Hermannstadt – Bedeutet es Korruption, wenn Schülerinnen und Schüler an deutschsprachigen Gymnasien in Rumänien über Wochen und Monate kontinuierlich die Stunden des evangelischen Religionsunterrichts schwänzen, sich aber jeweils auf der Semester-Zielgeraden bezüglich ihrer physischen Präsenz im Klassenraum eines Besseren besinnen, um auf den allerletzten Drücker mit der Bestnote in die Ferien vor dem nächsten Semester oder Schuljahr entlassen zu werden? Nein, findet ein Teilnehmer am Ökumene-Gastsemester an der Lucian-Blaga-Universität Sibiu (ULBS) mit etlichen Jahren Berufserfahrung als Pfarrer im protestantischen Baden-Württemberg. Ganz anders dagegen empfindet es Gunda Wittich, die sich in der Ökumenischen Bibliothek des Begegnungs- und Kulturzentrums „Friedrich Teutsch“ der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) in Hermannstadt nicht gerade ohne Grund pikant über den „Evangelischen Religions-Unterricht in Rumänien“ äußerte.
Für Donnerstagnachmittag, den 31. März, hatte sie denn auch einen kein bisschen schonenden Untertitel zu ihrem Vortrag gewählt, der die Perspektive einer bundesdeutschen Gastlehrerin vor Zuhörern ohne Kenntnis der realen Lage in Rumänien schilderte: „Zwischen Korruption, Show und Minderheitenpolitik.“ 2019 hatte sie selbst mit großer Neugierde am Ökumene-Gastsemester in Hermannstadt teilgenommen und im September des gleichen Jahres als Religions-Lehrerin Unterricht in deutschsprachigen Klassengängen oder gar Lyzeen zu geben angefangen. Bis Sommer 2022 hat Gunda Wittich sich von dem Schuldienst für die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR) freistellen lassen.
Seit Oktober 2020 schon gibt die 1963 im westdeutschen Duisburg geborene Theologin an Hermannstadts deutschsprachigen Schulen keinen Unterricht mehr. Dafür hat sie noch in den frühen Monaten der Corona-Pandemie ganz allein die Arbeit an einem „Lehrbuch für die 8. Klasse des Gymnasiums in Rumänien“ aufgenommen und es zeitgleich mit dem Anlaufen des aktuellen Schuljahres im Schiller-Verlag Hermannstadt/Bonn veröffentlicht. Es nimmt sich wie das totale Gegenteil zu der ersten Strecke ihrer auf drei Jahre befristeten Zeit in Rumänien aus. „Teil eins meines Plans ist ganz grandios gescheitert“, eröffnete Gunda Wittich am letzten Märztag ihren Gastvortrag im Teutsch-Haus der EKR. Im neuen Lehrbuch aus ihrer Hand aber steckt durchaus das Zeug, den evangelischen Religionsunterricht in der Wahrnehmung von Eltern, Schülern und nicht zuletzt auch Schulleitungen aufzuwerten. Vielleicht kann es der Gewohnheit, aus Bequemlichkeit im Fach Religion keine andere Zensur als eben nur eine Zehn zu erwarten, nicht die Leviten lesen. Erwachsenen von Morgen jedoch kann es womöglich helfen, sich Kompetenzen für das christlich motivierte Debattieren über Gott und die Welt anzueignen. Wofür Gunda Wittich selber nicht mehr länger als Lehrerin, hingegen noch bis Ende des Sommersemesters 2022 als Dozentin am Studiengang der ULBS für Protestantische Theologie die ein oder andere erfolgreiche Weiche in die Zukunft zu legen versucht.
Auch wenn ihr Gastvortrag im Teutsch-Haus absichtlich zahlreiche wunde Punkte aufzeigte, wovon längst nicht alle ausschließlich am deutschsprachigen Bildungswesen Rumäniens festzumachen sind – die aufmerksame Beobachtung, dass nationale Zugehörigkeit hier meist „staatlich und nicht bürgerschaftlich“ aufgefasst wird, birgt Diskussionsstoff inklusive für die protestantische Kulturlandschaft der deutschen Minderheit Rumäniens. „Ich habe von meiner Seite aus vorgeschlagen, den evangelischen Religionsunterricht in den Kirchengemeinden zu machen, aber den Kirchengemeinden ist es offenbar ganz wichtig, ihren Religionsunterricht unbedingt an den Schulen stattfinden zu lassen“, so Gunda Wittich. Für das System an Letzteren hat sie kaum ein gutes Wort übrig. „So eine Absurdität kann eigentlich nur jemand akzeptieren, der von hier aus kommt.“