Die „Stadt an der Bega“, Temeswar/Timișoara, rückt als „Europäische Kulturhauptstadt“ in diesem Jahr international ins Interesse der Öffentlichkeit, geschmückt mit ihren klassischen Attributen wie „Stadt der Rosen“ oder auch „Klein-Wien“. Konrad Gündisch und Tobias Weger haben nun eine Stadtgeschichte vorgelegt, die der Leserschaft die wichtigsten Informationen und auch viel Bildmaterial im Taschenbuchformat an die Hand gibt.
Seit Jahrhunderten leben Menschen unterschiedlicher Sprachen, Ethnien und Religionen in Temeswar zusammen. Im Mittelalter diente die Stadt zeitweilig als königliche Residenz. Von 1552 bis 1716 gehörte sie zum Osmanischen Reich, bis Prinz Eugen von Savoyen sie dem Habsburgerreich eingliederte. Im 18. Jahrhundert wurde Temeswar zu einer Festung mit mehreren Vorstädten, die später zusammenwuchsen. In der seit dem Ende des Ersten Weltkriegs zu Rumänien gehörigen Stadt begann im Dezember 1989 das Aufbegehren der Bevölkerung gegen das Ceau{escu-Regime. Der vorliegende Band erzählt kompakt und gut lesbar die facettenreiche Geschichte der Metropole des Banats und präsentiert die politische, wirtschaftliche, soziale, bauliche und infrastrukturelle Entwicklung in einem ansprechenden wie kompakten Überblick.
Nach kurzen Hinweisen zur Vor- und Frühgeschichte startet die historische Spurensuche im mittelalterlichen Castrum Temes, das zeitweise auch königliche Residenz war. Von Anfang an beschreiben die Autoren die Stadt in ihrer militärischen und wirtschaftlichen Bedeutung und auch als Schnittstelle zwischen Europa und dem Osmanischen Reich. Immer wieder wird deutlich, dass kriegerische Handlungen die Stadtentwicklung wesentlich beeinflusst haben, unter anderem durch Zerstörung wertvoller Bausubstanz. Dies erklärt auch, weshalb es bis heute erhaltene Kirchen erst aus der Barockzeit gibt, wie etwa die serbische orthodoxe Kathedrale und die katholische Domkirche St. Georg.
Die Darstellung orientiert sich an den historischen Phasen, die sich auch im jeweiligen Status der Stadt äußern. So war Temeswar Königsresidenz, später Sitz der osmanischen Verwaltung, dann königliche Freistadt, Sitz des „Kronlandes Serbische Wojewodschaft und Temescher Banat“ und zuletzt Bezirkshauptstadt im Königreich Ungarn. Nach der Eingliederung in das Königreich Rumänien blieb die Stadt eine multikulturell geprägte Großstadt im Westen des Landes und Verwaltungssitz des Kreises Temesch.
Die Autoren zeichnen diese Entwicklungen nach und ordnen sie auch stets in die politische Großwetterlage ein. Dabei werden in Porträts auch einzelne wichtige historische wie kulturelle Persönlichkeiten der Stadt präsentiert, vom europaweit bekannten mittelalterlichen Prediger Pelbart von Temeswar (ca. 1435-1504) bis hin zu Stefan W. Hell (geb. 1962), der in Temeswar das Nikolaus-Lenau-Gymnasium besuchte und 2019 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde.
Zahlreiche historische Abbildungen zeigen Szenen wie etwa die brutale Einnahme der Stadt durch Kara Ahmet Pascha mit abgeschlagenen Köpfen der Besiegten (S. 35), aber auch die baulichen Metamorphosen, die die Stadt je nach politischer Prägung durchlebte. Besonders vielsagend sind dabei Stadtansichten aus der Zeit, als Temeswar zum Osmanischen Reich gehörte und Minarette und Halbmond das Stadtbild beherrschten (Zeichnungen von 1603 und 1665).
Die osmanische Eroberung Temeswars verstehen die Autoren durchaus zu Recht als tiefen Einschnitt. Sie selbst beschreiben die negativen Folgen wie Umwandlung von Kirchen und Kirchtürmen zu Moscheen und Minaretten (S. 40 ff). So heißt es: „Die Osmanen duldeten den christlichen Glauben, es wurde allerdings der Bau neuer Kirchen verboten und ein Teil der christlichen Gotteshäuser zu Moscheen umgewandelt; Kirchtürme waren überhaupt nicht erlaubt, sie wurden entweder zu Minaretten umgebaut oder geschleift.“ (S. 44)
Angesichts dessen, was die Autoren selbst beschreiben, wirkt deren Diktum allerdings befremdlich, wonach das „undifferenzierte“ Bild der ungarischen, rumänischen und deutschen Historiker zur osmanischen Zeit Temeswars „aufgehellt werden (muss)“ (S. 34). Auch wenn die heute dezidiert kirchenkritische Wissenschaft und Publizistik vor allem aus dem deutschsprachigen Raum, der noch nie unter osmanischer oder islamischer Fremdherrschaft zu leiden hatte, in ihrer trendigen Begeisterung für Islam und Multikulti seit geraumer Zeit die Geschichte des Christentums nur noch als Kriminalgeschichte präsentieren, wirken solche Zielvorgaben für die Darstellung Temeswars unter dem Halbmond historiographisch und methodisch durchaus fragwürdig.
Einzelne Details sind ungenau geraten. So ist Temeswar nicht die viertgrößte (so S. 131), sondern die drittgrößte Stadt Rumäniens, Jassy/Ia{i zählt deutlich weniger Einwohner. Der ungarische Pastor László Tökés pflegte keine „ökumenische Predigten“ (so S. 125), sondern war der Orthodoxie stets herzlich abgeneigt. Der Kadi richtete außerdem keine religiösen Fälle und der Mufti keine administrativen (so S. 35), sondern der Kadi war der weltliche Richter (wenn auch aufgrund der im Islam fehlenden Trennung zwischen Religion und Staat auf der Basis der Scharia) und der Mufti erließ religiöse Fatwas. Unklar ist, von welcher Versammlung ungarischer Bischöfe in Temeswar 1320 die Rede ist (S. 18). Das rumänische orthodoxe Bistum Temeswar wurde zudem nicht „zur Metropolie hochgestuft“ (S. 101), sondern zum Erzbistum, die Einrichtung der regionalen „Metropolie des Banats“ mit mehreren Suffraganbistümern erfolgte zeitgleich. Worin eine „islamisch-europäisch geprägte Stadt“ bestehen soll (so S. 41), bleibt schließlich auch offen.
Insgesamt bietet das Buch eine solide Einführung in die abwechslungsreiche Geschichte dieser wunderbaren Stadt und erfreut auch durch viel Bildmaterial.