Hermannstadt – Im 21. Jahrhundert angelangt, haben die Menschen ziemlich wenig Erinnerungen an das „düstere Mittelalter“ und neigen dazu, dieses Zeitalter zu idealisieren. Vergessen und verdrängt sind die Kreuzzüge, Pest und Cholera und die Inquisition. Zum Glück. Geblieben ist der Durst nach ausgelassenem Spaß, dem chaotischen Treiben und Anspruchlosigkeit. Am Wochenende versetzte das Mittelalterfest „Siebenbürgische Burgen“ die Hermannstädter Altstadt zum 12. Mal um mehrere Jahrhunderte in die Vergangenheit.
Der Große Ring/Piaţa Mare verwandelte sich, wie seit einigen Jahren, in einen Jahrmarkt. In einer Ecke werkelten die Handwerker, in der anderen übte man Bogenschießen, die Ritter schärften ihre Waffen und der Duft des aufgesetzten Bohneneintopfs schwebte über dem Getue. Die Schauspieler und Minnesänger wanderten herum, die Burgfräulein flanierten, die Verkäufer priesen ihre Ware und das „einfach Volk“ staunte, machte Fotos und wusste nicht recht, wohin es hinschauen soll.
Zwei Bühnen flankierten heuer den Großen Ring: eine kleinere für die weniger bekannten Artisten und eine große für den Höhepunkt des Festes, den Auftritt der deutschen Band „Corvus Corax“ am Sonntagabend. Die diesjährige Schau „Cantus Buranus“ vereinte die Mittelalter-Band aus dem Osten der Bundesrepublik Deutschland, den Chor der ungarischen Nationaloper aus Klausenburg/Cluj und die Musiker der Hermannstädter Philharmonie.
Die eigenartige Musik, der Chorgesang, die einfallsreichen Kostüme und nicht zuletzt die klare, nicht zu übertönende Stimme der Sopranistin der Dresdner Staatsoperette Ingeborg Schöpf machten dieses Konzert zu einem unvergesslichen Erlebnis für das zahlreiche Publikum. Fast zwei Stunden lang tobten die Zuschauer vor der Bühne, sangen mit und skandierten „Corvus Corax“ in den Pausen zwischen den Liedern. Für viele Zuschauer war die Schau das Highlight nicht nur dieses Mittelalterfests, sondern toppte viele anderen Veranstaltungen in Hermannstadt.
Doch auch die beiden anderen Bands, die beim Fest aufgetreten sind, zeigten ein hohes Niveau an mittelalterlicher Musikkunst. Die ungarische Band „Bordó Sárkány“ trat nicht nur auf der Bühne auf: Am Sonntagvormittag verlagerten die Musiker die Bühne spontan in die Fußgängerzone, wo sie trotz der Hitze begeistertes Publikum fanden.
Auch die Musik der deutschen Band „Drachenmond“, die nicht zum ersten Mal in Hermannstadt gastierte, riss die Zuschauer mit. Obwohl die Auftritte am Tag, bei gefühlten 40 Grad im Schatten, keinen Massenzulauf erlebt haben, waren die Musiker nicht enttäuscht. „Es ist einfach zu heiß. Am Abend kommen bestimmt mehr Leute“, meinte Draco von Ziegelfelsen und sollte recht behalten.
An die lebendigen Statuen des Kulturvereins BIS hat sich das Hermannstädter Publikum bereits gewohnt. Die weißgekleideten Schauspieler stellten einen wahren Magneten dar. Egal, wo sie auftauchten, scharte sich eine neugierige Menge Kinder und Erwachsene um sie. Bei der Pantomime „Der Kuss des Todes“ durften heuer auch Freiwillige aus dem Publikum mitmachen.
Eine Überraschung sowohl für die Organisatoren als auch für die Zuschauer haben die jungen Schauspieler des in Hermannstadt durchgeführten Mittelalterferienlagers vorbereitet. Mit ihrem Auftritt rechnete niemand, doch man fand auch für sie einen Platz im Programm. Die „Szenen aus dem Mittelalterleben“ brachte ihnen die gebührende Anerkennung.
Die Organisatoren des Festivals hatten sich Mühe gegeben, die Verkäufer am Jahrmarkt auszuwählen. Es sollte weniger Kitsch und mehr hochwertige Ware sein. „Man kann aber nur aus dem vorhandenen Angebot wählen“, sagte mit etwas Bedauern einer der Organisatoren. Die allgegenwärtigen Bauchladenverkäufer sowie die Anbieter von Zuckerwatte, die Silberschmuck- und Kinderspielzeughändler fanden trotzdem den Zugang zum Großen Ring. Sogar der Einsatz der Polizei konnte sie nur für kurze Zeit fernhalten: Wie ein Bumerang kehrten sie immer wieder zurück.
Die Besucher des diesjährigen Mittelalterfestes haben unterschiedliche Meinungen über die Veranstaltung. Manche sehen darin nur einen weiteren Beweis für den „Verfall der Sitten“ und eine billige Schau. Die anderen halten es für eine gute Möglichkeit, sich zu entspannen, zwischen den Verkaufsständen zu flanieren und den Durst nach mehr oder weniger anspruchsloser Unterhaltung zu stillen. Jedoch, viel davon, was als spontan und „anspruchslos“ erscheint, ist das Ergebnis des langen Trainings.
Der inszenierte Kampf der „Ritter der Roten Burg“ ist nicht nur perfekt choreografiert, sondern auch gefährlich, was einer der Ritter heuer auf der eigenen Haut erlebt hat. Der Tanz mit dem Feuer der Künstler von „Crispus“ ist zweifelsohne ein Hingucker und ein unvergessliches Ereignis.
Nachdem die drei heißen Tage des Festivals vorbei sind, bleiben nicht nur Erinnerungen, sondern bei Vielen auch der Wunsch, im nächsten Jahr wieder zu kommen. Denn auch diese Art der Unterhaltung braucht man neben den anspruchsvolleren Veranstaltungen.