Hermannstadt - Ein Tisch, ein Hocker. Dazu eine Filmprojektionsfläche, ein Fernseher und eine Kamera. Die Inszenierung „Brief an den Vater“/„Scrisoare către tata“ kam am Dienstag, den 11. Februar, im Spiegelsaal des Hermannstäder Forums zur Aufführung.
Anlässlich des Kafkajahres 2024 war das Stück bereits im letzten Herbst am Jüdischen Staatstheater in Bukarest uraufgeführt worden. Die 60-minütige Inszenierung ist angelehnt an den 1919 verfassten Brief Kafkas, der posthum durch seinen Freund und Nachlassverwalter Max Brod veröffentlicht worden war. Zustande gekommen ist die Kooperation zwischen dem Jüdischem Staatstheater und dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) durch eine Anfrage an die Leiterin der Brukenthalschule, Monika Hay, ob die Inszenierung zu Kafka nicht für ihre Schülerinnen und Schüler geeignet sein könnte. Mehrere Schulklassen waren dann auch gekommen, um die Aufführung zu sehen.
Die One-Man-Show mit dem Schauspieler Mircea Dragoman, unter anderem bekannt aus dem Film „Enescu – lebendig gehäutet“/„Enescu – jupuit viu“, reicht mit ihren interaktiven Komponenten sowie den Licht- und Tonelementen nah an den Menschen Kafka heran. Kafkas innere Welt, voller Konflikte und Widersprüche, wird greifbar. Dragoman, selbst einst Schüler am Honterus-Gymnasium in Kronstadt/Brașov, bestritt die Aufführung in deutscher und rumänischer Sprache.
In einem Eröffnungsdialog unterhält sich Kafka mit seinem Freund Max Brod, stellt ihm Fragen, zweifelt an dessen Entscheidungen: „Möchte jemand Herrn Dr. Brod eine Frage stellen?“, fragt Kafka in die Runde. „Wäre es nicht besser gewesen für dich, mich nicht gekannt zu haben?“, fragt er an anderer Stelle seinen Freund, der in einem Interview von 1968 aus einem Fernseher zu ihm spricht. Das gekonnt zusammengeschnittene Frage-Antwort-Spiel vermittelt den Eindruck, der Schriftsteller und sein Freund säßen in unmittelbarer Nähe.
Dann, die Zwiesprache mit dem Vater. Herausarbeiten der von Kafka beschriebenen „Wesensverschiedenheit“ von Vater und Sohn. Erziehungsregeln, die keinen Widerspruch zulassen, unerbittliches Messen mit zweierlei Maß, Einengung des Kindes. Der Übervater pocht auf die Einhaltung von Benimmregeln am Tisch, vergleicht die Armutssituation seiner Kindheit mit der Situation seines Sohnes. Beklemmung, Verunsicherung und Unverständnis. Ohnmachtsgefühle.
So wird der Mensch Kafka hautnah erlebbar, auch für die jüngere Generation von Heute. Schon Max Brod attestierte seinem Freund die Gabe, den Problemen und inneren Konflikten jüngerer Menschen in seinen Werken auf die Schliche zu kommen: „Ich habe den Eindruck aus vielen Briefen, die ich bekommen habe, dass gerade die Jugend, die Deutsch spricht, Kafka sehr innig versteht. Ich habe einige ganz wertvolle Briefe bekommen, aus denen hervorgeht, dass für diese jungen Leute Kafka in seiner grenzenlosen Wahrheitsliebe eine Art Ratgeber geworden ist.“
Was macht die Inszenierung aus? Auch sie mäandert zwischen Autobiografie und Fiktion, wie viele von Kafkas Werken. Sie schafft Zugang zum Menschen Kafka, ermöglicht einen Einblick, auch in den schriftstellerischen Schaffensprozess. Max Brod beschreibt es so: „Er schrieb in erster Reihe für sich aus einem inneren Zwang, aber das, was er schrieb, hat eben quasi im Nebenberuf auch eine Weltbedeutung. Letzten Endes, möchte ich sagen, war er ein strenger Moralist, ein Lehrer. Er lehrte nicht durch abstrakte Dogmen, sondern durch sein ganzes, ausschließlich auf Aufrichtigkeit und Wahrheit und Natürlichkeit gerichtetes Sein.“
Wahrheit, Natürlichkeit, Sensibilität, das Ringen um Identität und die emotionalen Auswirkungen ungelöster Konflikte sind Themen, die Menschen auch heute bewegen. Und die uns ermuntern, uns dem Menschen Kafka, wieder und wieder, in der gesamten Palette seines Facettenreichtums zu nähern.