Das rumänische Streichquartett „Ad Libitum“ besteht seit 1988 und ist seit 2008 neben Chor und Orchester das dritte permanente musikalische Ensemble der Jassyer Staatsphilharmonie. Im Sommer vergangenen Jahres hatte das mit internationalen Preisen bedachte und in zahlreichen europäischen Ländern gastierende Quartettensemble einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften: der Primgeiger des Quartetts, Adrian Berescu, kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben.
Für die übrigen drei, allesamt im Jahre 1968 geborenen Gründungsmitglieder des Quartetts stellte sich daraufhin die Frage, ob sie ihre vielfältigen künstlerischen Aktivitäten (Konzerte, Tourneen, Einspielungen) aufgeben sollten oder ob sie ihre erfolgreichen Auftritte im Geiste und Sinne ihres verstorbenen Jassyer Studienfreundes und Quartettkollegen fortführen sollten, man denke etwa an die Aufführung sämtlicher 17 Streichquartette Beethovens in Jassy/Iaşi (2009), an die Konzerte mit Werken von Haydn, Mozart und Bartók (2010), an die über hundert kammermusikalischen Werke in ihrem Repertoire und auch an die musikpädagogischen Aktivitäten des Ensembles in Rumänien, Frankreich und in den Niederlanden.
Für den Violinisten Şerban Mereuşă, den Bratscher Bogdan Bişoc und den Violoncellisten Filip Papa war die Entscheidung dieser Schicksalsfrage nicht einfach, die Lösung kam aber in Gestalt des rumänischen Violinvirtuosen und Konzertsolisten Alexandru Tomescu, für den kammermusikalisches Musizieren ohnehin die Höhen artistischen Raffinements und die Tiefen künstlerischer Empfindung umgreift und der die ihm angetragene Mitgliedschaft als Primgeiger im neu zusammengesetzten Streichquartett „Ad Libitum“ gerne und dankend annahm.
Im Februar trat das Ensemble „Ad Libitum“ in dieser neuen Formation im für die winterlichen Wetterverhältnisse geradezu vollbesetzten Mihail-Jora-Saal des Rumänischen Rundfunks mit einem Programm auf, das wenige Tage zuvor bereits in Jassy erklungen war: mit dem Streichquartett op. 74 Nr. 3 in g-Moll, dem sogenannten „Reiter-Quartett“, von Joseph Haydn; mit dem Streichquartett op. 18 Nr. 4 in c-Moll von Ludwig van Beethoven und mit dem „Voces Intimae“ betitelten Streichquartett op. 56 in d-Moll von Jean Sibelius.
Das Haydnsche „Reiter-Quartett“ gehört zu den beliebtesten Stücken der Quartettliteratur überhaupt und eignet sich besonders gut für die Eröffnung eines Konzertabends. Manche sind der Meinung, Haydn habe mit diesem, dem ungarischen Grafen Anton Appónyi gewidmeten Quartett eine musikalische Hommage an die Spanische Hofreitschule in Wien mit ihren Lipizzaner-Hengsten unternommen, wieder andere meinen, die Namensgebung stehe in Verbindung mit einer Bitte Haydns an den Fürsten Esterházy um Pferdefutter. Obschon in Moll gehalten, besticht dieses Quartett durch Harmonie, Sanglichkeit und Transparenz. Die in allen vier Stimmen auftretenden Triolenfiguren des ersten Allegro-Satzes kamen in der Interpretation durch das „Ad Libitum“-Quartett ebenso schön zur Geltung wie im zweiten Largo assai-Satz das Tremolo, das Haydn nur ein einziges Mal in seinem 83 Werke umfassenden Quartettschaffen verwendet. Nach dem beschwingten Menuett-Satz klang das Quartett aus mit dem Allegro con brio-Finalsatz, der mit seinem im jagenden Galopp dahineilenden musikalischen Thema dem Quartett wohl im eigentlichen Sinne den Namen gegeben hat.
Von den sechs dem Fürsten Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz gewidmeten Quartetten op. 18 verdient das vierte wohl am ehesten die Bezeichnung „Miniatursinfonie“, die man diesem halben Dutzend Werken des Teenagers Beethoven angeheftet hat. Es beginnt mit einem dramatischen Aufschwung der ersten Violine im Eröffnungssatz, der sich mit dem Tremolo der Mittelstimmen und den gewaltigen Akkordschlägen der vier Streichinstrumente auch sonst sinfonischer Mittel bedient, bevor er düster ausklingt. Weist dieser Satz Ähnlichkeiten mit der berühmten Klaviersonate „Pathétique“ auf, so finden sich im zweiten Fugato-Satz des Quartetts Anklänge an den zweiten Satz der Ersten Sinfonie Beethovens. Der dritte Satz, ein Menuett, knüpft erneut an den dramatischen Charakter des Kopfsatzes an, bevor das Quartett mit seinem vierten Allegro-Satz, der in einer Prestissimo-Coda gipfelt, schwungvoll ausklingt. Das „Ad Libitum“-Quartett schöpfte in seiner Interpretation sämtliche Register dieses orchestralen Werkes aus, von fahler, gespenstischer Tongebung bis hin zu kräftigen, vollen Akkorden, von fein ziselierten Fugati bis zu Passagen von kantabler Eleganz, wobei es die Modernität, die in den späten Beethovenschen Quartetten musikalisch Gestalt wurde, auch schon in diesem Frühwerk hörbar machte.
Nach der Pause stand das vierte und letzte Streichquartett des finnischen Komponisten Jean Sibelius aus dem Jahre 1909 auf dem Programm, ein höchst anspruchsvolles und seinerseits sinfonisch angelegtes Werk mit fünf umfangreichen Sätzen. Auch bei der Wiedergabe dieses Werkes, in dem die Klangwelt des Sinfonikers Sibelius mit kammermusikalischen Mitteln ersteht, bestach die Interpretation des „Ad Libitum“-Quartetts durch innovative Tongebung und stärkste Expressivität, die gerade in der verinnerlichten Form der „Voces Intimae“ um so eindringlicher nach außen drängte. Wunderbar anzuhören die gesprungenen Arpeggien und die Unisono-Passagen am Schluss des letzten Satzes, die die Spannungen und Kontraste der vorangegangenen Sätze erlöst ausklingen ließen.
Die Zugabe war, wie auch der Konzertabend in seiner Gänze, dem verstorbenen Quartettkollegen Adrian Berescu gewidmet. Mit gedämpften Instrumenten ließen die vier Musiker des „Ad Libitum“-Quartetts Antonín Dvojáks Humoreske op. 101 Nr. 7 in einer Fassung für vier Streicherstimmen erklingen, ein Werk, das dem vormaligen Primgeiger des Quartetts ans Herz gewachsen war und das dieser besonders gerne aufgeführt hatte. Nachdem die letzten Töne verklungen waren, verharrten die Zuhörer lange Momente in schweigendem Eingedenken, bevor die Musiker den innigen Applaus sichtlich bewegt entgegennahmen.