Hermannstadt – Eine etwas andere Art des Protestes fand am Wochenende in Hermannstadt/Sibiu am Großen Ring/Piaţa Mare statt. Rund 300 Hermannstädter aller Altersgruppen folgten der Einladung, durch Kultur zu protestieren und nahmen auf mitgebrachten Stühlen Platz, um Bücher zu lesen. Absicht der außergewöhnlichen Aktion war es, die Unzufriedenheit und den Widerstand der Bürger gegen die grassierende Korruption und die Ignoranz der Regierung auch tagsüber zum Ausdruck zu bringen. „Wir haben uns für diese Form des Protestes entschieden, weil wir in diesem Zeitalter der Geschwindigkeit viel zu selten dazu kommen zu lesen“ so eine Teilnehmerin. Bei sonnigem, aber kaltem Wetter gesellten sich sogar Touristen zu den lesenden Hermannstädtern, um ihre Unterstützung für die andauernden Proteste auszudrücken.
Am Abend zog dann auch am dreizehnten Tag in Folge wieder ein Demonstrationszug vom Großen Ring bis zum Rahovei-Platz und zurück. Bis zu 4000 Menschen beteiligten sich bei einstelligen Minusgraden an dem Marsch. Als der Demonstrationszug wieder den Großen Ring erreichte, war die Teilnehmerzahl allerdings schon deutlich gesunken. Nur noch einige hundert Menschen sangen zusammen die Nationalhymne. Ein großes Fronttransparent zeigte den Schriftzug „#rezistam“ - „Wir halten durch“. Eine Teilnehmerin sagte: „Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die täglich kommen und demonstrieren, aber um die Teilnehmerzahl zu erhöhen, sollten vielleicht nur mittwochs und sonntags Demonstrationen stattfinden.“
Die Hermannstädter Lokalpresse sprach von über 7000 Teilnehmern. Doch schon in den vergangenen Protesttagen hatten „Tribuna“ und „Turnul Sfatului“ die Teilnehmerzahlen bis zum Doppelten nach oben korrigiert. Der Nachrichtensender „Digi24“ sprach für Sonntagabend gar von 10.000 Demonstranten in Hermannstadt.
Nach dem Höhepunkt am 5. Februar ging die Zahl der Demonstranten in der vergangenen Woche zwar zurück, doch auch am Sonntag zog es immer noch fast doppelt so viele Menschen auf die Straße als nach dem Brand im Bukarester Club Colectiv. Zu den Protesten gegen den Goldabbau in Roşia Montana kamen gar nur einige Hundert Hermannstädter. Dabei wurden beide Demonstrationen 2013 bzw. 2015 als die größten Proteste seit den Mineriaden bezeichnet. Auch in Klausenburg/Cluj-Napoca gingen wieder mehrere Tausend Menschen auf die Straße. Im Unterschied zu Hermannstadt, wo alle Altersschichten demonstrieren, sind es in Klausenburg allerdings vornehmlich junge Leute, ältere Menschen sieht man kaum.