Auf seiner Tournee durch Rumänien und die Republik Moldau machte das vierköpfige Ensemble Gerardo Jerez Le Cam Ende vergangener Woche auch in Bukarest Station. Am Abend des 22. Oktober gab das nach seinem Gründer benannte Instrumentalquartett ein Konzert im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks, das vom Institut Français in Rumänien organisiert und unterstützt wurde.
Der in Argentinien geborene Pianist Gerardo Jerez Le Cam lebt seit 1992 in Frankreich und hat dort mit wechselnden Ensembles auf der Basis des Tango Argentino und des Tango Nuevo einen eigenen und einzigartigen Musikstil entwickelt, der, analog zum Stil der Fusion-Music, verschiedene Musikrichtungen miteinander verbindet. Neben dem Tango in seinen verschiedenen traditionellen und modernen Formen, und neben der Barockmusik, insbesondere der Musik Johann Sebastian Bachs, ist es vor allem die Volksmusik der Balkanländer, die Gerardo Jerez Le Cams musikalischem Schmelztiegel eine wichtige Komponente hinzufügt.
Der in der Republik Moldau geborene Zymbalist Mihai Trestian ist seit 2007 Mitglied des Jerez Le Cam-Quartetts und bringt bereits durch das von ihm gespielte Instrument eine besondere Note in dieses Amalgam verschiedener Musikstile und -richtungen. Das Zymbal oder Cymbalom ist ein vor allem in der ungarischen Volksmusik, aber auch in der ungarischen Kunstmusik (Kálmán, Liszt, Kodály) zum Einsatz kommendes Saiteninstrument, das im Deutschen den unschönen Namen Hackbrett trägt, das aber, wenn die Klöppel sanft geführt werden, auch weicher und ätherischer Klänge fähig ist.
Juanjo Mosalini ist ein international bekannter Bandoneonspieler, der durch sein Instrument vor allem den argentinischen Tango repräsentiert und die unverwechselbare Klangfarbe des Bandoneons meisterhaft in den Fusion-Stil des Jerez Le Cam-Quartetts integriert. Das Bandoneon wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von dem deutschen Instrumentenbauer Heinrich Band erfunden, gelangte dann mit deutschen Auswanderern nach Südamerika, wo es vor allem in den Haupt- und Hafenstädten Buenos Aires und Montevideo mit seinem schwermütigen und sanften Klang, der aber auch schriller und schluchzender Ausbrüche fähig ist, große Popularität gewann.
Mit dem Tango gelangte dann das Bandoneon wieder nach Europa, wo es vor allem mit der Rezeption der Musik Ástor Piazzollas eine Renaissance erlebte.
Der vierte im Bunde des Jerez Le Cam-Quartetts ist der im rumänischen Tulcea geborene Geiger Iacob M²ciuc², der mit seiner Violine insbesondere die Klänge der rumänischen Volksmusik in die Klangtableaus des Ensembles Gerardo Jerez Le Cam einwebt. Zugleich vertritt die Violine als Tangoinstrument und als Instrument der Barockmusik auch die anderen beiden Hauptquellen, aus denen die musikalische Inspiration des Komponisten, Arrangeurs und Improvisators Gerardo Jerez Le Cam schöpft.
Das Programm des Abends, das ohne Pause dargeboten wurde, schien auf den ersten Blick in drei Teile zu zerfallen: in einen ersten, dem Tango gewidmeten Teil mit Titeln wie „El cruce“, „Siete esquinas“ oder „El potrero“; in einen zweiten, Johann Sebastian Bach gewidmeten Teil mit drei Präludien aus dem „Wohltemperierten Klavier“ (BWV 846,847,861); und in einen dritten, der rumänischen Volksmusik gewidmeten Teil mit Titeln wie „Luna de Tulcea“, „El ultimo delta“ und „Brabadag“.
Unter letztgenanntem Titel verbirgt sich die rumänische Stadt Babadag in der Nähe von Tulcea, so wie sich unter dem Titel des Stückes „Órsay“, das ebenfalls im Rahmen des Konzerts dargeboten wurde, das englische Wort „Offside“ (Abseits) verbirgt, das im fußballvernarrten Argentinien selbstverständlich eine große Rolle spielt, wie der Gründer des Ensembles auf Französisch erläuterte.
Schnell wurde an diesem Konzertabend deutlich, dass diese drei Programmteile keine scharfe Trennung markieren sollten, sondern lediglich die Komponenten, Elemente und Ingredienzien der kompositorischen Phantasie des Ensemblegründers kennzeichnen wollten. Denn bereits in den anfänglichen, vom argentinischen Tango geprägten Stücken wurden Klänge aus der Welt der Barockmusik hörbar, und im Seufzen der Tangovioline verschafften sich auch Melodien aus der Folklore Rumäniens musikalisch Raum.
Man könnte die Musik Gerardo Jerez Le Cams mit Schiller als sentimentalische Musik charakterisieren, als höchst reflektierte Musik, die ihre Kreativität im Modus der Erinnerung entfaltet und im farbigen Nachklang ihr Leben besitzt. So schienen sich manchmal die Klänge des Ensembles wie Erinnerungsfetzen im Nichts zu verlieren und tauchten dann doch plötzlich mit neuer Kraft aus diesem sich verflüchtigenden Gedächtnisfundus wieder auf, wurden stark, gewannen Leben, bis sie kurz darauf wieder in entrückter Ferne zu verhallen schienen.
In diesen Momenten traten zu der Trias aus Tango, Barock und Folklore auch Elemente des Modern Jazz oder des Free Jazz hinzu, die das musikalische Erlebnis bereicherten und die Offenheit jenes Klangamalgams auch für andere Musikstile deutlich machten.
Angeregt durch die moderierenden Zwischentexte des Ensemblegründers konnte man sich durch die Musik selbst zu inneren Bildern inspirieren lassen und die filmische Phantasie in die Ferne schweifen lassen: Von Tulcea mit dem großen Mond, über das von seinem Licht erhellte Donaudelta und über den in der Nacht glitzernden See von Babadag weit über die Weltozeane bis in ein Hafenlokal in Buenos Aires, wo ein alter Bandoneonspieler im Qualm dicker südamerikanischer Zigarren in seine Tangomelodien einige Klänge einwebt, die er beim morgendlichen Gang durch ein besseres Viertel der argentinischen Hauptstadt aus dem offenen Fenster einer Villa dringen hörte, in der beim Klavierunterricht ein Stück aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ geübt wurde.