Die menschlichen Figuren auf den Zeichnungen scheinen wie aus einem Horrorfilm zu sein: verzerrte Gesichter, überdimensionierte Hirne, Hände wie Tentakeln. Die meisten sind sitzend dargestellt und halten irgendein Gadget in der Hand. In seiner Kunstausstellung „The Impossible Body“ (Der unmögliche Körper) behandelt der in Berlin lebende Künstler Adrian Ghenie das Thema der Isolation und deren Einfluss auf die Menschen. Insbesondere während der Pandemiejahre lebten die Menschen (teils sogar extrem) voneinander isoliert, wobei die einzige Verbindung zur Außenwelt bzw. zu ihresgleichen lediglich über die Technologie geschaffen wurde. Die Werke von Adrian Ghenie thematisieren die komplizierte Beziehung, die der moderne Mensch zur Technologie, zu den sozialen Medien, zu seinem eigenen Körper und selbst zur Zeit entwickelt hat. Adrian Ghenie, einer der bedeutendsten zeitgenössischen und bestverkauften rumänischen Künstler, beobachtet, dass es heute eine neue Körpersprache gibt, die andere Körperhaltungen, spezifische anatomische Entwicklungen und Verlängerungen der Gliedmaßen durch die Mittel der Technologie voraussetzt.
Die Ausstellung „The Impossible Body“ wurde am 20. April im Beisein des Künstlers im ISHO-Pavillon in Temeswar/Timișoara offiziell vorgestellt. Ghenies Werke brachte die „Art Encounters“-Stiftung um Geschäftsmann Ovidiu Șandor nach Temeswar. Es ist, nach Jahren, die erste persönliche Ausstellung von Adrian Ghenie in Rumänien und umfasst jüngst geschaffene Werke des Künstlers, Zeichnungen und Öl-Malereien, einige davon eigens für die Ausstellung in Temeswar gezeichnet. Klein, aber fein: Etwa so könnte man die von Diana Marincu kuratierte Ausstellung mit wenigen Worten beschreiben. Immerhin sind es nur an die 20 Werke, die an den Wänden im kleinen Ausstellungsraum bewundert werden können. Nichtsdestotrotz erfreute sich die Ausstellung seit ihrer Eröffnung großer Beliebtheit. So kamen im Schnitt etwa 200 Menschen täglich, um sich die Expo anzuschauen.
Die Zeichnungen von Adrian Ghenie zeigen teils groteske Menschen, die aus den Werken von Hieronymus Bosch oder aus den sozialen Fresken von Otto Dix entnommen zu sein scheinen. Ghenie dekonstruiert und rekonstruiert die menschlichen Figuren, er verwendet zahlreiche Linien und Bewegungen, sodass das Papier ständig weißes Rauschen von sich zu geben scheint. Der Tumult, der Ghenies Gestalten umgibt, verkörpert eine Beobachtung des Künstlers. Demzufolge sind wir heutzutage nie allein, selbst dann nicht, wenn wir uns isolieren wollen. Der ständige Zugang zur Technologie lässt uns Teil eines kollektiven Netzwerks werden.
Adrian Ghenie ist vor allem für seine eindrucksvollen und ausdrucksstarken Gemälde bekannt. Er wurde 1977 in Frauenbach/Baia Mare geboren. Seine Werke wurden in international renommierten Museen und Galerien ausgestellt und haben ihm zahlreiche Auszeichnungen und Preise eingebracht. Auch lassen sich seine Werke international sehr gut verkaufen.
Ghenies Interesse für die bildende Kunst begann bereits in jungen Jahren. Er wuchs im kommunistischen Rumänien Nicolae Ceau{escus auf, einer Zeit, in der es nur wenige Möglichkeiten, Kunst zu studieren oder auszustellen gab. Trotzdem war Ghenie von der Kunst fasziniert und begann im Alter von sieben Jahren zu malen. Er besuchte später die Kunstschule in Klausenburg/Cluj-Napoca, wo er von bedeutenden rumänischen Künstlern wie Adrian Gherghel und Cornel Popa unterrichtet wurde. Er ist einer der Absolventen der „Klausenburger Schule“, wie sie in Künstlerkreisen bekannt ist. Eine Besonderheit seines Schaffens stellt das ausgeprägte Interesse für historische Momente dar.
Adrian Ghenie begann seine Karriere als Künstler in den späten 1990er Jahren und machte schnell auf sich aufmerksam. Seine frühen Werke zeigten Einflüsse von Expressionismus und Fauvismus und waren von intensiven Farben und starken Pinselstrichen geprägt. Später wandte er sich einem surrealistischen Stil zu und begann, historische Ereignisse und Persönlichkeiten in seinen Gemälden zu verarbeiten. 2009 eröffnete er zusammen mit mehreren Freunden die Galerie „Plan B“ in Klausenburg/Cluj Napoca.
Eine der bekanntesten Serien Ghenies ist seine Darstellung von Adolf Hitler. In diesen Gemälden zeigt Ghenie Hitler in verschiedenen Lebensphasen, von seiner Jugend bis zu seinem Tod im Bunker. Die Werke erforschen nicht nur die Persönlichkeit des Diktators, sondern auch die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen für die politischen Ereignisse jener Zeit. Ghenies Hitler-Serie wurde 2015 in der National Gallery in London ausgestellt und erfreute sich einer großen Anerkennung.
In seinen jüngeren Arbeiten widmet sich Ghenie der Frage, wie die Geschichte unser Verständnis von Kunst beeinflusst. In seiner Ausstellung „Darwin’s Room“, 2018 in der Pace Gallery in New York gezeigt, untersuchte Ghenie, wie Darwinismus und Evolutionstheorie das Verständnis von Kunst beeinflusst haben. 2015 hatte er Rumänien mit dem Projekt „Darwin´s Room“ bei der Kunstbiennale in Venedig vertreten. Ghenie sprach auch darüber, wie sehr er Vincent van Goghs Verwendung von Farben und seine Fähigkeit bewundert, in seinen Gemälden intensive Gefühle zu vermitteln. Adrian Ghenie schuf mehrere Werke, die sich direkt auf van Gogh beziehen, darunter eine Reihe von Porträts, die den niederländischen Künstler als zeitgenössische Figur neu interpretieren. Es ist jedoch erwähnenswert, dass Ghenie zwar von van Gogh beeinflusst sein mag, sein eigener künstlerischer Stil und seine Interessen sich jedoch von denen des Malers aus dem 19. Jahrhundert unterscheiden.
Adrian Ghenie ist auch für seine Fähigkeit bekannt, verschiedene Techniken und Materialien zu verwenden, um einzigartige Effekte zu erzielen. Er kombiniert Ölmalerei mit Collage-Techniken und fügt Schichten von Lack und anderen Materialien hinzu, um eine tiefe, texturierte Oberfläche zu schaffen. Auch in der Ausstellung „The Impossible Body“ verwendet Ghenie ein besonderes Material, auf das er versehentlich gestoßen ist: Wachspapier, welches u.a. für das Einpacken von Kunstwerken verwendet wird, und das er für die Mischung einiger Farben benutzen wollte. Er bemerkte, dass das Material das Zeichnen in Schichten ermöglichte, das Löschen und wieder darüber Zeichnen, usw. Dieses Papier hat er auch für die Zeichnungen, die in der Ausstellung „The Impossible Body“ zu sehen sind, verwendet. So ist das Zeichnen kein statischer Vorgang mehr, sondern ein dynamischer, stets in Entwicklung befindlicher Akt.
Die Ausstellung von Adrian Ghenie kann bis zum 18. Juni besichtigt werden. Jeden Samstag werden Führungen durch die Ausstellung veranstaltet, entweder mit Gavril Pop, Head of Mediation bei der „Art Encounters“-Stitfung, oder mit der Kuratorin Diana Marincu. Der Besuch der Ausstellung ist kostenfrei.