Hermannstadt - Der Vortrag beim dritten Männerfrühstück der Evangelischen Akademie Siebenbürgen in diesem Jahr war angekündigt als ein Vortrag über die Zukunft – Referent Jens Kielhorn begann allerdings mit der Vergangenheit: Im Hermannstädter Ortsteil Hammersdorf/Guşteriţa entsteht derzeit die deutsche Charlotte-Dietrich-Schule.
Doch wer war die Namenspatronin? Kielhorn erläuterte, dass Dietrich (1834 - 1916) die erste Vorsitzende des Evangelischen Frauenvereins in Siebenbürgen war. Sie engagierte sich beispielsweise für Stipendien für Lehrerinnen oder für die Unterstützung von Waisenhäusern. Daraus entstand ein Verein, der ihren Namen trug. Später musste auf Druck der Kommunisten dessen Arbeit eingestellt werden. Nach der Wende, als es darum ging, dass die Landeskirche ein ehemaliges Gebäude aus Vereinsbesitz zurückerhalten wollte, startete man die Wiederbelebung. Die Rückerstattung des Gebäudes blieb erfolglos, aber es gab nun den Verein. Inhaltlich passend und genau zu der Zeit als Jens Kielhorn, Presbyter der Hermannstädter Stadtpfarrgemeinde, mit weiteren Mitstreitern einen Rahmen für eine Schulgründung suchte. Fest stand: Bei einer neuen Schule sollte die Gemeinde nicht nur Vermieterin des Gebäudes sein (wie es am Brukenthal-Lyzeum der Fall ist), sondern, anknüpfend an die sächsische Schultradition, auch Verwalterin. Durch seine Kinder hat Jens Kielhorn das hiesige Schulsystem und dessen Schwächen erlebt.
Als Kritikpunkte am staatlichen Schulwesen benennt er eine Pädagogik, die vorwiegend auf das Auswendiglernen ziele, meist fände reiner Frontalunterricht statt. Aufgrund eines Gehalts, welches nicht angemessen sei, böten etliche Lehrer Privatstunden an, was in einzelnen Fällen Einfluss auf die Notengebung hätte. Für eine angemessene Benotung setzt sich Kielhorn besonders ein. Eine Inflation von hohen Noten, wie es an einigen staatlichen Schulen der Fall sei, hält er für ein falsches Signal an die Schüler. Auch den Begriff „Deutsch als Muttersprache“ sieht er in der jetzigen Praxis kritisch: „Auf dem Schulhof sprechen die Kinder dann wieder Rumänisch. Da bleiben Kinder auf der Strecke, die wirklich daheim Deutsch reden.“ Daher gehören zur Zielgruppe der Charlotte-Dietrich-Schule in erster Linie Schüler aus der evangelischen Kirchengemeinde und auch der Nachwuchs von Arbeitskräften aus Deutschland. „Wenn es so eine Schule gibt, kann sie auch Magnet für die Zuwanderung aus dem deutschsprachigen Raum sein, die wir hier dringend brauchen“, betont er.
Kielhorn stammt aus Bonn und ist selbst vor einigen Jahren nach Hermannstadt gezogen. Er hofft, dass weitere Ausländer die Chancen in Rumänien erkennen. Die Charlotte-Dietrich-Schule ist als Privatschule konzipiert und erhebt Schulgebühren, damit die Kosten gedeckt werden können. „Dafür haben wir viel zu bieten“, verspricht Kielhorn, „pro Klasse haben wir ein Limit von 15 Schülern gesetzt. Das ergibt eine wunderbare Betreuungssituation.“ Neben Lehrplänen aus Baden-Württemberg setzt die junge Schule auf Erfahrungen einer deutschen Schule in Kopenhagen, die von der dortigen evangelischen Gemeinde gegründet wurde. Außerdem unterstützt eine Schule aus Wetzlar, die auf die Gründung von deutschen Schulen im Ausland spezialisiert ist, das Projekt. Das Vorhaben der Schulgründung in Hammersdorf erfährt darüber hinaus Rückhalt von Privatpersonen und Stiftungen. Mit Begeisterung in der Stimme spricht Kielhorn von der nahen und von der weiteren Zukunft sowie von der Gegenwart: „Im Herbst wird die erste Klasse eingeschult, 2028 haben wir dann den ersten Absolventen der zwölften Klasse. Es ist toll, dass die Schule jetzt Realität wird!“ Abgeschlossen werden soll dann 2028 übrigens mit dem International Baccalaureate, einer Art internationales Abitur, das weltweit anerkannt ist.
Manuel Stübecke