Ein Libretto als Lobby gegen jede Motivation für Waffen-Industrie

Schauspieler leuchten das Innenleben der Stahlwerke von Cugir aus

Manche nehmen die Sache ernst, andere wiederum lachen darüber. Das Schauspiel, das seine Premiere Ende September in Klausenburg hatte, deckt die volle Bandbreite aller möglichen und unmöglichen Perspektiven auf die Waffenindustrie ab. Foto: Roland Váczi

Hermannstadt – Die garantiert am allermeisten polarisierende Teilveranstaltung der aktuellen Auflage vom „Jungen Festival“ am Gong-Theater Hermannstadt/Sibiu („Festivalul Tânăr“), dem Maia Morgenstern Sonntagabend, am 12. November, um 19 Uhr mit ihrer Solo-Vorstellung zum breiten Thema Antisemitismus in Rumänien „O lecție de bune maniere“ (Eine Lektion für gutes Benehmen) den Schlusspunkt setzt, steht am Donnerstag, dem 9. November, um 18 Uhr zur Stunde des pikant hinterfragenden Gastspiels „Oameni și arme“ (Menschen und Waffen) an, das jüngst Ende September am unabhängigen Haus „Reactor de creație și experiment“ nicht weit weg von der Stadtmitte Klausenburgs/Cluj-Napoca uraufgeführt wurde. Die Regie führt David Schwartz vom Team der Bukarester „Plattform für politisches Theater“ (Platforma de teatru politic), mit der die freischaffenden Akteure des „Reaktors für Gestaltung und Experimente“ eine Koproduktion eingegangen sind. Schauplatz des Textbuches sind die Stahlwerke der 20.000-Einwohner-Stadt Cugir im Südwesten der Kreishauptstadt Karlsburg/Alba-Iulia, die 1799 auf Betreiben der habsburgischen Verwaltungsbehörde gegründet wurden. Der erzhaltige Erdboden des nahen Westgebirges/Munții Apuseni brachte es zwangsläufig mit sich, dass in den Stahlwerken von Cugir bald vornehmlich metallene Ausrüstung für militärische Zwecke hergestellt werden sollte – ein ökonomisches Profil, das bis heute nichts von seiner umstrittenen Reputation eingebüßt hat und der seit fast 100 Jahren größten Waffen-Fabrik Rumäniens während des Zweiten Weltkriegs die Gleichschaltung mit den Vorgaben der deutschen Hermann-Göring-Reichswerke aufzwang. Derzeit liefern die Stahlwerke von Cugir NATO-taugliche Munition, Revolver und Maschinengewehre. Ihre Kalaschnikow-Maschinengewehre gingen vor 1989 an die Armeen nicht-westlicher Staaten wie beispielsweise Libyen und den Irak.

Die Produktion ziviler Waren wie Heimwerkzeug, Nähmaschinen und Waschmaschinen in den gleichen staatlichen Werkshallen, die nach 1989 einen überaus tiefen Einbruch der Arbeitnehmerzahlen verzeichneten, wurde 2008 endgültig stillgelegt. Das Theaterstück „Oameni și arme“ vom „Reactor de creație și experiment“ und der „Platforma de teatru politic“ behandelt denn auch nichts anderes als gesellschaftlich breite Folgen, individuelle Statements aktiver sowie pensionierter Fabrikangestellter und manch vermeidbare Kollateralschäden der mittleren und jüngeren Vergangenheit im direkten Einzugsgebiet der Stahlwerke Cugir, wo sich leider auch schon Arbeitsunfälle mit ungewollt tödlichem Ausgang ereignet haben. Auf dem Online-Ticketportal entertix.ro ist noch ein großes Kontingent Eintrittskarten für die nicht unkritische Vorstellung im Hermannstädter Gong-Theater verfügbar. Von Wolfgang Borchert, dem 1947 verstorbenen Schriftsteller des Dramas „Draußen vor der Tür. Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“, ist ein radikal pazifistisches Antikriegs-Manifest bekannt, das noch heute zu Frieden statt Wiederaufrüstung mahnt: „Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“ Das Theaterstück „Oameni și arme“ dauert 90 Minuten und ist aufgrund seines berührungsempfindlichen Inhalts nur Zuschauern ab 15 Jahren empfohlen. Die Idee zum Textbuch wurde Mai 2023 im unabhängigen Kulturzentrum „Beykoz Kundura“ von Istanbul detailliert entwickelt. Ein ausführlicher Bericht folgt in der ADZ vom 29. November.