Anfang der 1960er Jahre war Stan Lee nicht zu bremsen. Der Comicautor erfand für den New Yorker Verleger Martin Goodman einen Superhelden nach dem nächsten und traf jedes Mal ins Schwarze. Nach einem schwierigen Jahrzehnt für Comics in den USA, schien sich der Markt wieder zu erholen. Der größte Konkurrent Goodmans, der ebenfalls in New York ansässige Verlag DC Comics läutete eine Renaissance für Superheldenhefte ein. Mit neuen Serien wie „The Flash“ und „The Justice League of America” belebte DC das Comicgeschäft neu, nachdem die Einführung des strengen Comics Code, viele kleinere Verlage ruinierte. Betroffen waren besonders Hefte, die sich an ein erwachsenes Publikum richteten und mit der Darstellung von expliziten Gewalt- und Sexszenen lockten.
Durch die selbst auferlegte Zensur der US-amerikansichen Comicverleger kehrten viele Künstler der Branche den Rücken zu, eben weil es außer dem Großverlag DC Comics fast nichts mehr gab. Dieser rettete sich, indem es auf die Idealvorstellung von Superhelden setzte. Auf Zeitungsständen fand man irgendwann nur noch Hefte, die von Superman, Batman und Wonder Woman handelten – alle drei Kreationen DCs. Mit Serien, in denen nicht nur ein Held vorkam, sondern ein ganzes Team revolutionierte DC den Markt.
Goodman wollte auch auf der Welle mitschwimmen und gab Lee den Auftrag ein neues Superheldenteam zu schaffen. Der Schreiber, der zuvor aus dem Geschäft austreten wollte, hörte auf den Ratschlag seiner Ehefrau und brach mit Konventionen des Genres. Sie riet ihm, Geschichten zu schreiben, die er selber lesen würde. Daraufhin setzte er sich mit der Comiclegende Jack Kirby hin und schuf die Superheldenfamilie „Die Fantastischen Vier“.
Wodurch sich seine Serie von der Konkurrenz abhob, war die Darstellung der Superhelden. Das waren keine perfekten Menschen ohne Makel. Sie mussten tagtäglich die gleichen Probleme meistern, wie normale Menschen auch. Stan Lees Helden waren meistens Antihelden: Sie waren eitel, gierig, stritten miteinander, konnten den Alltag nicht meistern, wurden krank und mussten mit Verlusten umgehen.
Mit den „Fantastischen Vier“ stellten Lee und Kirby den Heldencomic auf den Kopf. Die Hefte wurden so erfolgreich, dass Stan Lee auch andere Figuren schaffen sollte. Es folgten „Hulk“, „Iron Man“, „Thor“ und die „X-Men“.
Doch als Lee mit der Idee für einen weiteren Helden an Goodman herantrat, war dessen Reaktion nur: „Du spinnst!“.
Der Schreiber wollte nämlich aus einem Teenager die Hauptfigur machen – bekannte gleichaltrige Figuren wie Robin waren nur Sidekicks – und er sollte die Fähigkeiten einer Spinne haben, weshalb er auch „Spider-Man“ (dt. „Die Spinne“) heißen soll.
Goodman hatte Einwände, weil Menschen in der Regel Angst vor Spinnen haben und auch weil der Held viel zu jung sei.
Trotzdem erschien im August 1962 in „Amazing Fantasy Nr.15“ der Wandkrabbler erstmals in einem von Marvel publizierten Comic.
Heute gehört „Spider-Man“ zu den bekanntesten und beliebtesten Comichelden der Welt. Zwar ist er nicht die erfolgreichste Figur Marvels, diese Ehre gebührt den „X-Men“, aber mit zahlreichen Filmen, Cartoons und Videospielen ist er heutzutage der reinste Geldmagnet.
Aus großer Macht folgt große Verantwortung
Die Entstehungsgeschichte „Spider-Mans“ wurde schon genauso oft erzählt, wie die von Batman oder Superman. Und sie ist ebenso tragisch, denn sie fängt mit dem Tod eines Familienmitglieds an. Der schüchterne Außenseiter Peter Parker wuchs bei seiner Tante May und seinem Onkel Ben auf. Während einer Klassenfahrt wird Peter von einer radioaktiven Spinne gebissen und entwickelt daraufhin Superkräfte: Er erhält schärfere Sinne, übermenschliche Kraft, kann an den Wänden laufen und heilt schneller als normale Menschen. Peter entschließt sich seine Fähigkeiten zu missbrauchen, um sich so Vorteile zu verschaffen.
Er schreibt sich für einen Wrestling-Kampf ein, um ein saftiges Preisgeld zu gewinnen, der Veranstalter weigert sich allerdings, ihm das Preisgeld auszuzahlen. Um es diesem heimzuzahlen, lässt Peter einen Räuber davonlaufen, kurz nachdem er den Veranstalter überfällt. Der gleiche Ganove läuft etwas später Peters Onkel über den Weg und erschießt ihn. In manchen Versionen der Geschichte, stirbt Onkel Ben in Peters Armen. Ben gibt Peter eine Lektion mit auf den Weg: Wenn man die Kraft hat, etwas zu verändern, sollte man es machen. Denn aus großer Macht folgt große Verantwortung.
Mit Peter Parker hat Stan Lee eine seiner tragischsten Figuren geschaffen. In den letzten 40 Jahren musste Peter viele Schicksalsschläge einstecken. Sein bester Freund Harry wird zu seinem gefährlichsten Gegner – den ebenso intelligenten wie verrückten „Grünen Kobold“. Seine erste große Liebe, Gwen Stacy, wird vom „Grünen Kobold“ ermordet. Dazwischen muss Peter ständig sein Leben auf die Reihe kriegen, was zwischen seiner Arbeit als Fotoreporter für die Tageszeitung „Daily Bugle“, der Schule und seiner Rolle als Verbrechensbekämpfer geradezu unmöglich ist.
Mr. Parker goes to Hollywood
In den letzten zwölf Jahren sind fünf Spielfilme über Spider-Man erschienen. Zuletzt konnte man den Netzschwinger im Mai auf der großen Leinwand erleben. Der erste Blockbuster wurde 2002 von dem Horror-Regisseur Sam Raimi gedreht. Es folgten zwei weitere Filme: 2004 Spider-Man 2 und 2007 der katastrophale Flop „Spider-Man 3“.
Vor zwei Jahren entschied sich Sony Pictures einen Neustart zu wagen, heuerte dafür Indie-Regisseur Marc Webb an und wechselte die Darsteller aus. „The Amazing Spider-Man“ wurde zwar ein finanzieller Erfolg, schaffte es aber nicht Kritiker zu begeistern. Da bleibt Raimis erster Film der Favorit. Die Fortsetzung, die im Frühjahr erschien, war noch enttäuschender. Neben einem schwachen Skript, enttäuschten auch die schwachen Spezialeffekte und die mäßige schauspielerische Leistung der Hauptdarsteller.
In Hollywood findet seit einigen Jahren ein Rechtekrieg statt. Nachdem Marvel Comics ins Filmgeschäft eingestiegen ist und eigene Superhelden-Filme produziert, bemühen sich andere Studios, wie etwa 20th Century Fox und Sony Picture Entertainment an den aufgekauften Rechten für „X-Men“, „Die Fantastischen Vier“ und „Spider-Man“ festzuhalten.
Wenn Studios die Lizenzen nicht nutzen und in regelmäßigen Abständen Filme mit den Figuren produzieren, verlieren sie die Lizenzen. Darum hat auch Sony für die nächsten sechs Jahre Filme mit Spider-Man geplant. Auch 20th Century Fox brachte einen neuen X-Men-Film im Frühjahr heraus. Eine Fortsetzung dazu ist für 2016 geplant.
Identitätskrise einer Spinne
Genau wie andere Superhelden, mit denen seit über 40 Jahren Comichefte erscheinen, kämpfte und kämpfte auch Spider-Man mit sinkenden Verkaufszahlen. Darum hat sich Marvel bemüht, Peter Parker neu zu erfinden. Das fing bei einem simplen Kostümwechsel an und reichte bis zur Einführung neuer Figuren, die als „Spider-Man“ für Recht und Ordnung in New York sorgen. In „Ultimate Comics Spider-Man“ einer Heftserie, die eine alternative Geschichte erzählt, stirbt Peter Parker und wird von dem farbigen Miles Morales ersetzt. Auch in „The Amazing Spider-Man“, ,der laufenden Hauptserie, stirbt Peter und sein Körper wird von einem seiner Erzschurken, Dr. Octopus, eingenommen.
In den 1980er Jahren nimmt eine außerirdische Lebensform von Peter Besitz ein. Der Symbiont lebt, so wie es der Name andeutet, in Symbiose mit seinem Träger. Die schwarze Masse aus dem Weltraum färbt das klassische „Spider-Man“-Kostüm pechschwarz. Das schlichte Design gehört bis heute nach dem klassischen zu den Lieblingskostümen der Fans.