Der rumänische Historiker Lucian Boia, Professor an der Fakultät für Geschichte der Universität Bukarest, veröffentlichte bereits zahlreiche Bücher und beschäftigt sich darin vor allem mit der Ideengeschichte und dem Imaginären. In seinem 1997 erschienenen Buch „Istorie şi mit în conştiinţa românească“ (Geschichte und Mythos im rumänischen Bewusstsein) interpretierte er die rumänische Geschichte neu, untersuchte aber auch die Geschichte Westeuropas aus neuen Perspektiven. Phänomene wie Nationalismus und Kommunismus sowie die Demokratiegeschichte erforschte er hinsichtlich ihrer mythologischen Strukturen.
In der Reihe „Forum: Rumänien“ des Verlags Frank & Timme widmet er sich in zwei Bänden, welche nun in deutscher Sprache erschienen sind, der rumänischen Elite.
In den vergangenen 20 Jahren wurden Handeln und Entscheidungen von rumänischen Intellektuellen kontrovers diskutiert. In den meisten Fällen sind dies einseitige Beschuldigungen oder beschwichtigende Verteidigungen. Damit werden diese Darstellungen weder der historischen Situation noch der komplexen Quellenlage gerecht. Die Jahre zwischen 1930 bis 1950 sind in Rumänien von drastischen politischen Veränderungen geprägt. Die Gesellschaft und insbesondere die Elite musste sich, teils innerhalb weniger Monate, immer wieder neu darauf einstellen. Im Band 21 der Reihe „Forum: Rumänien“, „Fallstricke der Geschichte – Die rumänische Elite von 1930 bis 1950“, schafft der Historiker ein gesellschaftliches Panorama, welches darstellt, wie sich geschichtliche Ereignisse, persönliche und politische Interessen, Stolz, Ehrgeiz und Machtspiele für manche Intellektuellen eben zu „Fallstricken der Geschichte“ verbunden haben.
Der Band 22, „Die Germanophilen – Die rumänische Elite zu Beginn des Ersten Weltkrieges“, entstand, weil sich in der rumänischen Geschichtsschreibung bis heute ein Mythos hält: Bis auf wenige Ausnahmen unter den Politikern sei einheitlich das „nationale Ideal“ unter den Rumänen vertreten worden; man sei in den Krieg gegen Österreich-Ungarn eingetreten, um sich mit Siebenbürgen vereinigen zu können. Die Presse und andere Dokumente jener Zeit zeigen jedoch, dass ein Großteil der rumänischen Intellektuellen für einen anderen Weg plädierte. Boia stellt diese „Germanophilen“, ihre Überzeugungen, Beweggründe und Argumente vor. Er zeigt, wie sie sich während der deutschen Besatzung verhielten und wie sie, nach dem unerwarteten Sieg der Gegner, politisch und intellektuell überlebten.
Konrad Petrovszky bezeichnete Boias früheres Werk „Geschichte und Mythos im rumänischen Bewusstsein“ in einer Rezension des Osteuropa Instituts der Freien Universität Berlin als „ohne Zweifel das spektakulärste Buch, das von der rumänischen Nachwende-Historiografie hervorgebracht wurde.“ Die Argumentation des Historikers bezeichnet er als provokativ aber brillant. Die Lobeshymnen aus Fachkreisen und die Diskussionen, die Boia entfachte, machen ihn zu einem bedeutenden Historiker, dessen Werke als lesenswert vermerkt werden müssen.