Hermannstadt – Sie hätten sich auf je 20 Minuten beschränken sollen. Doch bei den Stoffen ihrer neuen Bücher in der Offerte des moldauischen Cartier-Verlags (Chișinău) war abzusehen, dass eine Stunde im Untergeschoss einer urbanen Humanitas-Buchhandlung nicht ausreichen würde, um all das anzuschneiden, was Leserinnen und Leser überzeugen könnte, eines, zwei oder sogar sämtliche drei Taschenbücher zu kaufen und darin zu schmökern. Weil George C. Dumitru, Paula Erizanu und Daniela Rațiu literarisch Hartnäckiges der gesamtrumänischen Geschichte des 20. Jahrhunderts sondieren, und man im Land am Ostufer des Pruth genau weiß, dass auch der größere Nachbarstaat drüben auf der anderen Seite ganz besonders schön weit davon entfernt ist, endlich Ordnung in der Bewältigung seiner eigenen Vergangenheit geschaffen zu haben. Die Moderation bestritt Paula Erizanu (Jahrgang 1992) als jüngste Autorin unter den schriftstellerisch tätigen Protagonisten der Buchvorstellung. Sie war dreifach, und ihr Anfang gehörte George Dumitru, einem Alumnus der Buka-rester Akademie für Wirtschaftswissenschaften (ASE), der aus Constan]a stammt und seine im Dobrudscha-Dorf Corbu an der Schwarzmeer-Küste verorteten Kindheits-Erinnerungen auf feinen 200 Seiten des Romans „Tot ce rămâne” (All das Bleibende) darlegt. Er spielt im letzten kommunistischen Jahrzehnt Rumäniens, wobei das allein noch nicht den wirklichen Aufhänger der Autobiografie ausmacht.
„Ich habe meine Diplomprüfung nach fünf Jahren Studium im Fach Literatur bestanden und anschließend über das Theater promoviert, aber dieser Roman hier hat mich dann doch wieder auf den Zauber der Prosa aufmerksam gemacht“, eröffnete auf dem Präsentations-Podium Forscher Bogdan Contea als Gesprächspartner von George C. Dumitru. „Das Schauderhafte, was in etlichen anderen Romanen über den Kommunismus steckt, hat dieser Roman nicht.“ Was dem Autor selbst in Hermannstadt/Sibiu denn auch sofort aus der Seele sprach: „Der Kommunismus ist nur Hintergrund, das Buch handelt von Kindheit, von dem kindlichen Blickwinkel damals“, so George C. Dumitru. „Als Erwachsener sah man alles, und als Kind sah man nichts.“ Neugierige aller-dings werden seinen Zweitroman begierig lesen, wo er unter Verwendung eines teils nicht ganz jugendfreien Vokabulars humoristisch Rumäniens spätkommunistische Mangel-Planwirtschaft Revue passieren lässt, und von ihr ein nostalgisches Bild zeichnet, das sich kaum in leichtgängigen Oberflächlichkeiten erschöpft.
Mindestens genauso unvorbelastet in die Wortschatz-Kiste greift auch Paula Erizanu mit ihrem Bestseller „Aicea-i și raiul, și iadul” (Hier sind Himmel und Hölle in Einem) über ein Jahrhundert der Geschichte Bessarabiens. Sage und schreibe vier unterschiedlichen Staaten habe das Dorf einer ihrer Großmütter reihum angehört, ehe die Republik Moldau nach ihrer Unabhängigkeits-Erlangung und dem Beitritt zur ONU 1992 zunächst eine Etappe eklatanter Armut zu durchstehen hatte. Auf die „große Differenz zwischen erlebter Geschichte und der in der Schule gelehrten Historie“ kam im Keller der Humanitas-Buchhandlung Hermannstadt Journalistin Mihaela Dedeoglu von der Rumänien-Redaktion der Anstalt Radio France Internationale (RFI) zu sprechen. „Was wir von uns selbst erzählen, ist nicht die reine Wahrheit“, bestätigte umgehend Paula Erizanu, deren monografischer Roman auf seinen 350 Seiten mit dem Hang zu Schönfärberei allerdings gehörig aufräumt. Noch ausführlicher hat es im Quantitativen nur noch die Biografie „Frica“ (Angst) von Daniela Rațiu in sich.
Ein Vorwort von Soziologe Vladimir Tism˛neanu findet sich hinter dem provokant roten Cover des Romans über Ana Pauker, die sich als allererste Außenministerin der Weltgeschichte unter rumänisch erbitterten Gegnern und bürgerlich Oppositionellen die Reputation von „Stalin im Frauenrock“ eingehandelt hatte, wie Hermannstadts prominente Lyrikerin und Gymnasiallehrerin Teodora Coman am Buchvorstellungs-Tisch anmerkte. Von Sigmund Freuds Schriften begeistert gewesen sein soll Jüdin Ana Pauker, packte Freitag, am 28. November, Daniela Rațiu näher aus, und dass sie als eine dem Sog des Kommunismus erlegene Aktivistin mit ihrer beachtlichen Belesenheit gar auch Corneliu Coposu zu beeindrucken vermochte.
Dennoch habe Ana Pauker sich Rechenschaft gegeben, dass „alles eine Desillusion ist“, und als ein „Bauer auf dem Schachbrett der Macht“ das Austreten nicht wagen könne, „obschon sie auf einer Macht-Position stand“, so hinzufügend Teodora Coman. Ehemann Marcel Pauker habe bekanntlich publik artikuliert, dass „die Macht parlamentarisch statt durch Terror übernommen werden soll“, und Moskau letal gegen sich aufgebracht. Nichts anderes als das Finale ihrer literarischen Ana-Pauker-Biografie, worin der Gefängnisgang zur Erschießung in Zeitlupe geschildert wird, geriet zum Vorlesen durch Schriftstellerin Daniela Rațiu persönlich. Und von Historiker Cosmin Popa gehe klar nicht ohne Grund der Fingerzeig aus, dass „das, was heute vor sich geht, eine kulturelle Neuprogrammierung Rumäniens“ unter bedenklich ernsten Vorzeichen von Gefahr wäre.





