Hermannstadt – In einem chronisch schwächelnden Sozialstaat und ganz besonders auf Dörfern im Aufmerksamkeitsschatten der urbanen Öffentlichkeit, wo Schulabbruch und Analphabetismus an der Tagesordnung stehen, ist Bildung vor allem eines: Privatsache. „Ich hatte geglaubt, mein Kind wäre behindert. Noch in der vierten Klasse ging überhaupt nichts, aber jetzt liest es. Ich danke Ihnen!“, so die Mutter oder der Vater eines von über 100 Schulkindern und Jugendlichen aus den bildschönen Dörfern Waldhütten/Valchid und Großalisch/Seleuș im leider sehr oft unbeachteten Flachland Südsiebenbürgens, wo die NGO Casa Naturii sich schon seit 2020 um das Abbauen schulisch erheblicher Rückstände in der ruralen Breitengesellschaft bemüht. Ihre jüngste Begleitveranstaltung hat genau 101 Minderjährigen der örtlichen Grundschulen das lange Halbjahr von Januar bis Juni 2023 merklich erleichtert und ihnen gar ein appetitanregendes Stück Freude am Lesen vermittelt, das vielen der dort häufig benachteiligten Erwachsenen von morgen meist unerreichbar gewesen war. Doch vier in der Region lebende Pädagoginnen mit genauer Kenntnis der Missstände in den Reihen des dörflichen Schulpublikums haben es in wöchentlichem Einsatz und durch Gruppenarbeit mit den Schulkindern fertiggebracht, die stockenden Leserinnen und Leser zu selbstbewussten Nutzern von Alphabet, Schrift und Sprache zu formen. Die Unterrichtseinheiten für all die Minderjährigen mit speziellen Bedürfnissen gingen nach alternativen statt formalen Bildungsmustern vor sich und setzten nicht einmal während des drei Wochen langen Lehramtsstreiks zu Ende des Sommersemesters aus. Förderung erhielt die NGO Casa Naturii dabei vom Verein Medicover und von der Labor-Diagnose-GmbH Synevo. „Alle Kinder erkennen jetzt die Buchstaben wieder und lesen gut, und einige schaffen es auch, sich frei auszudrücken. Die Aggressivität und der Mangel an Konzentrationskraft haben sich verringert und die Kinder haben Kontakte zu ihren Pädagoginnen geknüpft.“, wie Casa Naturii Mitte Juni bestätigte. Expertin Cinzia aus Waldhütten, deren Aufgabe es vor allem war, den Kindern im Grundschulalter zu helfen, ihre Lesefähigkeit anhand der Fibel zu festigen, sprach davon, dass „es nicht nur um klassische, sondern auch um eine emotionale Alphabetisierung ging.“ Kollegin Dana aus Großalisch erzählte von „S., die zu Beginn der zweiten Klasse nur ein paar Buchstaben beherrschte. Nach nur ein paar Monaten liest sie schon ganz gut, bloß die längeren Wörter buchstabiert sie noch. Und, das Wichtigste, das Lesen gefällt ihr, sie tut es auch in der Pause.“ Eine täglich warme Mahlzeit, von den Sponsoren und Veranstaltern geschenkt, half entscheidend mit, den begleitenden Unterricht gut gestärkt zu besuchen. Die Chancen, auch ab Herbst 2023 und bis Schuljahresende 2024 dranzubleiben, könnten besser kaum stehen.