Im Rahmen der verschiedenen Feiern und Aktivitäten zu Ehren des 500-jährigen Reformationsjubiläums wagt die evangelische Kirche A.B. in Bukarest eine doppelte Premiere. Erstmals wird eine Sonderausstellung religiöser Kunst in den Räumen der Kirche gezeigt, die somit ihre Pforten zum ersten Mal auch jenseits von religiösen Andachten, Festen oder Konzerten für Besucher öffnet. Das Thema könnte wohl nicht passender für diese vorösterliche Zeit gewählt sein, handelt es sich doch im Wesentlichen um Nachdrucke der berühmten Kupferstichpassion von Albrecht Dürer.
Möglich wurde dies durch den mittlerweile in ganz Rumänien bekannten deutschen Kunstsammler Thomas Emmerling, der getreu seinem Credo, Werke der klassischen Kunst einem breiten Publikum näherzubringen, 34 Kupferstiche aus seiner reichhaltigen Sammlung zu diesem Zweck zur Verfügung stellt. Bei den Werken handelt es sich um Reproduktionen des seinerzeit für seine Leistungen auf diesem Gebiet sehr gefeierten französischen Graveurs Charles Armand-Durand, der ab den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts Nachdrucke von Originalen in der französischen Nationalbibliothek anfertigte.
Als gebürtiger Nürnberger erklärt sich Emmerlings persönliche Beziehung zu den Werken Dürers fast von selbst, dabei hinterließ vor allem das Dürer-Jubiläum 1971 auf den damaligen Schüler einen bleibenden Eindruck. Dass er so häufig seine Sammlung in Rumänien und insbesondere in Siebenbürgen, in Klausenburg/Cluj, Hermannstadt/Sibiu oder auch in der Klosterkirche in Schäßburg/Sighişoara ausstellt, erklärt sich ebenfalls aus seiner persönlichen Vita, da er mütterlicherseits aus der Gegend von Bistritz stammt. Als Brückenbauer im übertragenen Sinne zwischen Rumänien und Nürnberg, aber auch als Vermittler zwischen der klassischen Kunst und einem breiten europäischen Publikum möchte er sich selbst sehen. Nach einer kleinen allgemeinen Einführung unternimmt es Emmerling denn auch persönlich, die Grundprinzipien und Besonderheiten der Kunst Dürers an einigen Bildern der Ausstellung zu erläutern.
Als Brücke und Verbindungsglied zwischen der Gotik und der Renaissance, der Kunst Italiens und der Niederlande, die Dürer beide durch seine Reisen aus eigener Anschauung kannte, aber auch dem katholischen Humanismus und den reformatorischen Gedanken Luthers lässt sich das Werk Albrecht Dürers begreifen.
Luther ist er mehrfach persönlich begegnet, aber da Dürer bereits 1528, also vor der Deklaration des Augsburger Bekenntnisses, wie eine Besucherin anmerkt, starb, war eine konfessionelle Spaltung noch nicht vollzogen. Dürer blieb also Zeit seines Lebens Katholik. Aufgeschlossen zeigte sich Dürer gegenüber den wissenschaftlichen und philosophischen Neuerungen – seine Abhandlungen zur Perspektive beeinflussten nachhaltig die folgenden Künstlergenerationen und die philosophischen Ideen seines humanistisch gebildeten Freundes Willibald Pirckheimer suchte er bildlich umzusetzen. Gleichzeitig blieb er traditions- und heimatverbunden: „Meine Stadt Nürnberg taucht in fast allen Bildern als Hintergrund auf“, bemerkt Emmerling. Selbst lukrative Angebote der Italiener oder Niederländer konnten Dürer nie dazu bewegen, seiner Heimatstadt den Rücken zu kehren. Im Gegenteil, Dürer war, laut Emmerling, auch „Lokalpolitiker“, saß er doch im Rat der Stadt und konnte so die Haltung der Stadt Nürnberg gegenüber den reformatorischen Neuerungen positiv beeinflussen.
Dass ausgerechnet Dürers Kupferstiche beim deutschen Publikum solchen Anklang fanden und auch heute noch finden, begründet Emmerling mit der feinen Akkuratesse, mit der beispielsweise die Schraffuren angelegt sind. Ursprünglich Goldschmied, fand Dürer in den kleinformatigen Kupferstichen – viele der Drucke erreichen gerade einmal Postkartengröße, weil Kupferplatten kostspielig waren – ein ideales Medium, um seine Kunst für ein aufstrebendes Bürgertum attraktiv zu gestalten. Verkauft wurden diese Drucke auf Jahrmärkten und Messen durch seine Frau Agnes, die Emmerling denn auch als eine der ersten Kunsthändlerinnen würdigt. Dass Dürer Prozesse um seine Urheberschaft führte, sein berühmtes Monogramm als Markenzeichen durchsetzte, wird im Sinne des aufkommenden Individualismus der Renaissance als Herausbildung einer Künstlerpersönlichkeit bewertet, die nun den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen rückt.
Aber nicht nur der Detailreichtum der Stiche erregte Bewunderung. Auch die mathematische Komposition der Bilder und die Suche nach den idealen Proportionen, wie sie bereits von Vitruv beschrieben wurden, dem später sogenannten „goldenen Schnitt“, sind wesentliche Gestaltungselemente in der Kunst Dürers. Der ideale Körperbau findet sich bei der Wiedergabe der Figuren von „Adam und Eva“, die als Einleitung und Prolog den Werken der Kupferstich-Passion vorangestellt sind. Ebenso wie auf dem Kupferstich „Geburt Christi“, der ebenfalls im Anschluss an seine Venedigreise 1504 entstand, lassen sich die Einflüsse der italienischen Renaissance mit ihren grundlegenden kompositorischen Prinzipien nachvollziehen, meint Emmerling. In den Darstellungen des „betenden Christus im Garten Gethsemane“(1508), aber auch des leidenden Jesus in der „Geißelung“ oder der „Dornenkrönung“ von 1512 aus dem Zyklus der Kupferstichpassion, behält die „Figur des Jesus immer seine Würde“, bisweilen möchte Emmerling gar hier bereits Vorboten des Luthertums entdecken. Im-mer wieder verweist er auf die perspektivische Darstellung, aber auch die oft als Dreieck konstruierte Anordnung der Personen, die eben den theoretischen Anforderungen der Komposition genügen müssen.
„Angeordnet haben wir den Passionszyklus im Uhrzeigersinn, anschließend können Sie sich auf die Empore linker Hand begeben, wo wir die Lebenswelt und die religiösen und philosophischen Vorstellungen des Albrecht Dürer durch weitere Kupferstiche aus verschiedenen Zyklen illustrieren möchten“, erklärt Emmerling die Hängung der Bilder. Höhepunkt und Abschluss bilden schließlich die drei Meisterstiche von 1513/14, „Ritter, Tod und Teufel“, „Melencolia I“ und „Der heilige Hieronymus im Gehäus“, die von den meisten Kunstkritikern als zusammengehörig betrachtet werden.
Auf der Empore können daher Stiche unterschiedlicher Zeitstellung, auch frühe Werke ab 1495, mit weltlichen oder allegorisch antikisierenden Themen besichtigt werden. Landsknechte, Fräulein zu Pferde, ein tanzendes Bauernpaar, aber auch christliche Themen, wie „Der verlorene Sohn“, auf dem anschaulich ein Bauernhof, wie er im frühen 16. Jahrhundert ausgesehen haben mag, detailreich abgebildet wird, führen lebensnah in die Welt jener Zeit.
Hochberühmt die nicht gerade idealtypisch wirkende Figur der schwebenden „Nemesis“ (das große Glück), oder das mit dem irreführenden Titel „die Eifersucht“ versehene Bild, das hier das beliebte moralisch-allegorische Thema des „Herkules am Scheidewege“ variiert. Über die großformatigen drei Meisterstiche ist bereits vieles geschrieben worden. Besonders die Darstellung der Melencolia I, mit ihren zahlreichen mathematischen Symbolen und Anspielungen, wie dem merkwürdigen Polyeder, gab ganzen Generationen von Kunsthistorikern immer wieder Rätsel auf. Der etwas frühere Kupferstich „ Ritter, Tod und Teufel“ scheint noch sehr der Gotik und ihren Idealen verhaftet – Kaiser Maximilian I., der Dürer förderte, wurde gemeinhin als „der letzte Ritter“ bezeichnet. Bei dem Heiligenbild bestechen die ruhige kontemplative Atmosphäre, aber auch die vielen Details voller symbolischer Anspielungen. Die drei Meisterstiche – hier absichtsvoll ein wenig abgehoben auf einer Staffelei präsentiert – stehen chronologisch und inhaltlich am Vorabend der Reformation, können sowohl als Abschied auf die Ideale des Mittelalters gesehen werden, als auch als Verweis auf eine unsichere Zukunft, auf ein Zeitalter der Wissenschaft und neuen Erkenntnisse.
Alle Daten zur Ausstellung auf der Website der evangelischen Kirche A. B. Bukarest http://evkb.ro/ und https://www.facebook.com/events/724773544370970/