Es ist Montag, fünf Uhr nachmittags, als mein Handy klingelt. Andreiana Mihail ist am Telefon. Ihr Meeting sei bereits vorbei und sie hätte jetzt Zeit für ein Interview. Verabredet waren wir eigentlich erst gegen sechs, aber Andreiana Mihail, eine der wichtigsten Galeristinnen des Landes, lässt man nicht warten. Kurzentschlossen rufe ich ein Taxi und fahre zur vereinbarten Adresse. Es ist ein Café in der Bukarester Innenstadt. Als ich ankomme, ist sie bereits da. Vor ihr ein Espresso, daneben zwei Mobiltelefone. Sie komme gerade von einem Treffen mit Vertretern der Tate Gallery, einem britischen Museumsverbund, der in vier verschiedenen Häusern ausstellt. In London befindet sich das Tate Modern. Es liegt direkt an der Themse und wirkt von außen mit seinen hohen, roten Backsteinmauern ziemlich unspektakulär. Innen jedoch findet sich eine der weltweit größten Sammlungen moderner Kunst. Das Tate zählt mehr als 4,5 Millionen Besucher jährlich. Worum es bei dem Meeting ging, frage ich. Sie sagt es, fügt jedoch hinzu: „That‘s off the record. - das heißt, es ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.
Wir wechseln das Thema. Der Grund für das Interview ist ein anderer. Ab dem 2. Oktober 2014 sind zahlreiche rumänische Künstler erstmals in einer gemeinsamen Sonderausstellung auf der Viennafair vertreten. Die Viennafair ist eine jährliche Kunstmesse in Wien. Mihail ist die Kuratorin der Ausstellung „Dialog: New Energies“. „Wir wollen ein Panaroma von dem zeigen, was es derzeit gibt. Aber auch von dem, was es in der Vergangenheit gab“, sagt sie und fügt hinzu: „Die Ausstellung soll die kulturgeschichtliche Entwicklung Rumäniens der letzten 50 Jahre spiegeln.“
Gezeigt werden mehr als 30 Künstler, die wiederum von sieben Galerien repräsentiert werden. Namentlich sind das Anaid Art, Anca Poteraşu und Zorzini aus Bukarest, Jecza aus Temeswar/Timişoara, Plan B aus Klausenburg/Cluj sowie die beiden Bukarester Non-Profit-Spaces Atelier 030202 und Alert Studio. Non-Profit-Spaces sehen sich in erster Linie als Entwicklungsraum für Künstler jenseits des Marktes, wohingegen bei Galerien der Verkauf von Kunstwerken im Vordergrund steht. Gesponsert wird die Ausstellung von dem österreichischen Gas- und Ölriesen OMV.
Leitmotiv Zeitgeist
Es ginge darum, eine große Bandbreite abzubilden, meint Mihail. Arrivierte Künstler, die in den 1960er und 1970er Jahren mit ihrer Arbeit begannen, sind daher genauso vertreten, wie junge, als aufstrebend betrachte Maler, Bildhauer und Fotografen. Auch die Bandbreite der Exponate sei groß. Sie reiche von Gemälden, Plastiken, Installationen und Fotografien bis hin zu Videoperformances, so die Kuratorin.
„Die jeweiligen Auffassungen von Zeit und Zeitgeschichte, die in den Arbeiten zum Tragen kommen, faszinieren mich. Der Prozess, wie Geschichte in das künstlerische Schaffen einfließt und wie sie darin ver- und bearbeitet wird, hat sich in den letzten zehn Jahren stark verändert. Die rumänische Kunstszene hat Anschluss an die internationale Szene und damit neue Ausdrucksweisen gefunden. Die Lücke, die es nach der Revolution 1989 zwischen uns und Westeuropa gab, hat sich sehr schnell geschlossen.“ Junge Künstler, die heute 25, 26 Jahre alt sind, würden „ihre eigenen Geschichten“ erzählen, wohingegen die Vorwende-Generation noch immer von der Vergangenheit geprägt sei. Es sei der Zeitgeist, der sich verändert hat. Sie nimmt einen Schluck von ihrem Espresso, blickt kurz auf und sagt schließlich: „Ich meine, schau‘ dich mal um. Dieses Café könnte überall in Europa sein“, dabei breitet sie ihre Arme aus, als wollte sie die Welt umarmen. Ich sehe mich um, blicke vielleicht etwas zu skeptisch, aber sie hat recht. Einen Ort wie diesen habe ich schon in vielen Städten gesehen.
Verlorene Unschuld
Der Kunstsammler und Berater Stefan Simchowitz gilt derzeit als Enfant terrible des Kunstmarktes. Er kauft die Werke junger Künstler zu niedrigen Preisen und verkauft sie zu deutlichen höheren an Kunst-Spekulanten. Die einzelnen Stücke dienen dabei als Anlageobjekt, mit dem sich kurz- und mittelfristig Gewinne erzielen lassen. Simchowitz wird vorgeworfen, er würde junge Talente verheizen. Kunst ist also Business. Auch hier in Bukarest? Andreiana Mihail verneint dies. Als Galeristin ginge es ihr vielmehr darum, Künstlern eine nachhaltige Entwicklung zu bieten. Es sei wichtig, mit den richtigen Sammlern und Museen in Kontakt zu treten. „Als wir vor etwa zehn Jahren mit der Galerie anfingen, waren wir sehr enthusiastisch. Aber dann kam der Punkt, an dem unsere Arbeit fokussierter und professioneller wurde. Wir haben uns weiter entwickelt und dabei die Unschuld der Anfangstage verloren.“ Zu dieser Entwicklung gehörte auch zu erkennen, dass kein echter Kunstmarkt in Rumänien existiert. „Es gibt nur einige wenige Sammler. Vielleicht fünf bis zehn“, sagt Mihail. Sie war bereits achtmal auf der Messe in Wien. „Wir mussten ins Ausland, nur dort gibt es einen Markt.“ Zudem mangele es an staatlicher Unterstützung. Sie betrage „fast null“, stellt die Kuratorin fest.
Inzwischen ist es halb sieben. Das Café füllt sich. Das Abendpublikum hält Einzug. Ihre Espressotasse ist leer, daneben noch immer die beiden Mobiltelefone. Plötzlich klingelt eins. Es folgt ein kurzes Gespräch. Wien ist am Apparat. Sie müsse jetzt los. Es sei noch etwas vorzubereiten. Ion Grigorescu, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler Rumäniens, werde auf der Messe seine Tagebücher vorstellen. Das werde spannend, sagt sie noch, bevor sie ins Taxi steigt und hinter einer Häuserecke verschwindet.