Die 27. Deutschen Literaturtage von Reschitza hatten 2017 mehrere Anfänge und gleich drei Finale. So paradox das klingt, es war tatsächlich so. Die Präambel der Literaturveranstaltung bildete im Alexander-Tietz-Zentrum der Auftritt der steirischen „Sterzrunde“ aus dem Weinland (sie selbst nennen sich „aus dem Grabenland“, weil die südsteirische Gegend, von wo der lockere, literarisch interessierte Verein kommt, eben so heißt, „Grabenland“). Die mit vielen Büchern und Büchlein Gesegneten gestalteten einen Spätnachmittag und Abend, in dessen Rahmen sie nicht nur ihre Heimat und ihr Leben, einschließlich das häuslich-eheliche Zusammenleben, in Vers und Reim besangen (selbst Erzählungen waren gereimt und versifiziert, teilweise auch im faszinierenden, uns gut verständlichen steirischen Dialekt, der mit dem Süddeutsch-Bajuwarischen verwandt ist). Hans und Grete Riedl und ihre Freunde schlugen sich gut bei dieser Einwärmrunde zu den Literaturtagen, an denen sie bis zum Schluss begeistert teilgenommen haben.
Die zweite Eröffnung gab es durch Dagmar Dusil, in Deutschland lebende Ex-Hermannstädterin, die im Diaconovici-Tietz-Kolleg Kinderliteratur las. Freitagvormittag gab es aber auch eine dritte Vor-Eröffnung der 27. Deutschen Literaturtage in Reschitza durch die Verleihung der Ehrenbürgerwürde und eine Hommage-Veranstaltung für Dr. Volker Wollmann, den vielseitigen Industriehistoriker und -archäologen, der dabei ist, das monumentalste Werk zur Industriegeschichte Rumäniens zu veröffentlichen und der mit „Salz und Silber in Siebenbürgen“ schon einmal auf diesem Gebiet Herausragendes publizierte und eine international vielbeachtete Ausstellung zusammengestellt hatte.
Wer die darauffolgende Veranstaltung im Aleander-Tietz-Zentrum besuchte, dürfte keinen Zweifel haben, dass Geschichtsschreibung und Literatur unbedingt zusammenpassen und dass Theodor Mommsen für seine „Römische Geschichte“ nicht ganz zufällig den Literatur-Nobelpreis bekommen hat – und er hat ihn verdient, was über den geschäftstüchtigen Bob Dylan und seine Verse mit Gitarrenbegleitung nicht bedingungslos behauptet werden kann.
Erst nach diesen drei „Vor-Eröffnungen“ folgte nachmittags im Festsaal des Sozialzentrums „Frédéric Ozanam“ der Reschitzaer „Gemeinschaft zum Heiligen Vinzenz von Paul“ die eigentliche Eröffnung, mit zwei Fotoausstellungen (zweimal über „verborgene Schätze“, Sloweniens und Reschitzas, von Gero Angleitner und Camelia Duca) und mit einer Lesung mehrerer Autoren: Horst Samson (der Lyriker par excellence und Gelegenheitstroubadour las einen Prosatext, in welchen er geschickt Gedichte einbaute), Nora Iuga (herausragend ihre zehn Gedichte auf Deutsch, eine lyrische Offenbarung), Joachim Wittstock (eine Docufiction über den ehemaligen Talmescher Forstbetrieb „Feltrinelli“, ehemals der größte Forstbetrieb Großrumäniens, geschrieben und vorgelesen in der bewährten Wittstockschen leiseindringlichen Weise), Dagmar Dusil („Das Spiegelbild“, die Schauergeschichte eines Bukarester Massenmörders aus der Ceauşescu-Zeit, ohne direkte Zeitbezüge zur Diktatur, nur Menschliches), Benjamin Józsa (er las aus der Zweitauflage des im ADZ Verlag erschienenen Satirebands „Aufgespießt“), der Übersetzer Simion Dănilă (aus „Ein Wort, ein Bild“, eine zweisprachige Gedicht- und Repro-Anthologie aus dem Schaffen des braven Hatzfelder Gespanns Peter Jung/Stefan Jäger) sowie die unverwüstliche Edith Guip-Cobilanschi („Erinnerung – du einzig bleibend Gut“).
Der Samstag begann mit einer Lesung von Carmen-Elisabeth Puchianu. Was im Programmheft als „Fragmente aus unveröffentlichten Typoskripten“ vorgestellt wurde, entpuppte sich als Fortsetzung ihres 2012 ersterschienenen launischen Siebenbürgenromans „Patula lacht“, von der Autorin regelrecht schauspielerisch interpretiert. Balthasar Waitz stellte danach die Jubiläums-Anthologie „25 Jahre Stafette“ vor, worauf Lesungen erfolgten von: der Leiterin des Temeswarer Schriftstellerzirkels, Henrike Brădiceanu-Persem („Lesezeit“, Verse unterschiedlicher Faktur und Güte), Robert Tari (aus seinem Theaterstück „Barentsburg“ – ein Rollenlesen wäre nützlich gewesen), Balthasar Waitz (Romanfragment „Das rote Akkordeon“, was eine unendliche Nitzkydorfgeschichte voller Reiz und Kuriosa, aber auch voller banatschwäbischem Realismus werden könnte, von Waitz mit Humor, Ironie und auch Sarkasmus erzählt), Benjamin Burghardt (Er las aus seinem Gedichtbuch „Katzbuckeln“ durchaus Verheißungsvolles) und wieder Simion Dănilă (Übersetzungen aus Hans Dama, die – beide, Originaltext wie Übersetzung – zu vielen und kontrovers geführten Diskussionen unter den Teilnehmern führten zum Thema Lyrikschreiben heute und Übersetzen: Es ging vor allem um die Geisteshaltung des sich als Romantiker des 19. Jahrhunderts gebenden Autors, aber auch um die Bemühungen des Übersetzers, möglichst nahe am Urtext, also ebenfalls verankert im 19. Jahrhundert zu bleiben, woraus sich dann auch Dispute über die Freiheit des Übersetzers ergaben – Nora Iuga meinte trocken: „Am besten, man übersetzt einen bereits verstorbenen Dichter!“).
Der Nachmittag des Samstags brachte einen bio-bibliografischen Vortrag von Edith Guip-Cobilanschi über Martin Luther, Lesungen des Marburger deutschen Vereins „Brücken“ (Ales Tacer hat enorme Fortschritte, auch im Deutschen, gemacht; Veronika Haring bleibt eine treibende Kraft des Vereins), Beatrice Ungar stellte den aus der Nähe des vojvodinischen Subotica stammenden Ivan Korponai vor, den Sprecher vieler Sprachen, der auch deutsch schreibt (sein „Vergessen in Erinnerungen“, das sich des Lektorats von B. Ungar erfreute, wurde ein guter deutschsprachiger Gedichtband) und nicht zuletzt stellte }igla eine Anthologie von Musikchroniken vor, die der vor einem Jahr verstorbene Waldemar Günter König im Lauf der Jahre veröffentlicht hatte: „Musikalische Streiflichter“. Mit Musik klang der Samstag aus, die machte das „Intermezzo“-Ensemble unter Lucian Duca. Das war dann das erste Ende der Veranstaltung.
Über den evangelisch geprägten Vormittag des Palmsonntags wurde berichtet, der Ausklang des Sonntags im Alten Theater von Orawitza mit „Das neue Stück“, von und mit dem Duo „Bastet“ (Carmen Elisabeth Puchianu und Robert Gabriel Elekes) verdient eine eigene Theaterchronik. Es war das zweite Ende der Veranstaltung und eine Krönung.
Montagnachmittag klangen die 27. Deutschen Literaturtage von Reschitza dann zum dritten Mal aus, mit einer Erinnerungsveranstaltung im Zusammenhang mit dem 105. Geburtstag des Sozialdemokraten, Kommunisten, Schriftstellers und Ex-Chefredakteurs des „Neuen Wegs“, Anton Breitenhofer. Dazu sprach Edith Guip-Cobilanschi. Das war das dritte und endgültige Ende der 27. Deutschen Literaturtage in Reschitza.