Vorige Woche fand in Hermannstadt/Sibiu eine germanistische Tagung statt, an der Forscherinnen und Forscher teilnahmen, die an Universitäten in Deutschland, Luxemburg und Rumänien lehren und wirken. Im Zentrum des Kongresses stand die Frage nach der kulturellen bzw. interkulturellen Bestimmung des Raums, die in linguistischer, literatur- und medienwissenschaftlicher sowie in didaktischer Hinsicht untersucht wurde.
Eröffnet wurde die vom Deutschen Konsulat Hermannstadt geförderte Tagung im Beisein des Rektors der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt, Ioan Bondrea, der Dekanin der Fakultät für Philologie und Bühnenkünste, Alexandra Mitrea, und der deutschen Konsulin in Hermannstadt, Judith Urban. Die Initiatorin der Tagung, die Hermannstädter Germanistin Maria Sass, wies in ihrer Begrüßungsansprache darauf hin, dass diese Hermannstädter germanistische Tagung mittlerweile bereits die zehnte ihrer Art sei, und die Dekanin Alexandra Mitrea pries Maria Sass und ihr Hermannstädter Team dementsprechend für die Regelmäßigkeit und Konstanz, den Ideenreichtum und nicht zuletzt für die hohe Qualität dieser an der Hermannstädter Lucian Blaga-Universität veranstalteten Fachtagung.
Im Anschluss daran wurde in festlicher Atmosphäre im Senatssaal der Lucian Blaga-Universität der wissenschaftliche Teil der Tagung mit zwei Plenarvorträgen ausländischer Gäste eröffnet. Die an der Universität Luxemburg lehrende Gender- und Migrationsforscherin Christel Baltes-Löhr sprach über „Geschlecht, Migration und Raum als Kontinuum“ und der an der Universität Regensburg tätige Sprachwissenschaftler Hermann Scheuringer hielt einen Vortrag über „Historische Mehrsprachigkeit mit Deutsch im östlichen Europa“, bei dem er mit interessanten Details über deutsche Städtenamen aufwartete. So trug beispielsweise die deutsche Universitätsstadt Marburg bis 1977 noch den Namenszusatz „an der Lahn“, um sich von Marburg an der Drau, dem heutigen slowenischen Maribor, zu unterscheiden.
Die Tagungsarbeiten wurden danach in zwei Sektionen fortgesetzt: in einer literaturwissenschaftlichen Fragestellungen gewidmeten Sektion und in einer weiteren Sektion, die sich mit sprachwissenschaftlichen, landeskundlichen und kulturgeschichtlichen Themen sowie mit Fragen beschäftigte, die den Unterricht „Deutsch als Fremdsprache“ (DaF) betreffen.
Ioana Crăciun (Bukarest) und Grazziella Predoiu (Temeswar/Timi{oara) befassten sich jeweils mit Raumkonstellationen in Literatur und Film, erstere mit der Romanvorlage Thea von Harbous zum Film „Frau im Mond“ (1929) von Fritz Lang, letztere mit dem Roman „Die Wand“ von Marlen Haushofer, auf dem der gleichnamige Film von Julian Pölsler aus dem Jahre 2012 basiert. Roxana Nubert (Temeswar) illustrierte Raumerfahrungen im literarischen Werk Oskar Walter Ciseks unter anderem anhand von Gemälden Iosif Isers und anderer rumänischer Künstler und Cosmin Dragoste (Craiova) näherte sich mit philosophischem Tiefsinn den U-Topoi, den ‚Nicht-Orten’, in der Lyrik Franz Hodjaks. Rodica Ţurcanu (Frauenbach/Baia Mare) untersuchte Wortschatzdynamik im Textilbereich, Lucia Nistor (Jassy/Iaşi) Benennungen von Fluglinien, Sigrid Haldenwang (Hermannstadt) siebenbürgisch-sächsische Bezeichnungen für Tiergehege und Mihaela Parpalea (Kronstadt/Braşov) widmete ihren Vortrag sprachlichen Aspekten des Schweigens in verschiedenen Kulturen.
Carmen Elisabeth Puchianu (Kronstadt) stellte Überlegungen zur Performativität des Räumlichen an und exemplifizierte diese anhand der Erzählung „Weißer Turm, Schwarzer Turm“ von Joachim Wittstock, während Sunhild Galter (Hermannstadt) weibliche Lebensräume in Gabriele Wohmanns Erzählungen untersuchte. Die beiden Hermannstädter Sprachwissenschaftlerinnen Doris Sava und Gudrun Liane-Ittu näherten sich Raumfragen aus unterschiedlicher Richtung: erstere untersuchte unter dem vielsagenden Titel „Zwischen(t)räume“ areale Aspekte der Phraseologie, während sich letztere dem Thema „Raum und Form in der bildenden Kunst“ widmete.
Delia Eşian (Jassy) befasste sich mit dem literarischen und übersetzerischen Werk der deutschen Schriftstellerin Mite Kremnitz, die 1875 nach Bukarest übersiedelte und wenige Jahre später zur Vorleserin und Hofdame der rumänischen Königin Elisabeth (Carmen Sylva) avancierte, während Alexandra Chiriac (Jassy) über die russische Zarin Katharina II. und über west-östlichen Kultur- und Ideologietransfer referierte. Ein Gastbeitrag des Gießener Masterstudenten Manuel Stübecke befasste sich im Anschluss daran aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive mit dem Phänomen des Vampirismus. Fragen des DaF-Unterrichts wie der Germanistik in Rumänien und im Allgemeinen standen im Mittelpunkt der Vorträge von Liana Regina Junesch, Ellen Tichy und Ioan-Mirel Hăbean (alle Hermannstadt).
Den kulturellen Abschluss des ersten Kongresstages bildete eine literarische Lesung der Kronstädter Schriftstellerin Carmen Elisabeth Puchianu, die, nach einer feinfühligen Einführung durch den Hermannstädter Schriftsteller Joachim Wittstock, aus ihrem Roman „Patula lacht“ und aus ihrem Geschichtenband „Der Begräbnisgänger“ rezitierte, wobei sie den Leseakt in gewohnter und doch immer wieder von Neuem überraschender Manier in einen schauspielerisch lebendigen Akt der Darstellung umzuwidmen verstand.
Der zweite Kongresstag bot ein interessantes Spektrum literaturwissenschaftlicher, linguistischer und translatologischer Referate, an denen neben den Vortragenden der Tagung auch Doktorandinnen der Hermannstädter Germanistik als Zuhörerinnen teilnahmen. Ana Karlstedt (Bukarest) untersuchte Fragen der sozialen Raumwahrnehmung am Beispiel zweier Filme: des Spielfilms „Barcelona für ein Jahr“ von Cédric Klapisch, der auch in den beiden Fortsetzungsfilmen „Wiedersehen in St. Petersburg“ und „Beziehungsweise New York“ Regie führte, sowie am Beispiel des Kurzfilms „Schwarzfahrer“ von Pepe Danquart. Joachim Wittstock (Hermannstadt) sprach über „Klingsoriana“ und wurde dann, nicht personell, sondern textuell, selbst zum Gegenstand eines Vortrages von Maria Sass mit dem Titel „Hermannstadt als literarischer Raum“, insbesondere im Hinblick auf seine Erzählung „Die blaue Kugel“.
Maria Trappen (Hermannstadt) sprach über die „akademische Ausländerfrage“ an der Universität Jena von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg und brachte interessante Überlegungen des rumänischen Studenten Valeriu Bologa zur Sprache, der kurz vor Kriegsausbruch in Jena studierte und sich über die Integration ausländischer Studierender in das studentische Leben der Alma Mater Jenensis Gedanken machte, die nach Berlin, Heidelberg und Leipzig prozentual den vierthöchsten Ausländeranteil im Deutschen Reich verzeichnete.
Translatologischen Problemen widmeten sich die beiden Referate der Hermannstädter Forscherinnen Carmen Popa und Nora Căpăţâna, während Adriana Dănilă (Bukarest) über „Hölzerne Sprache und kulturelle Identität in einigen Reden und Ansprachen kommunistischer Parteimitglieder Rumäniens“ referierte. Vorträge der Hermannstädter Germanistinnen Marcela Ivan (über Andreas Birkners Erzählung „Der Brautschmuck des Sebastian Hann“) und Angharad Frandes (über das Ahasver-Motiv in der Literatur- und Medizingeschichte) rundeten das vielfältige Spektrum der Beiträge dieser Tagung ab, die wie gewohnt auch reichlich Gelegenheiten zur Diskussion und zum gegenseitigen fachlichen wie persönlichen Gedankenaustausch bot.