Hermannstadt – Musiklehrerin Claudia Miri-]escu und die von ihr im einstimmigen Chor dirigierten 35 Schülerinnen und Schüler des Honterus-Gymnasiums Kronstadt/Bra{ov, denen die Aufgabe der Eröffnung des Empfangs zum Tag der Deutschen Einheit 2022 in Hermannstadt/Sibiu zugefallen war, hatten recht lange Zeit auf dem Podest der überdachten Außenterrasse des Hilton-Hotels am Jungen Wald/P²durea Dumbrava auf ihren Kurzauftritt zu warten. Bestimmt noch mehr aber hatte jener Autofahrer im diplomatischen Dienst warten müssen, der Kerstin Ursula Jahn am Morgen des 10. November 1989 in Paris rasch „zu einem Kaffee auf den Mauerfall“ einlud und ihr gegenüber endlich eröffnete, aus Leipzig und somit der DDR zu stammen. Gerade einmal 21 Jahre alt und Anwärterin auf ein Beschäftigungsverhältnis im Auswärtigen Amt war damals die heute amtierende Konsulin der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt, wie sie der regionalen Elite am Montag-abend, dem 3. Oktober, erzählte.
Wo im Herbst 1989 in einem Bistro der französischen Hauptstadt ein „petit noir“ ausreichen musste, die Deutsche Einheit zu feiern, lud Konsulin Kerstin Ursula Jahn ihre Gäste in Hermannstadt 33 Jahre später selbstverständlich ein, die mit Sekt gefüllten Gläser darauf zu erheben. Der Mauerfall schließlich habe „nicht nur für die Deutschen“ einen „Freudentaumel“ ausgelöst und bald den „Revolutionsfunken“ überspringen lassen. Im selben Atemzug bedauerte Kerstin Ursula Jahn, dass die Revolution in Rumänien leider blutig, statt friedlich – „wie sehr ich Ihnen das gewünscht hätte!“ – geschah. Doch wäre „Rumänien seit 15 Jahren ein in der EU verlässlicher Partner.
Dass 2022 als „Kriegsjahr“ in die Geschichtsschreibung eingeht, fand in der festlichen Ansprache von Deutschlands Konsulin in Hermannstadt wie erwartet seine unverzichtbare Erwähnung. Die Dekoration des Empfangs, der mit dem 30. Jubiläum des Deutsch-Rumänischen Freundschaftsvertrages zusammentraf, vereinte alle vier Farbtöne beider Nationalflaggen und sprach wortlos für die Anerkennung Rumäniens als bekannt hilfsbereites Nachbarland der Ukraine: das Gelb – oder Gold – der bunt ineinander verflochtenen Ziffern „3“ und „0“ schloss markant an das nur in der rumänischen Fahne enthaltene Blau an. Nicht mehr den gleichen Respekt der Empfangsgesellschaft beanspruchen konnte mitunter die etwas unglücklich gewählte Überraschung, das Vorsingen der „Ode an die Freude“ von Friedrich Schiller und nach Melodie Ludwig van Beethovens durch Stimmen eifriger Schülerinnen und Schüler des Honterus-Gymnasiums von einem Pop-Playback begleiten zu lassen, was mit den klassisch-akademischen Aspirationen des alten Kontinents zu wenig gemein hatte und beinahe schon an Karaoke grenzte. Gebietet wachsende Gefahr es nicht, die Europa-Hymne einschließlich in ihrer künstlerischen Interpretation ein Stück weit mehr ernst zu nehmen?