Selten beginnen Kochrezepte mit einem strahlenden Lächeln und einer Jahreszahl. Im Vordergrund dieses Büchleins stehen nicht nur die Gerichte, sondern die 21 Köchinnen und zwei Köche. Die Zutaten: ein großes Stück Liebe, mitgebracht von jenen, die ihre Rezepte gesammelt und aufgeschrieben haben, dann kommt ein Löffel Schicksal von jedem Koch in den Topf, gewendet in einem warmen Lächeln, gewürzt mit einer Prise bittersüßen Lebens, verziert mit Anekdoten und Erinnerungen. Und fertig ist das Erfolgsrezept eines Altenheims mit Herz, in dem nicht nur die Küchentraditionen seiner Bewohner weiterleben. „Oma hat‘s gekocht und Opa hat‘s geschmeckt“ ist mehr als nur ein ansprechend bebildertes zweisprachiges Kochbuch (deutsch/rumänisch), und der Genuss ist nicht nur für den Gaumen, sondern auch für die Seele bestimmt.
Zu den gemeinsamen Mahlzeiten versammeln sich die Senioren im Dr. Carl Wolff Altenheim in Hermannstadt/Sibiu wie eine große Familie. Die Gerichte, die oft sogar zusammen zubereitet werden, sind Erinnerungen an ihr früheres Zuhause, an Feste und Feiertage, bei denen bestimmte Speisen nicht fehlen durften – und auch heute im Heim nicht fehlen. Der Duft, der dann durch die Räume wabert, reflektiert nicht nur die verschiedenen Heimatorte der Deutschen im ganzen Land, sondern auch ein bewegtes Jahrhundert. In den Rezepten spiegeln sich gute und schlechte Zeiten wider, in den meist schlichten Zutaten ein Alltag ohne Überfluss. Die Gerichte entsprechen erstaunlicherweise den modernen Anforderungen von Nachhaltigkeit und bewusster Ernährung, „viele kommen ohne Fleisch aus, selten trieft es von Butter, Eier und Zucker werden sparsam verwendet“, bemerken Hannelore Baier, Ursula Philippi sowie Adriana und Gerold Hermann, die die Rezepte in Interviews mit den Heimbewohnern gesammelt haben. Obst und Gemüse kommen saisongerecht aus dem eigenen Garten. Selbst die Teemischungen aus Lavendel, Salbei, Thymian, Kornblume oder Ringelblumen, die man dort trinkt, aber auch gerne mal als kleines Dankeschön verschenkt, werden in liebevoll angelegten Kräuterbeeten gezogen, wie die bunten Bilder bezeugen.
Aus dem Leben und der Küche geplaudert
Die meist schlichten Rezepte gelingen auch weniger erfahrenen Köchen. So manches erinnert an die Kindheit, an den Besuch bei den eigenen Großeltern. Schon beim Blättern läuft das Wasser im Mund zusammen, zwischen den Seiten scheint es herauszuduften – nach den gefüllten Kohlrabi von Oma Margit Gagyi, einer ehemaligen Postbeamtin aus Mediasch, nach der „Gemüsesuppe, was der Garten hergibt“ von Oma Ingeborg Galter, die als Pfarrfrau sicher viele Beete zu versorgen hatte, sind doch Pfarrhäuser immer von großen Gärten umgeben. Sie hält auch einen ungewöhlichen Tipp parat: die Suppe mit Rhabarber oder Stachelbeeren säuern.
Auch Opas können kochen: Die Salatsuppe von Gerhard Giresch aus Marienburg, einst Landwirt, schmeckt sicher auch Ehefrau Ingrid Giresch, die ebenfalls im Heim wohnt. Kochen hat der früher alleinstehende Mann gelernt, als er die Tochter eines verstorbenen Freundes großzog. Bis ihm Oma Ingrid, „Frau Professor“ der Mathematik in Heltau und Hermannstadt, heute aktive Chorsängerin, über den Weg lief. Unter ihrer Prämisse „Gemüse statt Fleisch“ wartet sie auf der nächsten Seite mit panierten Zucchini auf.
Der Semmelschmarrn von Oma Marga Grau aus Hermannstadt stammt noch aus dem Kochbuch ihrer Mutter, verrät sie. Man reichte ihn nach einer kräftigen Suppe, so die Hermannstädter Biologielehrerin.
Herzhaft mit Fleisch kochte hingegen Oma Caroline Gräf aus Reschitza: Paprikasch mit Spätzle, das Lieblingsgericht ihres Sohnes Rudolf, heute Prorektor der Klausenburger Babeș-Bolyai Universität.
Schlicht „Malai“ nennt sich der goldgelbe Palukes-Quarkkuchen von Anna Gunesch aus Probstdorf, die aus gesundheitlichen Gründen nur verübergehend im Heim wohnt und sich bereits nach ihrem Haus und Garten sehnt.
Christa Hellmann, ehemalige Arzthelferin aus Kronstadt, versorgte ihren Haushalt sogar aus dem Rollstuhl, nachdem ihr wegen Diabetes beide Beine amputiert werden mussten. Den Humor hat sie nicht verloren, wie ihr Rezepttitel „Besoffene Grießtorte“ (auf rumänisch „ersoffene“…) beweist.
In der Wohnküche, die Oma Waltraut Lenz in Petersdorf 20 Jahre lang mit fünf Personen – Mutter, Großmutter und drei Geschwistern als einzigen Raum teilte, nachdem der Vater im Krieg gefallen war, roch es wohl oft verführerisch nach ihren in Bröseln gewendeten Topfenknödeln. Im Kontrast dazu ist der Truthahnbrust-Braten von Oma Gabriela Lokodi, die aus der Moldau nach Hermannstadt geheiratet hatte, purer Luxus.
Ihren himmlischen Rhabarberkuchen backt Oma Hilde Lutsch aus Hermannstadt, die sogar bis zum 90. Lebensjahr ihren Haushalt alleine versorgte, inzwischen wohl im Himmel....
Ein Rezept ihres Großvaters verrät feinsinnig lächelnd Annemarie Lux aus Mediasch: Vanillekränzchen, hmmm! Oma Erika Pieldner aus Heltau hat immer einfach gekocht, wie sie betont, und wollte kaum glauben, dass ihre gefüllten Paprika in Tomatensoße tatsächlich in einem Kochbuch gelandet sind.
Oma Ukrike Prișca kocht nicht nur ein feines Hühner-Ragout, die ehemalige Emaille-Fabrikmalerin aus Mediasch nimmt auch heute noch als Hobby gern den Pinsel in die Hand, bei den Ergotherapie-Stunden im Heim.
Die Kerbelsuppe von Oma Gertrud Rehner kennen nur Sächsinnen, wie sie in einer Anekdote vom Markt verrät. Man hat sie in der Karwoche oder am Ostersonntag gegessen, so die ehemalige Pfarrfrau aus Sächsisch-Regen.
Ihrer ungarischen Großmutter, die hervorragend backen konnte, verdankt Oma Nidia Rimbaș aus Arad das Rezept ihrer Baiser-Torte. Die Blätter aus getrocknetem Eischnee konnte man sogar monatelang lagern.
Aus Österreich hingegen stammt die Baumstammtorte von Oma Hilde Schneider, die bei ihr sogar mit Schokoblättern verzierte Äste hat.
Jeder Torte zogen die Gäste von Oma Emma Schobel aus Neustadt ihren Hanklich vor - das Geheimnis: den Rahm machte sie selbst!
Mit Keks und Pflaumenwurst verwöhnte die ehemalige Lehrerin und Pfarrfrau Hermine Schullerus aus Hermannstadt, „Minnerle-Tante“, ihre Lieben.
Als einziger Profi-Koch und einer der ersten Mitarbeiter des Heims, in dem er jetzt wohnt, erinnert sich Opa Martin Schuster gerne an seine Spezialität, „italienischen Salat“ mit Wurst, Äpfeln und sauren Gürkchen.
Warum der Radio-Kuchen so heißt, verrät Oma Ilse Sommer aus Heltau nicht, sondern nur, dass sie das Kochen von ihrer Mutter gelernt und sich die besten Rezepte schon damals als jung verheiratete Frau notiert hat. Ob sie dieses im Radio gehört hat?
Das Moussaka aus Kartoffeln und Hackfleisch hat sich Eva Sonns Tochter Christel Ungar-Țopescu gewünscht, als sie ihren späteren Ehemann, den Sportreporter Cristian Țopescu, zum ersten Mal zu Hause präsentierte, erzählt Oma Eva, ein seliges Lächeln unterstreicht die Erinnerung.
„Hast du Röllchen gemacht?“ Das wurde Oma Maria Theil aus Großpold stets erwartungsvoll von einem hohen Gast aus Österreich gefragt, als sie noch für die Kärntner Landlerhilfe arbeitete - gemeint waren ihre Nussschnecken. Den Job bei der Landlerhilfe verdankte sie ihrem Führerschein - und ihrer Gastfreundschaft: Sie hatte einen auf seine Delegation auf der Straße wartenden Mann zu einem Teller Suppe eingeladen – und kurz darauf elf Männer in ihrer Küche gehabt, für die die Suppe natürlich nicht reichte. Gut, dass noch Räucherwurst da war!
Ein Heim, das Unterstützung verdient
Wer jetzt Lust bekommen hat, die genannten Gerichte und weitere Rezepte auszuprobieren, gewinnt damit nicht nur einige Omas und Opas dazu... Mit dem liebevoll gestalteten und bebilderten Büchlein wird auch ein besonderes Altenheim in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt: Ein Heim, das Unterstützung verdient (Spendenkonten vermerkt diskret das Lesezeichen im Buch), das aber vor allem vielen alten Menschen ein echtes Zuhause geworden ist, weil ihre Traditionen dort - auch in der Küche, aber nicht nur – weiter leben dürfen: mit Lammbraten und Eierfärben an Ostern, Lebkuchen backen in der Weihnachtszeit, einem Wunschmenü und einer Obssttorte „vom Haus“ für jedes Geburtstagskind, mit Pfannkuchentagen und gemeinsamem Auberginenrösten im Hof. Mit Bildern von Senioren, die glücklich lächeln, fast wie Kinder in einem Ferienheim – ist das Alter nicht eine Art Rückkehr in die Kindheit? Und mit einer besonderen Heimmutter, die erwähnt zu werden verdient: Ortrun Rhein, die Leiterin des Dr. Carl Wolff Altenheims. Eine Mitautorin des Büchleins bemerkt voll Ehrfurcht: „Sie sollte den Nobelpreis erhalten!“