniger tiefgründige, dafür aber umso ausgelassenere auf die Bühne bringen. Für Ali Deac wird diese Vorstellung hoffentlich zum Sprungbrett für weitere Hauptrollen am Hermannstädter Theater.