Klausenburg – Die Europhorie war groß, als Rumänien am 1. Januar 2007 in die Europäische Union aufgenommen wurde. Zehn Jahre später ist das Land gespalten, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Entwicklung. Auf der einen Seite stehen die starken Kreise Konstanza, Klausenburg/Cluj, Temesch/Timiş, Prahova, Kronstadt/Braşov und die Hauptstadt Bukarest, am unteren Ende die wirtschaftlich schwach entwickelten Kreise Botoşani, Teleorman, Mehedinţi, Neamţ und Suczawa. Während Klausenburg sich zur südosteuropäischen IT-Hochburg entwickelt, ist Kleinkopisch bis heute nicht an das Wasser- und Abwassernetz angebunden, wie so viele ländliche Gemeinden.
Unter dem Titel „10 Jahre seit dem Beitritt Rumäniens zur EU“ diskutierten am vergangenen Freitag Cord Meier-Klodt (Botschafter der Bundesrepublik Deutschland), Emil Hurezeanu (rumänischer Botschafter in Berlin), Emil Boc (ehemaliger Ministerpräsident), Vasile Puşca{ (ehemaliger Chef der EU-Beitrittsverhandlungen), Dragoş Anastasiu (Präsident der deutsch-rumänischen Außenhandelskammer), der Europaabgeordnete Daniel Buda (PNL) und Johannes Becker (TPA-Gruppe) sowie Hanns Ulrich Dietrich (Karl Heinz Dietrich International Exped) in der Aula Magna der Babeş-Boylai-Universität Klausenburg/Cluj-Napoca im Rahmen des Herbstfestes der deutschen Wirtschaft.
Geführt wurde die Debatte auf einer höheren Ebene, als der Stadt-Land-Entwicklung in Rumänien. Allein der Unternehmensberater Johannes Becker, der bereits seit 1991 an Projekten im Land mitwirkt und seit 2007 die Unternehmensberatung „Becker Consult“ führt, verwies darauf, dass die Entwicklung Rumäniens von der Entwicklung im ländlichen Raum abhängt. Hier liege viel ungenutztes Arbeitspotenzial, so Becker. „Die Städte haben sich spektakulär gewandelt, aber auf den Dörfern, wo früher ein alter Dacia stand, steht heute ein alter Opel.“
Der deutsche Botschafter Cord Meier-Klodt nannte die Frage nach einem „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ eine „etwas künstliche Alternative“ und „völlig irreführend“, wenn die Intention eine dauerhafte Einteilung der europäischen Staaten sei. Seiner Meinung nach entscheidet jeder Staat selbst darüber, was er tun kann. „Ich finde es als Herausforderung aber gar nicht schlecht, wenn ich weiß, es hängt eigentlich nur von mir ab und ich muss eigentlich nur Taten zeigen.“ Gerade hier, so Meier-Klodt, hat Rumänien nie eine bessere Gelegenheit gehabt, sich lautstark in der Mitte Europas zu positionieren als jetzt. Anfang 2019 übernimmt Rumänien zum ersten Mal die EU-Ratspräsidentschaft, in einer Phase, in welcher der Brexit zu seinem Abschluss kommen wird. Bewährt sich Rumänien in der Vorbereitung auf die EU-Ratspräsidentschaft, hat das Land einen Reputationsgewinn, wie er größer nicht sein könnte, sagte der deutsche Botschafter.
Die großen Probleme, die Rumänien in naher Zukunft bewältigen muss, so der ehemaliger Chef der EU-Beitrittsverhandlungen Vasile Puşcaş, sei eine wahrscheinliche Krise auf dem Arbeitsmarkt. „Mehr als drei Millionen Rumänen haben das Land verlassen, weil sie Europa zu Hause nicht vorgefunden haben. Sie wollten keine Migranten sein, aber sie sind gegangen, weil ihnen Europa versprochen wurde, Europa aber nicht gekommen ist. Wir werden in den kommenden fünf Jahren einen sehr hohen Arbeitskräftemangel haben, der die nachhaltige Entwicklung beschädigen wird,“ betonte der heutige Professor der Babeş-Boylai-Universität.
Einen Überblick über seine politischen Ideen gab der ehemalige Ministerpräsident Emil Boc. Nach Ansicht des heutigen Klausenburger Bürgermeisters benötigt Rumänien eine administrative Neugliederung nach dem Vorbild Polens. „Wir brauchen nicht das Rad neu erfinden, wir müssen ernsthafter in Rumänien arbeiten.“ Auch müsse Rumänien schnellst-möglich einen Plan für den Beitritt zum Euro aufstellen, welcher schließlich von allen rumänischen Partnern unterstützt werden muss. „Mit der deutsch-französischen Achse wird die Geschwindigkeit Europas durch den Euro bestimmt,“ so Boc. „Wenn Rumänien nicht aufwacht, versuchen wir umsonst ein zweistufiges Europa zu verhindern, welches tatsächlich bereits existiert. Doch es wird sich beschleunigen, wenn Rumänien nicht einen sehr kohärenten und präzisen Plan zum Beitritt in die Eurozone aufstellt.“