Ein Wochentag im Herbst, zur Zeit des Schulbeginns. Im Hinterhof des Hauses Schwarzgasse Nr. 50 von Kronstadt/Braşov geht die Türe auf und zu, auf und zu. Rohrblätter für Altsaxophon, ein Hygrometer zum Messen der Luftfeuchte im Raum, Blockflöten, Akkordeons, Saiten fürs Hackbrett und vieles mehr verlangen hier die Kunden. Frau Gundel hat das meiste vorrätig, immerhin mehr als tausend Artikel rund um die Musik. Kuriere bringen Pakete, neue Bestellungen gehen per Internet hinaus. Mutter und Tochter beraten in einer Ecke des Ateliers: Was wird in nächster Zeit gewünscht? Reichen hundert Stück? Eine Kontrabass-Hülle sollte auch her, aber 3/4 oder 4/4? Täglich gibt es Sonderwünsche. All das bringt sie nicht aus der Ruhe. Insgesamt handelt die Firma mit über 20.000 Artikeln, die von über dreißig Zulieferern, vorwiegend aus Deutschland, importiert werden.
Der Raum ist eigentlich riesig, es ist der alte Maschinen- und Montageraum des Firmengründers Karl Einschenk, der hier 1896 einzog und begann, selbstständig Orgeln zu bauen und zu reparieren. Jetzt herrscht drangvolle Enge: Empfang, Büro, Werkstatt, Lager, alles unter einem Dach. Seit 61 Jahren arbeitet Arnulf Einschenk, der Enkel von Karl, hier an der Werkbank. Als Lehrling trat er in den Familienbetrieb ein, wurde eines Tages selbst Leiter der Werkstatt und schaffte es, sie nach der kommunistischen Zeit als Einmann-Unternehmen weiterzuführen. Heute geht man nach wie vor „zum Einschenk”, wenn ein Musikinstrument Hilfe braucht. Jetzt spannt Arnulf neue Saiten auf eine kleine Geige und muss dabei ein Bestandteil wechseln. Das Instrumentchen wird abgeholt und die Reparatur bezahlt. Geübte Hände, die wissen, wie viel Druck sein darf, die spüren, wo ein Hebel anzusetzen ist, die jeden Handgriff wie im Traum beherrschen. Eine weitere Geige wird geöffnet und neu zusammengesetzt, damit das Griffbrett die richtigen 18 Millimeter Abstand zum Geigenkörper hat.
Da platzt ein Kunde herein. „Să trăiţi, şefu!” Draußen regnet es, er bringt ein Pianino. Unwillig brummt Arnulf, dass dies nicht abgemacht gewesen sei. Wohin jetzt mit dem Instrument? „Şi ce vreme aţi ales!” Schließlich bugsieren sie es gemeinsam ins Atelier des Mitarbeiters Lorand. Und gar die Wünsche: nur das Allernötigste an Reparaturen bitte! Arnulf kennt auch das: Ein Auto darf kosten, jedoch ein Instrument...Er nimmt die Arbeit an der Geige wieder auf und erinnert sich: Da kam eines Tages ein Mann im Jeep vorgefahren und wünschte ein Klavier für tausend Lei. Nach einigem Hin und Her ließ er sich überzeugen, dass ein neues Pianino das Richtige wäre. Und sieh da, er kramte und kramte in seinen Taschen, da zahlte er bar 6000 Euro!
Arnulf Einschenk kommt auch viel herum, denn er ist Klavierstimmer. Ein Festival in Buşteni hat ihn gebucht, er fährt öfter ins Schloss Cantacuzino. Für ihn ist ein Blüthner-Flügel ein edles Instrument, fast ein Lebewesen. Umso größer ist der Ärger, wenn Künstler ihn malträtieren. Zwar kommt er in den Gratis-Genuss von hochkarätigen Konzerten, zwar machen das Reisen und das Stimmen eigentlich Spaß, aber man wird nicht jünger, meint der 75-Jährige mit einem Lächeln um die Mundwinkel, und man braucht auch nicht so viel Spaß. Obwohl: Der Schauspieler mit Bärtchen, der auf englisch verkündete, er sei Dalí, als er die Ausstellung im Schloss betrat, der war doch amüsant. Zur Reporterin, die seine Geschichten anhört, sagt er: „Komm mit, heute Abend muss ich wieder dahin!”
Wieder geht die Türe auf. Zwei Männer aus Ploieşti wünschen Saiten fürs Hackbrett (ţambal). Die Augen gehen ihnen über, als sie von Frau Gundel alles Gewünschte erhalten, sogar Filz für Dämpfer, den Arnulf ihnen zurechtschneidet. Zehn Lei pro Zentimeter kostet das. Sie telefonieren schnell und laut: Es gäbe hier auch eine Akkordeonhülle, einen Stimmschlüssel, hexagonale und runde Saiten. „Ce preţ are marfa?” Das Hackbrett, erzählt Arnulf, kommt gerade groß in Mode. Bis Konstanza/Constanţa reicht seine Kundschaft. Daran denkt die Reporterin wenige Tage später, als sie in Münchens Fußgängerzone zweimal Ţambal-Solisten antrifft, die virtuos in die Saiten fahren. Beide sind aus Rumänien, eine CD „Balkan Folklore“ liegt zum Verkauf bereit.
Frau Gundel zündet einen der beiden großen Kachelöfen an, Tochter Senta muss das Atelier und die Arbeit im Internet vorzeitig verlassen: Die Musikschule hat angerufen. Mit manchen Kunden wird privat geplaudert, es kommen auch Gäste vorbei. Ein junger Mann steckt den Kopf herein: „Sie sprechen Deutsch?“ Er ist ganz erleichtert, dass man hier sein Problem versteht und offenbar auch lösen kann. Die Gitarre ist kaputt. Außer Blasinstrumenten wird hier alles repariert, also bringt er das Instrument. Hier findet sich auch jedes gewünschte Ersatzteil, und sei es noch so speziell. Was dem Besucher wie Chaos vorkommt, hat an diesem Ort seine Logik. In sechs Jahrzehnten wurde wenig weggeworfen, dafür kommt immer was Neues hinzu. Mit sicherem Griff holen die Einschenks aus Schubladen, hinter Klavieren, unter Möbelstücken die Dinge hervor. Staunend bemerkt die Reporterin, dass hier niemand hektisch nach etwas sucht. Es ist ein eingespieltes Team, das, o Wunder, nach 120 Jahren die Werkstatt der Vorfahren weiterführt und dieses außergewöhnliche Handwerk, das eigentlich Kunst ist, immer noch pflegt.
Wie soll es weitergehen? Arnulf hat sich schon angehört, dass es lukrativer wäre, die Räumlichkeiten in der Schwarzgasse zu vermieten, statt sich tagein tagaus selbst darin zu plagen. Haus und Hof, Werkstatt, Wohn- und Lagerräume, alles atmet den seltenen Duft der Vergangenheit, durchmischt mit Aromen heutiger Tage. Da gibt es zum Beispiel den Klavier-Raum, wo Flügel der Firmen Förster und Petrof, aber auch E-Pianos und digitale Klaviere zum Ausprobieren bereitstehen. Für Musiker ist das wichtig. Jedermann kann sich heute jedes Instrument selbst im Internet bestellen. Aber nichts geht über das Ausprobieren! Wer möchte schon ein Klavier kaufen wie die Katze im Sack? Bei Einschenk wird man außerdem beraten und stimmen kann der Firmenchef selbst. Doch die Zukunft bleibt ungewiss. So lange die großen Holzbuchstaben an der Wand des Ateliers nicht wegmüssen, steht dort aber für alle Besucher deutlich lesbar: EINSCHENK.