Mittlerweile gibt es etliche sehenswerte Filme über den 1920 im rumänischen Czernowitz/Cernăuți geborenen und 1970 in Paris gestorbenen jüdischen Dichter deutscher Sprache Paul Celan. Diese Spielfilme, Essayfilme oder Dokumentarfilme rücken zumeist bestimmte Episoden von Celans Leben in den Blickpunkt, richten den Fokus auf einige seiner Freundschaften oder beleuchten ausgewählte Aspekte seines literarischen Werks.
Am Anfang steht der Spielfilm „Im Süden meiner Seele“ (1988) von dem aus Siebenbürgen stammenden Regisseur Frieder Schuller, der Paul Celans Bukarester Jahre, die Zeit von 1945 bis 1947, ins Zentrum seiner Betrachtung stellt. Der rumänische Regisseur Alexandru Solomon beschäftigt sich in seinem kurzen Dokumentarfilm „Duo pentru Paoloncel și Petronom“ (1994) mit demselben historischen Zeitraum, jedoch gezielt im Hinblick auf die Freundschaft zwischen Paul Celan und dem Schriftsteller Petre Solomon. Die deutsch-österreichische Regisseurin Katharina Mihm begibt sich mit ihrem Dokumentarfilm „Gegenlichter“ (2011) anhand der Vita Paul Celans auf topographische Spurensuche, während Ullrich H. Kasten und Hans-Dieter Schütt in ihrem Celan-Porträt „Dichter ist, wer menschlich spricht“ (2014) unter anderem auch Paul Celans Sohn Eric zu Wort kommen lassen (vgl. www.youtube.com/watch?v=oKpKmNBJnIc).
Paul Celans Freundschaft mit Ingeborg Bachmann steht im Mittelpunkt des Films „Die Geträumten“ (2016) der österreichischen Autorin und Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann, die den 2008 unter dem Titel „Herzzeit“ erschienenen Briefwechsel zwischen dem Dichter aus der Bukowina und der um sechs Jahre jüngeren Schriftstellerin aus Österreich im Rahmen eines experimentellen Kammerspiels filmisch entfaltet. Der Filmessay „Gottes zerstreute Funken“ (2017) des deutschen Autors, Musikers und Filmemachers Rüdiger Sünner widmet sich dem Einfluss der jüdischen Mystik auf Celans Poesie, wobei der Regisseur, Drehbuchschreiber und Kameramann auch der einzigen Reise Celans nach Israel sowie dessen Reise zu Martin Heidegger in den Schwarzwald nachspürt.
Der jüngste Film über Paul Celan, der Anfang dieses Monats seine österreichische TV-Premiere hatte, stammt von der österreichisch-irakischen Schriftstellerin, Journalistin und Filmemacherin Susanne Ayoub. Im Titel trägt er den ursprünglichen Nachnamen des Dichters „Antschel“, aus dessen rumänischer Schreibung „Ancel“ der Dichter dann durch Umstellung der beiden Silben selbst jenen Namen formte, unter dem er später bekannt und berühmt werden sollte.
Seine rumänische Premiere hatte der 46-minütige Essayfilm „Antschel“ von Susanne Ayoub am vergangenen Sonntag im Österreichischen Kulturforum Bukarest. Die rumänische Untertitelung des deutschsprachigen Films stammt von Alexandru [ahigian, die im Film verwendeten Celan-Texte werden nach der Übersetzung durch George State zitiert. Der Zeitpunkt der öffentlichen rumänischen Premiere des Celan-Films von Susanne Ayoub war seitens des Österreichischen Kulturforums mit Bedacht gewählt. Denn das 48-stündige Zeitfenster, in dem der Film „Antschel“ online und kostenlos zu sehen war, reichte vom 22. bis zum 24. November und umrahmte damit den einhundertsten Geburtstag des Dichters, der am 23. November 1920 in Czernowitz im damaligen Großrumänien das Licht der Welt erblickte.
Der besondere Gewinn dieses Films ist zweifellos der Gastauftritt des 1927 in Wien geborenen und heute 93-jährigen Kunsthistorikers und Lyrikers Klaus Demus, der freilich im eigentlichen Sinne die Hauptrolle in diesem Filmessay spielt. Der um sieben Jahre jüngere Klaus Demus war, genauso wie seine Frau Nani Demus, mit Paul Celan seit dessen Wiener Zeit eng befreundet. Ingeborg Bachmann wohnte ganz in ihrer Nähe, und so konnte das Ehepaar Demus die Liebesbeziehung zwischen den beiden bewunderten Dichtern von Anbeginn an auf Schritt und Tritt mitverfolgen. Auch in Paris, der Wahlheimat von Paul Celan, kamen die Freunde zusammen. Der von Joachim Seng 2009 herausgegebene Briefwechsel zwischen Paul Celan und dem Ehepaar Demus, aus dem im Film immer wieder zitiert wird, dokumentiert Celans Freundschaft mit Klaus und Nani Demus, denen er auch zwei Gedichte von seiner Hand widmete („Die Krüge“, „Die Winzer“).
Ein großer Teil der Filmhandlung spielt in der Wohnung von Klaus Demus in Wien. Der betagte Wissenschaftler und Dichter erzählt dort aus seinem Leben, blättert in Bildbänden, zeigt Fotos und Briefe, breitet eine Reihe von Büchern über Paul Celan aus und spricht mit großer Bewunderung, ja Verehrung von seinem besten Freund, der aber wegen seiner übergroßen Verletzlichkeit und wegen seiner Unnahbarkeit die in dieser Freundschaft waltende Nähe immer wieder gefährdete. Als Klaus Demus im letzten Lebensjahrzehnt Celans den Dichter in großer Sorge um ihn auffordert, er möge sich wegen seiner „Paranoia“ doch umgehend in psychiatrische Behandlung begeben, bricht Paul Celan gar den Kontakt zu Klaus Demus für die Dauer von fünf Jahren radikal ab, bevor der Wiener Freund den Dichter schließlich in Paris aufsucht und den Bruch ihrer freundschaftlichen Beziehung wieder zu kitten sich anschickt. Das aufrichtige Mitleid von Klaus Demus begleitet den schwermütigen und über alle Maßen leidenden Dichter, dem die Erinnerungen an den Holocaust wie der gegen ihn gerichtete Plagiatsvorwurf in der Goll-Affäre gleichermaßen zusetzten, immerzu bis hin zu dessen schlussendlichem Freitod in der Seine im April 1970.
Das durch die Erzählungen und Erinnerungen von Klaus Demus aufgerichtete biographische Gerüst von Celans Leben wird in Susanne Ayoubs Film durch zahlreiche Zitate aus Celans Werk, aus seinen Gedichten wie aus seinen Reden, anschaulich untermauert, wobei der Übersetzer Paul Celan, der nicht nur das Deutsche und das Rumänische, sondern auch das Russische und das Französische perfekt beherrschte, leider entschieden zu kurz kommt. Das Notieren von Wörtern und Versen aus Celans poetischen und rhetorischen Werken in immer dasselbe Spiralheft erzeugt im Film peu ŕ peu den Eindruck der Monotonie, der durch die immer gleiche Art der Rezitation dieser Textbruchstücke im Film noch befördert wird. An manchen Stellen hätte man sich auch ein beherztes Eingreifen der Regisseurin gewünscht, etwa wenn Klaus Demus sagt, er wisse nicht oder nicht mehr, in welchem Lager Paul Celan während der letzten Kriegsjahre als Jude Arbeitsdienst zu verrichten hatte. Auch wenn sich der alternde Zeitzeuge daran nicht erinnert, möglicherweise weil Celan mit ihm nie eigens darüber gesprochen hat, so ist doch allgemein bekannt und hinreichend dokumentiert, dass es sich dabei um das bei Buzău gelegene Arbeitslager Tăbărești handelt.
Neben der Stadt Wien, wo man außer dem Domizil von Klaus Demus auch das Literaturhaus Wien sowie die Räumlichkeiten der Österreichischen Gesellschaft für Literatur betritt, führt der Film seine Betrachter ferner in Celans Heimatstadt Czernowitz und zu dem dort 2013 gegründeten und 2016 feierlich eröffneten Paul-Celan-Literaturzentrum, wo man Zeuge der aktiven Pflege des Celanschen literarischen Erbes wird und ausgewiesenen Celan-Kennern wie dem ukrainischen Germanisten Petro Rychlo begegnet.
Insgesamt also ein ruhiger, beschaulicher, ja besinnlicher Film, der in der beeindruckenden Gestalt von Klaus Demus eine Zeit wieder aufleben lässt, die solcher Jubiläen wie dieses Celanschen bedarf, um nicht gänzlich der Vergessenheit anheim zu fallen. Es wäre zu wünschen, dass das Österreichische Kulturforum Bukarest vielleicht bald schon wieder die Gelegenheit ergreift und den Film „Antschel“ von Susanne Ayoub ein weiteres Mal, und dann vielleicht nicht nur zwei Tage lang, ins Netz stellt, um einem interessierten Publikum die filmische Online-Begegnung mit Klaus Demus und seinem vor einem halben Jahrhundert verstorbenen Freund Paul Celan zu ermöglichen.