Wer das ARD-Fernsehprogramm „Das Erste“ in Rumänien empfangen kann, hatte die Gelegenheit, im Laufe des Monats März einen TV-Sechsteiler zu sehen, der die Geschichte einer Familie im Nachkriegsdeutschland und in Zeiten des Wirtschaftswunders erzählt. Für diejenigen, die diese TV-Miniserie verpasst haben, besteht noch bis Mitte Juni die Möglichkeit, die sechs Folgen dieser Staffel mit einer Gesamtdauer von viereinhalb Stunden über folgenden Link zur ARD-Mediathek kostenlos im Internet abzurufen: https://www.daserste.de/unterhaltung/film/unsere-wunderbaren-jahre/index.html
Die literarische Grundlage dieser aktuellen Verfilmung von Elmar Fischer ist der gleichnamige Roman „Unsere wunderbaren Jahre“ des Bestsellerautors Peter Prange aus dem Jahre 2016, der hauptsächlich im sauerländischen Altena spielt, wo der 1955 geborene Schriftsteller selbst aufwuchs, aber auch in Düsseldorf, Tübingen und Ost-Berlin. Gedreht wurde der ARD-Mehrteiler in Solingen, Gummersbach, Düren, Köln etc. sowie an verschiedenen Orten in Tschechien.
Ein derart großer Publikumserfolg mit über 6 Millionen Fernsehzuschauern und (bis Ende März) nahezu 8 Millionen Abrufen in der ARD-Mediathek beschäftigte natürlich die Riege der sich an Maßstäben der Hochkultur orientierenden Fernsehkritiker, die vor folgendem Dilemma standen: Einerseits wollte man das Fernsehvolk weder der historischen Unbedarftheit noch des blinden Konsumis-mus zeihen, andererseits aber die eigenen Ansprüche und Standards im Hinblick auf qualitätsvolle Filme keineswegs aufgeben. Die Lösung des Dilemmas war, wie nicht anders zu erwarten, ein Totalverriss. Hier einige Kostproben: „Seifenoper“ (SPIEGEL), „Eine einzige Sülze“ (ZEIT), „Liebesschmonzette“ (FAZ), und Hans Hoff bricht in der „Süddeutschen Zeitung“ den Stab über Elmar Fischers Literaturverfilmung mit folgendem Generalverdikt: „Ein ausgefranstes Rührstück, das als Familiensaga startet und schnell zur quietschbunten Soap gerät. Mit viel Farbe werden die grauen Jahre nach dem Krieg koloriert, werden verfilmte Ansichtskarten aneinandergereiht und ein streckenweise unerträgliches Panoptikum aus Schwulst, Schmalz und Schmonzes gezeigt“ (SZ vom 17. März 2020).
Man kann die Verfilmung des Prange-Romans „Unsere wunderbaren Jahre“ aber auch etwas entspannter und mit den Augen des Theaterdirektors aus Goethes „Faust“ betrachten, der im „Vorspiel auf dem Theater“ die Devise ausgibt: „Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen, / Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. / Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; / Und jeder geht zufrieden aus dem Haus. / Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken! / Solch ein Ragout, es muss Euch glücken.“
Ohne nun die Handlung des Filmes „Unsere wunderbaren Jahre“ rekapitulieren zu wollen und damit qua Spoiler den Filmgenuss, so er sich denn einstellen sollte, zu schmälern, sei vorneweg auf eben jenen Ragout-Charakter näher eingegangen, der Elmar Fischers historischem Filmopus nach dem Drehbuch von Robert Krause und Florian Puchert in der Tat eignet. Es gibt wohl kein Thema der Nachkriegszeit, das dieser sechsteilige Streifen auslässt. Ein überladenes und zugleich kaleidoskopartiges historisches Panorama, das aufgrund seiner überbordenden Fülle den Fernsehzuschauer in den Sog einer filmischen Atemlosigkeit hineinreißt, sorgt, zusätzlich zerstückelt durch häufige Filmschnitte, für eine Prävalenz von vordergründiger Spannung zu Lasten von historischer Reflexion.
Alles ist in Elmar Fischers TV-Serie aufgeboten: Das Metallwerk, das sich im Dritten Reich der Rüstungsproduktion verweigerte, aber dann doch durch die Lieferung von Stacheldraht an ein Konzentrationslager Schuld auf sich lud; der Industrielle mit der braunen Weste, der seinen fehlenden Persilschein durch Kapital und Chuzpe wettmacht und nach der Währungsreform als Anteilseigner bald wieder mit im Geschäft ist; der in der Reichspogromnacht enteignete jüdische Apotheker, der zwar seinen Lebensretter vor einer Anklage bei der Militärregierung der britischen Besatzungszone bewahrt, ihn aber bei dessen Beerdigung als Lügner entlarvt wie als Kollaborateur brandmarkt; der SS-Offizier, der in der gestohlenen Uniform eines einfachen Wehrmachtssoldaten aus dem Krieg heimkehrt und einen unbeschwerten Neuanfang im Nachkriegsdeutschland versuchen möchte. Die braune Kontinuität in der deutschen Nachkriegsgeschichte ist in Elmar Fischers TV-Serie jedenfalls mehr als deutlich ins Bild gerückt.
Aber auch die jüngere Generation, die, in der Weimarer Republik geboren, von den dunklen Machenschaften der Eltern während der Nazizeit gleichwohl nichts weiß oder ahnt, kommt in Elmar Fischers Literaturverfilmung zu Wort: die eine junge Frau, die zwischen Selbstbestimmungswillen und den Pflichten gegenüber ihrem Ehemann wie ihren Eltern hin und her gerissen ist; die andere, die als überzeugte Nationalsozialistin zunächst nach Argentinien auswandern möchte, dann aber bereut und für ihre persönliche Schuld sogar ins Gefängnis geht; die dritte, die sich, durch den Krieg schwer traumatisiert, kopfüber in eine Ehe stürzt, dann aber doch durch eiserne Disziplin die Oberhand über das Chaos in ihr und um sie herum gewinnt; oder der junge Schönling, der, viel zu unversehrt und wohlgenährt für seine Vergangenheit als dekorierter Wehrmachtsgefreiter, nun als überzeugter Sozialist beim Wiederaufbau in Ost-Berlin hilft, bevor ihn die Ereignisse des 17. Juni 1953 dazu bewegen, aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren.
Angereichert wird dieser Problemcocktail der jüngeren Generation im Deutschland der Nachkriegszeit noch durch Themen neueren Datums wie etwa Gleichberechtigung in der Partnerschaft oder Vergewaltigung in der Ehe, ferner durch Nachtclubszenen, die eher ins Berlin der Zwanziger Jahre als in die Zeit des deutschen Wirtschaftswunders passen, und natürlich durch viel Sex, wobei besagter Schönling, jener „Westentaschen-James-Dean von Altena“ (SZ), am häufigsten verführt wird und auch selbst verführt.
Neben den schönen, wenngleich oftmals recht steril wirkenden Bildern (Kamera: Felix Novo de Oliveira) ist die hervorragende Besetzung des Films hervorzuheben, insbesondere die weiblichen Akteure (Katja Riemann, Anna Maria Mühe, Marleen Lohse, Elisa Schlott, Vanessa Loibl), aber auch die männlichen Protagonisten (Thomas Sarbacher, Hans-Jochen Wagner). Aufgrund der Atemlosigkeit der Regie kommen die Schauspieler als solche aber generell weniger zur Geltung und bleiben daher oft hinter ihren wahren Möglichkeiten zurück. Symptomatisch hierfür ist die Szene am Mittagstisch in der Fabrikantenvilla, wo sich Mutter und Töchter in Schuldbekenntnissen gegenseitig überbieten, die, in rasender Schnelle und gleichsam überstürzt dargeboten, ohne jede filmkünstlerische Tiefe bleiben.
Auch wenn Elmar Fischers Adaptation des Prangeschen Generationen- und Familienromans einiges zu wünschen übrig lässt, so bietet sie doch annehmliche Fernsehunterhaltung mit schönen Bildern und von historischer Relevanz, wie man sie auch in den beiden TV-Dreiteilern „Ku’damm 56“ (2016) und „Ku’damm 59“ (2018) von Sven Bohse genießen kann, die beide, gleichsam in geschichtlicher Kontinuität zur Serie „Unsere wunderbaren Jahre“, über die ZDF-Mediathek abgerufen werden können.