„Josephus Fazakas Krisbacensis. Dies ist ein Manuskript eines ungrischen Studiosus, welchem einmahls die Mühle den rechten Arm abgerissen gehabt, daß er mit der linken Hand schreiben lernen müßen.“ Zum wie vielten Mal sitze ich im Lesesaal des Hermannstädter Staatsarchivs und durchblättere das Büchlein? Auf der Innenseite des Umschlags, dort wo dieser Besitzer erwähnt wird, ist auch eine Kirche gezeichnet. Ist es Reps im Jahr 1738? Und was bedeuten die Initialen MMSTA?
Im Heft selbst stößt man auf eine kunterbunte Sammlung von Orgel- und Klaviermusik: Choräle, Tänze, Fantasien, Arien, eine Ciaccona, ja selbst zwei Sonaten für Geige und Generalbass. Hier hat jemand aufgeschrieben, was zum Alltag eines Musikers gehörte, was in Kirche und bei Geselligkeiten zu erklingen hatte. Aber wie erstaunlich: Neben ganz einfachen, wohl selbst angefertigten Stückchen, findet sich Musik von Händel und Corelli. So früh in Siebenbürgen? Händel war zu dieser Zeit in England auf dem Höhepunkt seiner Kunst, Corelli seit wenigen Jahrzehnten gestorben. Wo hat dieser „ungrische Studiosus“ so aktuelle Musik gesammelt? Dass er das nicht für erwähnenswert erachtete und die Komponistennamen glatt verschwieg, war damals nichts Ungewöhnliches. Heute mehrt es den Reiz des Forschens. Die Suche nach den wahren Komponisten ähnelt einem Krimi. Der Täter wird leider oft nicht gefasst!
Im zweiten Teil des Manuskripts dämmert es mir: Dies ist ein Lehrbuch. Es tauchen dreizehn merkwürdig unvollständige Stücke auf. Präludien und Fugen, also Orgel-Gebrauchsmusik der Zeit, sind nur als bezifferte Bässe oder mit Hinweisen für den Einsatz von Themen notiert. Ich versuche selbst, einige Stücke aus dem Stegreif zu vervollständigen und scheitere beschämt. Das ist eine hohe Kunst! Eine Kompositionslehre im Selbststudium, etwas, das heute ganz und gar nicht mehr vorkommt. Wir spielen jetzt fast nur noch aus gedruckten Noten, bis aufs i-Tüpfelchen genau. Improvisieren, erfinden, was für wunderbare, uns leider fremd gewordene Fertigkeiten in der Musik!
Und damit nicht genug der Überraschungen: Im Archiv von Hermannstadt hat sich auch eine handgeschriebene Generalbassschule von 1821 erhalten, die dem Johannes Waxmann aus Jakobsdorf gehörte. Auch hier, im zweiten Teil, die gleichen dreizehn Stücke, identisch notiert, dazu Dutzende ähnliche in allen Tonarten. Einerseits kopiere ich wie elektrisiert all die alten handgeschriebenen Noten und empfinde großes Forscherglück.
Andererseits wächst meine Hochachtung vor den Kollegen aus früheren Zeiten. Wie weit sie es gebracht haben, selbst in Dorfgemeinden, wo es hieß, unter der Woche Landwirtschaft treiben und sonntags die Orgel „schlagen“, bei Kerzenlicht Noten kopieren, all die schwierigen Übungen lösen, ohne elektrischen Strom proben, unterrichten...!
Ich kehre zurück zu meinem kunterbunten Büchlein und entdecke Geschriebenes auf den letzten sechs Seiten: „Regeln. Principia zum Clavier“. Das beginnt aber simpel, denke ich: „ Das Clavier hat 2 Theil, nehmlich Baß und Discant“. Jedoch auf diesen wenigen Seiten ist alles beschrieben, was zum Handwerk gehört. Papier war wertvoll, Lehrer sehr weit weg. Zusammen mit den Noten ergibt das Büchlein eine vollständige Schule. Wie sympathisch: Es enthält gar keine trockenen Übungsstücke, nur Musik, die auch gespielt werden konnte. Wen wundert es, dass etwas so Wertvolles weitergegeben wurde?
Am Ende unterschreibt ein weiterer Besitzer: „Sum possessor libri: Mart. Müller Rupens. A. D. 1739.“ Kam das Manuskript zweihundert Jahre später aus Reps ins Hermannstädter Staatsarchiv? Sind all die vielen Stücke an der alten, damals ganz jungen Repser Orgel erklungen? Und wird der Tag kommen, dass man in Reps die erste Seite des Fazakas-Krisbacensis-Manuskripts aufschlägt, sich an die restaurierte Orgel setzt und zu spielen beginnt, was da notiert ist: „Nun danket alle Gott“?
Am Freitag wurde in Kronstadt/Bra{ov in der Schwarzen Kirche im Rahmen der Konzertreihe „Musica Coronensis“ die restaurierte Orgel aus Reps, eines der wichtigsten erhaltenen Instrumente des 17. Jahrhunderts in Siebenbürgen, eingeweiht. Die evangelische Kirche in Reps befindet sich zurzeit in einem beklagenswerten Zustand. Notwendige kostspielige Restaurierungsarbeiten können wegen Geldmangel vorläufig nicht durchgeführt werden. Wenn die Kirche wiederhergestellt ist, kann die Orgel an ihrem ursprünglichen Ort wieder aufgebaut werden.