Hermannstadt vernetzt pro-europäische Theaterideale

Radu-Stanca-Theater dringt in Grauzonen der jungen Geschichte vor

Hermannstadt – Europa darf nicht ausruhen. Zwar ist man versucht, ein gutes Vierteljahrhundert nach der Bewältigung geopolitischer Umwälzungen zu Beginn der 90er-Jahre alle sperrige Vergangenheit Revue passieren zu lassen und es sich im weichen Sessel der unbeschwerten Zukunft bequem zu machen. Doch kann man nicht behaupten, dass der Himmel über dem sozialen Europa alle Tage blau ist. An den bedenklichen Entwicklungen kann und will das Theater nicht vorbeileben. Diese Leitgedanken äußerte Constantin Chiriac, Generalintendant des Radu-Stanca-Theaters Hermannstadt/Sibiu (TNRS) und des Hermannstädter Internationalen Theaterfestivals (FITS) einleitend zu der Pressekonferenz am Mittwoch, dem 11. April, im Rahmen derer zwei junge rumänische, in Frankreich lebende Regisseure interessante Details über Inhalt und Entstehung ihrer aktuellen Inszenierungen vorstellten, deren Premieren auf der Bühne des TNRS kurz bevorstehen.

Am Dienstag, dem 17. April, findet um 20 Uhr auf der Bühne des Cavas-Studios an der Fakultät für Literatur und Künste der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt (ULBS) die Premiere der Vorstellung „Perfect Compus“, Regie und Bühnenentwurf Alexandra Badea, statt. Alexandra Badea (Jahrgang 1980) wurde in jene Welle junger Staatsbürger Rumäniens hineingeboren, deren Hunger und Durst nach künstlerischer Ausdrucksfreiheit an der Schwelle des 21. Jahrhunderts von der damaligen stotternden Sozialpolitik Rumäniens nicht gestillt werden konnte. Indem sie sofort nach Abschluss der akademischen Theaterausbildung Frankreich zu ihrem Lebensstandort machte, tat sie es unzähligen Altersgenossen gleich, die als geschlossene Gruppe dem einengenden Rumänien den Rücken kehrten. Alexandra Badea gibt zu, anlässlich des Schreibens an dem Textbuch der Inszenierung „Perfect Compus“ mit der gedanklichen Aufarbeitung der jungen Vergangenheit ihrer Generation begonnen zu haben. Zeitgleich mit ihrer Auswanderung nach Frankreich sei die rumänische Sprache zusehends in den Hintergrund gerückt. Ursprünglich habe sie das Stück in französischer Sprache schreiben und in einem zweiten Arbeitsgang ins Rumänische übersetzen wollen, was sich bald als unbefriedigend erwies. Alexandra Badea hat sich dazu durchgerungen, den Text zu „Perfect Compus“ in ihrer Muttersprache zu verfassen, die sie nach wie vor in reicher und alles andere als hölzerner Art und Weise beherrscht. „Perfect Compus“ verspricht, die einschränkende Sozialpolitik Rumäniens der Nachwendezeit versteckt aufs Korn zu nehmen, und stellt aktuelle Fragen junger rumänischer Staatsbürger nach dem Was und Wohin in dem gemeinsamen europäischen Gedankenraum.

Eugen Jebeleanu lebt ebenfalls in Frankreich, war jedoch in den vergangenen drei Jahren wiederholte Male als Regisseur einiger Inszenierungen am TNRS und am Gong-Theater in Hermannstadt zu Gast. Anhand der Inszenierung in rumänischer Sprache des Dramas „Blick von der Brücke“ des US-amerikanischen Autors Arthur Miller, die am heutigen Samstag, dem 14. April, um 19 Uhr im TNRS Premiere feiert, bieten Regisseur Eugen Jebeleanu und ein junges Schauspielensemble Gedankenanstöße, die jenen der Inszenierung „Perfect Compus“ von Alexandra Badea in weiten Teilen ähneln. „Blick von der Brücke“ (Vedere de pe pod) erzählt lebendig von der Migrationsbewegung von Europa nach den USA zu Beginn der 50er-Jahre. Laut Eugen Jebeleanu hat sich gegenwärtig das Blatt geändert, Europa ist nunmehr Gastgeber der Welt der Migranten geworden. Auch innerhalb Europas bestehe noch großer Nachholbedarf, da er als gebürtiger Rumäne in Frankreich zwar keine lebendigen Spuren des verpönten Schubladen-Denkens, trotzdem aber weiterhin imaginäre Grenzen erlebe. „Blick von der Brücke“ auf der Bühne des TNRS versteht sich als Inszenierung, die das Sich-selbst-Hinterfragen vorantreiben möchte.

Laut Constantin Chiriac habe die Hundertjahrfeier Rumäniens abseits aller sprühenden Feierlichkeiten auch den Beginn einer differenzierten Betrachtung der Geschichte Rumäniens einzuläuten. Die junge Zivilgesellschaft lechzt geradezu nach einer öffentlichen und unverblümten Aufarbeitung insbesondere der kommunistischen Nachkriegsgeschichte. In diesem Sinne versteht es sich für den Intendanten des TNRS und des FITS von selbst, dass jungen Regisseuren rumänischer Abstammung ein permanentes Mitreden in Sachen Theater gewährt wird.