Während sein Dokumentarfilm „Die Familie“ auf dem Bukarester-Filmfestival „One World Romania“ vorgeführt wird, sitzt Regisseur Stefan Weinert im Kinofoyer und entschuldigt sich dafür, dass er nur für eine Nacht in der Stadt sein kann, in Deutschland müsse er derzeit seinem „Brotjob“ nachgehen, der Schauspielerei.
Unter der Woche feierte Weinerts Film auf dem Festival für Menschenrechte – so der inhaltliche Schwerpunkt – Premiere. Da wäre er gern dabei gewesen, sagt der 50-jährige Kölner, der seine Branche aus vielen Blickwinkeln kennengelernt hat: Erst als Theaterschauspieler, später als Bühnenbildner an der Wiener Staatsoper und Schauspieler beim Film, bevor er begann, selbst Regie zu führen. In Deutschland sei man froh, sagt Weinert, wenn man Kulturschaffenden einen Stempel aufdrücken könne. Er selbst möchte in keiner Schublade stecken.
Nach einigen Kurzfilmen schrieb und produzierte er 2009 seinen ersten DDR-Dokumentarfilm „Gesicht zur Wand“. Vier Jahre später stellte er „Die Familie“ fertig – einen Film, der exemplarisch die Geschichten von drei Menschen nacherzählt, die auf ihrer Flucht an den innerdeutschen Grenzen umgekommenen sind. Weinert untersucht die Hintergründe ihres Todes und lässt die Hinterbliebenen der Opfer zu Wort kommen. Eindrücklich zeigt „Die Familie“ wie ein Unrechtssystem jeden Bereich des alltäglichen Lebens infiltriert und wie es dann, erst einmal in den Biografien der Menschen verankert, nicht mehr verschwindet. Der Versuch herauszufinden und zu begreifen, was wirklich geschehen ist, lässt das Unglück der Familien manifest werden. Dauerhaft rotieren sie in Schleifen aus Selbstvorwürfen und Wut auf das verhassten Regime – allein: es fehlt der Katalysator, eine Antwort auf die Schuldfrage. Dieses repetitive Moment der Ohnmacht festzuhalten, gelingt Weinert durch die Ausführlichkeit, mit der seine Protagonisten zu Wort kommen. Über einen Zeitraum von drei Jahren traf er sich mit den Hinterbliebenen. Die Rückkehr zu den Tatorten, ein emphatisches Stöbern im Vergangenen, führt dem Zuschauer vor Augen, dass auch 25 Jahre nach dem Mauerfall Aufarbeitung notwendig ist.
Sein obsessives Interesse an ostdeutscher Geschichte, erzählt der Regisseur, fuße in einem Blick aus der Distanz. Als Weinert nach der Wende in Spanien lebte, bemerkte er, dass er wenig über sein wiedervereinigtes Heimatland zu sagen wusste. Er nahm an, er würde erst dann Sätze finden, wenn er anderen eine Stimme verliehen hätte. Es galt, die Versehrtheit vieler zu erfassen, den status quo nach dem Ende der Diktatur.
Die Montage ihrer Erzählungen bewirkt einen dialektischen Effekt, weil die Art und Weise, wie Weinert Fragmente gegenüberstellt und collagiert, eine Haltung erkennen lässt, obwohl eine subjektive Wertung des Regisseurs nicht existiert. Besonders deutlich wird dies im Schlussbild, wo eine Mutter vor der Erinnerungsstele ihres Sohnes steht, während sich die Kamera entfernt und dabei offenbart, dass dort, wo ihr Sohn erschossen wurde, inzwischen eine McDonalds Filiale eröffnet hat. Diese Szene fungiert als Sinnbild des gesamten Films, der aus detaillierten Betrachtungen eine holistische Perspektive auf die jüngere deutsche Geschichte entwickelt.