Berlin. Zwei Jungen am Straßenrand. Beiden brennt die Seele. Joschu (19) ist eben bei seiner Freundin rausgeflogen, nach dem Fehlschlag mit seiner Band. „Du Künstler!“, hatte sie ihm verächtlich nachgerufen. Die Tasche flog hinterher. Ob Karola ihn je geliebt hat? Erst jetzt fällt ihm auf: Sie hat es nie gesagt. Nicht mal damals, in Paris, wo Joschu das Herz aus den Lippen überging: „Ich liebe dich!“ Und sie schwieg. Als die gemeinsame Band dann auseinanderbrach, machte sie ihr Abitur, während er in der Unterführung Mundharmonika spielte. Nun wird sie bald ihr Studium antreten. Mach was aus dir, Joschu, hatte sie immer wieder gesagt. Aus und vorbei. Ob er sie noch mal anrufen soll? Oder geht dann vielleicht schon dieser Oliver ran? Karola, Karola, Karola, hallt es nach in seinem Kopf. Nur noch weg von hier, denkt Joschu. Daumen raus, auf nach Süden!
Doch als er an der Auffahrt zur Autobahn ankommt, steht schon einer da. Ein seltsamer Typ, orange Haare wie eine Bürste, ein knallig geringelter Schal in gelb-blau, obwohl doch Sommer ist, das bleiche Gesicht hinter einer riesigen Mafia-Sonnenbrille verborgen. Der will auch Richtung Süden, na prima! Joschu ist nicht nach Gesellschaft zumute. Doch warum nicht gemeinsam ein Stück des Weges, wenn sich Gelegenheit für beide ergibt? Das tut es – und wieder und wieder, als hätte sie ein seltsamer Schicksalsfaden aneinan-dergeknotet. Dazwischen denkt Joschu manchmal: Jetzt reichts, gleich trennen sich unsere Wege.
Ohnehin will der Typ, der meist döst, meditiert oder liest, mit sich schleppt er eine riesige schwere Tasche, unbedingt nach Amsterdam. Ohne mich, denkt Joschu. Amsterdam! Was der dort bloß sucht? Drogen? Würde passen, bei seinem seltsamen Verhalten... Nach einer Reihe gemeinsamer Hikes und Nächte in geteilten Billigunterkünften weiß Joschu immer noch nicht einmal seinen Namen. Sunshine nennt er ihn, wegen seiner Haare - und dem gefällt‘s. Dann landen sie - Zufall über Zufall - tatsächlich in Amsterdam... Und als Sunshine morgens aus der Absteige verschwunden ist, hat Joschu schon eine Ahnung, wo er ihn suchen muss. Wenn er ihn denn finden möchte...
Denn was für Joschu Bob Dylan bedeutet, ist für Sunshine Vincent Van Gogh. Das Gemälde mit den Sonnenblumen im Van-Gogh-Museum, der Saal mit dem Sternenhimmel dort. Die Zitate und Lebensweisheiten aus den mitgeschleppten Büchern. Warum ausgerechnet Van Gogh? Als Sunshine den Grund nennt, wiehern beide wie auf Kommando los.
Weiter geht es diesmal in einer uralten klapprigen Ente, die das ungleiche Paar endgültig aneinanderkettet, denn nur Joschu hat einen Führerschein. Nach Stunden auf der Autobahn fahren sie durch endlose blühende Sonnenblumenfelder, immer weiter gen Süden. Und Joschu erfährt auf einmal das Geheimnis seines mysteriösen Gefährten. Wie ein Felsbrocken poltert die unerwartete Last auf seine eigene wunde Seele. Hoppla! Will er das wissen? Kann er das jetzt ertragen? Was tun? Gibt es überhaupt noch ein zurück? Ihre beider Geschichten sprudeln auf dem Weg heraus. Dazwischen: Südfrankreich. Kleine Glücksmomente. Pannen und willkommene Helfer. Abenteuer.
Ob er Angst hat, fragt Joschu Sunshine, und dann, warum er diese Reise überhaupt angetreten hat. Ich hab gespürt, dass wir uns begegnen, sagt Sunshine. Und da liegt es auf einmal vor ihnen: das Meer!
Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen. Die Bücher sind in den deutschsprachigen Bibliotheken des Goethe-Instituts auszuleihen.