Während des gesamten Monats Oktober ist im rechten Seitenflügel des Bukarester Museums der Kunstsammlungen in der Calea Victoriei 111 eine Ausstellung mit achtundzwanzig Gemälden des 1972 in Vaslui geborenen und gegenwärtig in Jassy/Iași lebenden bildenden Künstlers Felix Aftene zu sehen. Es handelt sich ausschließlich um Acrylbilder auf Leinwand, teilweise auch unter zusätzlicher Verwendung von Ölfarben. Sämtliche Gemälde sind während der Jahre 2013 bis 2021 entstanden und zählen damit zur aktuellen Kunst unserer unmittelbaren Gegenwart. Mit Ausnahme zweier Bilder sind auf allen Gemälden Tiere wiedergegeben, während der Mensch, zumeist in Gestalt eines männlichen Wesens, weniger oft auf den Bildflächen erscheint.
Der 49-jährige Felix Aftene hat seine künstlerische Ausbildung in Jassy erhalten, zunächst am dortigen Kunstlyzeum „Octav B²ncil²“, danach an der Jassyer Kunstakademie „George Enescu“ in der Abteilung „Monumentalkunst“ als Schüler von Dimitrie Gavrilean. Nach Abschluss seines Studiums als Jahrgangsbester im Jahre 1996 erweiterte Aftene seine künstlerischen Kenntnisse auf Reisen durch Russland, Italien, Frankreich und Marokko. Im Jahre 1998 gewann er einen öffentlichen Wettbewerb, der ihm ermöglichte, sein monumentales Wandgemälde „Babylon“ im Gebäude der Jassyer Finanzdirektion zu realisieren. Ein weiteres im öffentlichen Raum sichtbares Kunstwerk steht vor dem Jassyer Rathaus: die Bronzeskulptur „Zeitkapsel“, die dort im Jahre 2008 anlässlich des 600-jährigen Jubiläums der ersten urkundlichen Erwähnung der moldauischen Metropole aufgestellt wurde. Mit über 30 Einzelausstellungen in Europa und Amerika (seit 1987) und mit über 15 Gruppenausstellungen (seit 2001) im Rahmen der von ihm mitbegründeten Künstlergruppe „Grup 3“ (zusammen mit Gabriela Drinceanu und Zamfira Bârzu) zählt Felix Aftene gegenwärtig zu den bedeutendsten zeitgenössischen Künstlern Rumäniens.
In einem autobiographischen Statement des Künstlers, das in der Bu-karester Ausstellung ausliegt, schreibt Felix Aftene: „Die Malerei bedeutet nicht nur den Anfang einer Geschichte. Sie kann zugleich auch die Art und Weise bezeichnen, eine Geschichte zum Abschluss zu bringen, die du viel zu lange mit dir selbst herumgetragen hast.“ Ganz konkret bezieht sich Aftene damit auf seine eigene Familiengeschichte, auf die Jagdleidenschaft seines Großvaters wie seines Vaters und auf die traumatisierenden Jagderlebnisse, die der Künstler als Knabe zu erdulden hatte: den ohrenbetäubenden Mündungsknall der Gewehre, das Verenden der getroffenen Tiere vor den eigenen Augen. „Ich habe die Jagd verabscheut, noch bevor ich wusste, was das Verb ‚verabscheuen’ bedeutet.“
So kann diese Ausstellung im Bukarester Museum der Kunstsammlungen als kreative Psychoanalyse betrachtet werden, die seelische Traumata der eigenen Kindheit Felix Aftenes mit malerischen Mitteln erinnert, wiederholt und durcharbeitet. Aber nicht nur! Vielmehr wirft sie grundlegende Fragen des Zusammenlebens von Mensch und Tier auf: Fragen einer geschöpflichen Ethik, die die Tierwelt mit einschließt, Fragen der Diätetik, ökologische Fragen der Artenerhaltung und sozialpsychologische Fragen nach der Rolle der Tiere in hoch entwickelten Gesellschaften.
Betritt man den ersten und kleinsten Raum der Ausstellung, so wird man bereits beim Bild „Darwin gegen Gott“ (2014) links der Eingangstür mit tierförmigen Wesen konfrontiert, die genauso gut Mensch und Affe wie auch Bär oder Eule sein können. Das „Drama der Suprematie“ wird in dem in diesem Jahr entstandenen Gemälde von Felix Aftene zur Abwechslung einmal nicht zwischen Mensch und Tier ausgetragen, sondern zwischen einem anthropomorphen Hirsch als Priester bzw. Henker und einem Hasen, der auf einem im Wald stehenden Altar als Schlachtopfer dargebracht wird, ob den Göttern oder den Menschen, bleibt dahingestellt. Im Gemälde „Das Spiel“ (2018) stürzen sich ein Mann mit Hundemaske und ein als Haustier gehaltener Hund gemeinsam auf ein Paket, das auf dem Fußboden geöffnet dasteht.
Auch Kinder werden in diese tierisch-menschliche Spielwelt mit einbezogen. Im Gemälde „Städtisches Spiel“ (2014) schaut ein Mädchen zu, wie sich ein Hund auf dem Rücken wälzt, während man im Hintergrund eines Autos, das gänzlich von einer Schutzhaube umhüllt ist, ansichtig wird. Und ein anderes Mädchen erträumt sich „Neue Perspektiven“ (2014), indem es, selbst puppenhaft, mit melancholischem Blick neben einem Schaukelpferd verharrt, auf dem eine Plüschkatze als Stofftier thront.
Der zweite und größere Ausstellungssaal versammelt Bilder aus den Jahren 2012 bis 2015, aus jenem Zeitraum, in dem Felix Aftene an seinem Zyklus „Taxidermie“ gearbeitet hat. „Taxidermie“, also die Kunst der Haltbarmachung von Tierkörpern zu Studien-, Lehr- oder Dekorationszwecken, ist auch der Titel eines Gemäldes aus dem Jahre 2012, das einen Mann zeigt, der in einem naturhistorischen Museum einem Baby die Flasche gibt, inmitten einem Ambiente von Vitrinen, aus denen ausgestopfte Pelikane und andere präparierte Tiere hervorlugen. „Puppenspiel“ (2014) zeigt einen Mann mit Hasenohren vor einer Vielzahl reparaturbedürftiger Puppen, und im Bild „Anstehen für Fleisch“ (2021) springt ein angeleinter Hund vor einem Laden einen Mann mit rot befleckter Arbeitsschürze an, die gleichermaßen eine Metzger- wie eine Malerschürze darstellen könnte. „Die Heiratsfähige“ (2021) zeigt ein einsames Reh vor einer Industrieruine, und in dem Bild „Die verrückte Kuh“, das an verwandte Sujets wie den geschlachteten Ochsen von Rembrandt oder von Chaim Soutine erinnert, hängt eine Kuh vor zwei Baracken gleichsam vom Himmel herab als ein zum Ausbluten aufgehängtes Schlachtvieh. Und das Bild „Leere“ (2014) zeigt einen jungen Mann mit einem Hasen im Arm: ein Gemälde, das an Dürer und Joseph Beuys denken lässt.
Im dritten und größten Ausstellungsraum ist die andere Hälfte der Bilder von Felix Aftene zu besichtigen, die derzeit im Bukarester Museum der Kunstsammlung gezeigt werden. „Die Trophäe der Evolution“ (2014) zeigt einen Mann, aus dessen Kopf ein Ballon, eine Blase, eine Gebärmutter hervor wächst, aus der ihrerseits menschliche Finger nach draußen greifen. Das Setting dieses Gemäldes ist nahezu identisch mit demjenigen des Bildes „Ausgestopfter Raum“ (2013), wo ein Mann in einer Museumslandschaft mit Geweihen aller Art an den Wänden und neben einem veritablen Hirsch in einer Vitrine zu sehen ist. „Unnatürlich“ (2014) inszeniert die berühmte antike Statue des Diskuswerfers, des Diskobolos von Myron, allerdings in unheimlicher Umgebung: inmitten von Vitrinen mit spiegelnden Gläsern, hinter denen nur an einer einzigen Stelle ein bedrohlicher Raubtierkopf sichtbar wird, der an die dionysischen Wurzeln apollinischer Reinheit gemahnt, wie sie einst Burckhardt, Bachofen, Rohde und Nietzsche freigelegt haben.
Das Thema der Taxidermie wird auch in diesem letzten Ausstellungssaal in mehreren Gemälden berührt, wie etwa in „Der Taxidermist“ (2016) oder in „Taxidermisches Spiel“ (2014), wobei Nager wie Ratten oder Murmeltiere, aber auch Bären, Keiler, Hirsche oder Eulen zur Darstellung kommen. Beeindruckend ist das in diesem Jahr entstandene Gemälde „Zu verkaufen“, das einen im Stile Francis Bacons entstellten Mann an einem Wirtshaustisch zeigt, während ein ausgestopfter Marder lebensecht, hellwach und völlig überrascht den Betrachter anzublicken scheint. Und das Bild „Die Nostalgie der Photographie“ (2021) zeigt einen Mann im Anzug mit roter Clown-Nase und Dalí-Bart zwischen einem ausgestopften Reh und einem ausgestopften Bären vor dem Hintergrund einer Fototapete mit Waldszenerie. Die Bilder der Männer mit Joker-Maske – „Wachzustand“ (2018) und „Meine ganze Geschichte“ (2020) – evozieren die Traumata der Jagd und der damit verbundenen Tötung von Tieren und bringen so noch einmal das Thema der Gewalt aufs Tapet, das auch das Gemälde „Wilderei“ (2015) charakterisiert. Insgesamt also eine sehenswerte Ausstellung, die nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern auch durch die besondere Farbgebung der Bilder und deren je spezifische kompositionelle Struktur künstlerisch überzeugt!