Das Internationale Musikfestival „George Enescu“, das seit zwei Wochen das Festivalpublikum zu Begeisterungsstürmen hinreißt und noch zwei weitere Wochen für musikalische Höhepunkte sorgen wird, brachte bislang nicht nur namhafte Orchester und Chöre, berühmte Instrumental- und Vokalsolisten, sondern auch Meister der Schauspielkunst auf die Festivalbühne: Der rumänische Charakterdarsteller Victor Rebengiuc übernahm den Part des Sprechers in Arnold Schönbergs „Gurre-Liedern“ und der Hollywood-Filmstar John Malkovich mimte und interpretierte die Sprechrolle des österreichischen Serienkillers Jack Unterweger in dem zeitgenössischen Musikdrama „The Infernal Comedy“.
Arnold Schönbergs monumentale Komposition „Gurre-Lieder“ wurde am vergangenen Samstag im Großen Saal des Palais von internationalen Gesangssolisten sowie vom Chor und Orchester der Philharmonie „George Enescu“ unter Leitung des britischen Dirigenten Leo Hussain mit überwältigendem Erfolg dargeboten.
Schönbergs im Jahre 1913 in Wien uraufgeführtes Werk, an dessen Vollendung der Komponist über ein Jahrzehnt lang gearbeitet hatte, ist ein sinfonisches Vokalwerk größten Stils, das etwa in Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ oder in Alexander von Zemlinskys „Lyrischer Sinfonie“ seinesgleichen findet. Ein gigantischer Orchesterapparat, dem Schönberg durch eiserne Ketten – wie schon Mahler in seiner 6. Sinfonie durch Kuhglocken – neue Klangdimensionen hinzufügte, beeindruckt bereits durch seine schiere Präsenz. Doch Schönberg setzt diesen riesenhaften Klangapparat in seinen „Gurre-Liedern“ nicht nur zur Hervorbringung stärkster Fortissimi und äußerster Crescendi ein, sondern im Kontrast auch zur Erzeugung von Klängen von filigraner Zartheit und höchster kammermusikalischer Intensität.
Das Publikum der Wiener Uraufführung war damals bereits auf einen Skandal vorbereitet, wie es ihn schon fünf Jahre zuvor bei der Uraufführung von Schönbergs zweitem Streichquartett gegeben hatte, und hatte vorsorglich Schlüsselbunde und andere Lärm erzeugende Utensilien zur Störung des Konzertes mitgebracht, war dann aber überwältigt von der an die Klangwelten Franz Liszts und Richard Wagners gemahnende und diese gleichwohl originär fortentwickelnde Tonsprache ihres Skandalkomponisten. Weil der gekränkte Schönberg aber den verdienten Applaus für sein im Geiste der Spätromantik und des Impressionismus verfasstes Opus nicht entgegennehmen wollte, bestrafte ihn das Wiener Publikum einen Monat später im sogenannten ‚Watschenkonzert’ mit einem derartigen Tumult, dass das von Schönberg dirigierte Konzert abgebrochen werden musste.
Schönbergs „Gurre-Liedern“ liegt eine mittelalterliche Sage zugrunde, die sich im Laufe der Jahrhunderte zur umfassenden Form eines dänischen Nationalepos erhob, vergleichbar dem deutschen Nibelungenlied. Sie handelt von der Liebe des Dänenkönigs Waldemar und der schönen Tove auf der Burg Gurre, von der Ermordung der Geliebten durch die eifersüchtige Königin und von der wilden Jagd Waldemars und seiner Mannen, die nach Toves Tod keinen Frieden finden und ruhelos durch ganz Gurreland streifen. Schönbergs Text beruht auf Gedichten Jens Peter Jacobsens in der deutschen Übersetzung von Robert Franz Arnold, an der Schönberg jedoch aus rhythmischen und klanglichen Gründen Änderungen vornahm. Die Bukarester Aufführung verwendete den deutschen Text (mit rumänischen Nebentiteln), nur die Passage des Sprechers im dritten Teil („Des Sommerwindes wilde Jagd“) wurde in rumänischer Sprache dargeboten. Victor Rebengiucs Rezitation riss das Festivalpublikum mit, auch wenn die rumänische Version ein anderes Stilregister bemühte und der von Schönberg geforderte Sprechgesang in der Rebengiucschen Interpretation schlichtweg inexistent blieb.
Besonders begeisterten, neben den von Iosif Ion Prunner einstudierten Chören, die fünf Gesangssolisten: Die litauische Mezzosopranistin Violeta Urmana, die stimmgewaltig und volltönend Tove ihre Stimme lieh; die deutsche Mezzosopranistin Janina Baechle, die als Waldtaube hingebungsvoll um die tote Tove trauerte („Weit flog ich, Klage sucht’ ich, fand gar viel!“); der britische Tenor Nikolai Schukoff, der als König Waldemar heldenhaft in schmerzvoller Klage und verzweifeltem Aufschrei brillierte; der in England ausgebildete Tenor John Daszak, der bravourös den Part von Klaus-Narr interpretierte; und last but not least der deutsche Bariton Thomas Johannes Mayer, der die Rolle des Bauern sang und nebenbei deutlich machte, was Schönberg unter Sprechgesang verstand.
Das am vergangenen Montag im Bukarester Athenäum aufgeführte Musiktheaterstück „The Infernal Comedy“ für einen Schauspieler, zwei Soprane und Barockorchester, dessen Libretto von Michael Sturminger auf der Autobiografie des ‚Knastpoeten’ resp. ‚Häfenliteraten’ Jack Unterweger (1950-1994) beruht, stand ganz im Zeichen des glamourösen Gastes aus den USA John Malkovich. Dass ein glühender Verfechter der Todesstrafe, der privat seine Freunde anlässlich der Exekution eines Massenmörders schon einmal zu einer Champagner-Party einlädt, nun selbst den Part eines Serienkillers auf der Theaterbühne übernimmt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Der Hollywoodstar erledigte seine künstlerische Aufgabe indes, wie man es von ihm gewohnt ist: mit professioneller Akkuratesse, artistischem Manierismus, der ihm eigenen Rollendistanz und mit einer gepfefferten Portion Galgenhumor. Ergänzt und umrahmt wurden die zum Teil morbiden Sprechtexte durch Arien über Liebe und Tod von Händel, Haydn, Mozart und Beethoven, die von zwei erstklassigen Sopranistinnen dargeboten wurden: Der Schwedin Marie Arnet und der Amerikanerin Laura Aikin, die am Vortag bereits im Athenäum die Rolle der Lisaura in Händels Oper „Alessandro“ bravourös gemeistert hatte. Der Orchesterpart wurde von der Wiener Akademie unter Leitung von Martin Haselböck übernommen, Regie führte der Librettist.
Interessant waren insbesondere diejenigen Szenen des Musiktheaterstücks, in denen Gesangs- und Schauspielkunst im wahrsten Sinne des Wortes miteinander rangen, etwa wenn Vokalisen vom Sprecher buchstäblich abgewürgt oder die beiden Sängerinnen mit ihren Büstenhaltern abwechselnd stranguliert wurden. Es war beeindruckend, wie der stumme Mime gegen die Macht der Musik, der schriftstellernde Killer gegen die Schönheit der Klänge antrat und sich dabei durchaus zu behaupten wusste. Geschlechterproblematik, Identitätskrise, Missbrauch, Gewalt, Schreiben, Liebe und Tod waren die Themen, die sich in den „Bekenntnissen eines Serienmörders“ – so der Untertitel der „Infernalen Komödie“ – reich entfalteten, wobei Darsteller und Dargestellter in der Namensidentität von John und Jack immer wieder miteinander verschmolzen.
Die Frage an die Zuschauer „Warum seid ihr gekommen? Um einen echten Killer zu sehen?“ konnte man dementsprechend auch so verstehen: „Warum seid ihr gekommen? Um einen echten Star zu sehen?“ Die Wahrheit über „Being Jack Unterweger“ resp. „Being John Malkovich“ blieb in diesem Stück deshalb auch bewusst ausgespart. Wo das Medium die Message ist, kommt Wahrheit eben nicht zur Erscheinung. Oder allenfalls in einer ihrer schönsten Spielarten: der genuinen Form künstlerischen Ausdrucks.