Die sehenswerte Ausstellung, die Kunstwerke und Sammelobjekte des heute 75-jährigen rumänischen Malers Ştefan Câlţia präsentiert und noch bis zum 20. September dieses Jahres im Bukarester Museum der Kunstsammlungen (Muzeul Colecţiilor de Artă) an der Calea Victoriei zu besichtigen ist, steht unter dem Motto „Obiecte grăitoare“ (Sprechende Gegenstände). Damit sind nicht nur Werke gemeint, die der Künstler durch sein Schaffen sprechen lässt und mit denen er zu deren Betrachtern spricht, sondern auch Dinge und Gegenstände, die den Künstler angesprochen haben und die er deshalb seiner Sammlung einverleibte. Dem Namen des Ortes der Ausstellung wird dadurch zugleich ein schöner Nebensinn zuteil. Denn das Bukarester Museum der Kunstsammlungen präsentiert im Falle Ştefan Câlţias nicht nur gesammelte Kunst, sondern in einem weiteren Sinne auch Dinge und Gegenstände, die der Künstler sammelte, die ihn begleitet, ihn zur Kunst geführt und nicht selten auch Eingang in sein Oeuvre gefunden haben.
Ştefan Câlţia wurde im Jahre 1942 in Kronstadt/Braşov geboren, seine eigentliche Heimat ist aber das Dorf Schönau/Şona bei Fogarasch/Făgăraş, wo die Familie bald hinzog und wo sich der Künstler bis heute im wahrsten Sinne des Wortes zu Hause fühlt. „Meine Geschichte geht von diesem Dorf aus, beginnt in diesem Dorf und in diesem Haus“, bekennt Ştefan Câlţia einmal, der freilich während seines langen Lebens nicht nur in seinem siebenbürgischen Zuhause geblieben ist. In den Jahren 1955 bis 1963 war er Schüler von Julius Podlipny am Temeswarer Lyzeum für Bildende Kunst, und von 1964 bis 1970 studierte er bei Corneliu Baba am Bukarester Institut für Bildende Kunst „Nicolae Grigorescu“, das nach der Wende mehrfach umbenannt wurde und heute den Namen Nationale Universität der Künste Bukarest trägt. Ştefan Câlţias Werke wurden in ganz Europa, in Israel und in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgestellt, zahlreiche Museen in Norwegen, in der Schweiz und in Rumänien haben sie erworben und präsentieren sie heute der Öffentlichkeit.
Im rechten Seitenflügel des Bukarester Museumsgebäudes, des ehemaligen Romanit-Palastes, sind Werke und Sammelobjekte von Ştefan Câlţia derzeit in drei Sälen ausgestellt. Im ersten und größten Saal stechen gleich an der zur Calea Victoriei hin gehenden Breitwand zwei große geöffnete Türflügel, eingefasst von einem hohen Türrahmen, ins Auge. Es handelt sich dabei um die Pforte eines Hauses aus dem 19. Jahrhundert in der Bukarester Strada Maria Rosetti 38. Der Künstler hat die Tür dieses illegal demolierten Hauses während der Abbrucharbeiten gerettet und vor der Zerstörung bewahrt.
Hier wird ein Aspekt des Sammelns besonders sinnfällig, der Aspekt des Schutzes und der Rettung. Bewahren und aufbewahren, suchen und bewerten, konservieren und restaurieren sind andere Dimensionen der Sammlertätigkeit. Und man könnte mit Blick auf [tefan Câl]ia noch eine weitere Dimension hinzufügen: kreatives Anverwandeln, künstlerisches Weiterdenken. So hat [tefan Câl]ia auf die von ihm montierten hölzernen Querverstrebungen zwischen den beiden Türpfosten unzählige Bukette aus Trockenblumen gelegt und damit ein philosophisches Denkbild geschaffen: die offene Tür eines zerstörten Hauses gibt den Blick auf gelebte Momente in Gestalt von einstmals duftenden Blumensträußen frei! Ein alter Holzschrank aus Fogarasch wird in der Sammlung von Livia und Ştefan Câlţia selbst zum Symbol der Sammeltätigkeit: Gläser, Ketten, Steine, Muscheln, Tonscherben, eine Brille und vieles andere ruhen in diesem Sammelobjekt aus des Künstlers siebenbürgischer Heimat. Dutzende von Arbeitsgeräten aus der Schönauer Schmiede hängen links und rechts von den erwähnten Bukares-ter Türflügeln, und an der gegenüberliegenden Breitwand des Ausstellungsraumes hängt ein fast die gesamte Wandfläche einnehmender wollener türkischer Kelim, in dessen Mitte seinerseits ein Ölgemälde Ştefan Câlţias aus dem Jahre 2017 platziert ist: „Weg in Schönau“! Über einer siebenbürgischen Hügellandschaft schwebt dort – im Stile René Magrittes – ein großer Fisch, auf dem ein Haus steht und Bäume wachsen.
Ein weiteres künstlerisches Vorbild – Hieronymus Bosch – ist in einem anderen Werk Ştefan Câlţias wahrzunehmen: in dem großformatigen Opus (Tinte auf Leinwand) mit dem Titel „Narrenschiff“ (1994/2007), das auch Schriftzüge als Bildelemente in das Kunstwerk integriert. Und das Ölgemälde „Boot mit Gräsern“ (2015), wo ein Mann mit Diadem auf dem Haupt und im Narrenkostüm einen Kahn vorwärts stochert, in dem eine Frau mit einem Grashalm in den Händen steht und ein Mädchen mit Blumen auf dem Schoß sitzt, gemahnt an die Kunst von Corneliu Baba, Ştefan Câlţias Lehrer und Mentor.
Lithografien („Golem“, 1987) und Radierungen („Alianţa Civică“, 1993), Siebdrucke („Lazars Schmiede“, 2015) und Zeichenbücher (Drittes Zeichenbuch, 2004/2005) finden sich in diesem ersten Ausstellungssaal neben etlichen Ölgemälden, von denen das in diesem Jahr entstandene Bild „Der Musikant mit weißem Haar“ besondere Erwähnung verdient. Und dann natürlich auch die folgenden Erinnerungs- und Sammelgegenstände: zwei Fotos der Eltern des Künstlers aus den Jahren 1940 und 1950, ein aus mehreren Vogelfedern geschaffener künstlicher Flügel, ein aromunisches Kostüm, ein Jagdhorn und eine Tuba aus Messing, Fotos zweier Blaskapellen, Waagschalen und Krüge aus Kupfer und Zinn, Gürtel für traditionelle Trachten und eine Leinwand, auf die Glasgefäße projiziert werden.
Im zweiten Ausstellungssaal setzt sich die bunte Mischung aus Kunstsammlung und Privatarchiv, aus Kunst- und Sammelobjekten fort, wobei es hierbei auch zu interessanten Interferenzen kommen kann. So ist dort beispielsweise das klobige hölzerne Rad einer Schubkarre ausgestellt, und man entdeckt dieses Rad just im ebenfalls dort hängenden Ölgemälde „Marionette“ (2014) wieder. Eine Ikarus-Darstellung („Der Hügel des Fliegers“, 2016) und eine Gewitterszene („Căciulaţi“, 1993) sind weitere Ölgemälde, die hier neben diversen Tuschezeichnungen und Collagen Erwähnung verdienen. Und dann natürlich wieder die Welt der Dinge: Dachziegel aus Schönau, Fotos aus alten Bauernhäusern und von traditionellen Backöfen, die der Künstler selbst gemauert, verputzt und getüncht hat, Fotos von Zierbroten, ein Brotbackrezept, diverse Schriftstücke, Fotos von Verwandten und von Gestalten der Zeitgeschichte (von Corneliu Coposu und vom jungen rumänischen König Mihai), und – höchst beeindruckend – eine ganze Wand mit vier Dutzend teilweise glasierten Tonkrügen.
Auch im dritten und kleinsten Ausstellungssaal trifft man auf die bereits erwähnten Interferenzen zwischen Kunstwerk und Sammelgegenstand. Das Ölgemälde „Der weiße Weg“ (2008) zeigt in winterlichem Ambiente eine im Rumänischen sogenannte „troiţă“, ein Flur- und Wegekreuz, mit der plastischen Darstellung des gekreuzigten Christus. Im selben Raum hängt das hölzerne Fragment einer „troi]˛“, eine mannshohe armlose Skulptur Christi mit der Dornenkrone, die der Künstler aus einem Stapel Brennholz gerettet, als Sammelgegenstand bewahrt und zudem in das Medium der Malerei transponiert hat. Ein siebenbürgischer Grundstein aus dem Jahre 1860, Collagen aus Trockenblumen (darunter auch das Ensemble mit einem über einer Waagschale voller Trockenblumen hängenden Trockenfisch), ein Stickereialbum, eine Textilcollage, ein Buch mit Kreuzen (2007/2008) und eine Schachtel für ein „Buch für Livia“ (2007/2008) runden neben diversen Tuschezeichnungen von Gräsern und Pflanzen die Bukarester Ausstellung der sprechenden Gegenstände Ştefan Câlţias und zugleich den lebendigen Einblick in sein beeindruckendes künstlerisches Universum ab.