Gleich nach Schulschluss finden sie überall im Land statt: die trubeligen und doch beliebten Schlussfeiern der Schulkinder. Jede Klasse bereitet ein besonderes Programm vor, man singt, tanzt, sagt Gedichte auf und zeigt, was man im Laufe eines Jahres gelernt hat. Und die Eltern verfolgen das Geschehen auf der Bühne, kommentieren und lachen, warten auf die Zeugnisse und Preisverleihung. So war das schon immer und so ist es auch heute noch.
In Alzen/Alţâna im Harbachtal fiel dieses Fest auf einen Freitag. Die Schüler der Grundschule hatten sich im Kulturheim versammelt; unter den zahlreichen Schülern erregte eine kleine Gruppe besonderes Aufsehen. Denn sie sangen und trugen ihre Gedichte in deutscher Sprache vor, sie tanzten sächsische und deutsche Tänze, es gab einen kleinen Klaviervortrag...
In Alzen im Kreis Hermannstadt/Sibiu besteht auch heute noch eine der wenigen deutschsprachigen Abteilungen an rumänischen Dorfschulen. Eingeschrieben waren im abgelaufenen Schuljahr 14 Kinder, die simultan unterrichtet wurden. Sechs davon besuchten die erste Klasse, zwei die zweite, vier die dritte und zwei die vierte. Diese Kinder kommen aus Alzen und den nahegelegenen Ortschaften Holzmengen/Hozman, Marpod und Leschkirch/Nocrich. Sie stammen meist aus Mischehen oder von deutschen Eltern ab, die sich in Siebenbürgen niedergelassen haben. Das Niveau ist dementsprechend unterschiedlich und das Unterrichten eine große Herausforderung. Doch nicht für Rosi Müller, die eine Lehrerin ist, wie sie sich jede Schule nur wünschen kann! Die Schule ist ihre Haupt- und Lieblingsbeschäftigung: Das Unterrichten macht ihr Spaß, die Arbeit mit den Kindern große Freude. Sie lehrt sie schreiben und rechnen, aber auch zeichnen und malen, tanzen und singen. Alte deutsche Volkslieder, Tänze und Märchen gehören dazu, Wanderungen und Lehrausflüge stehen auf dem Programm. Die Kinder lieben sie sehr und einer sagte es für alle: „Sie ist die beste Lehrerin, die man sich vorstellen kann!“ Denn sie ist eine Erzieherin von echtem Schrot und Korn, wie sie noch vor zwei Jahrzehnten in vielen deutschen Schulen Rumäniens anzutreffen waren. Sie alle waren Absolventen der Pädagogischen Schulen von Schäßburg/Sighişoara und Hermannstadt/Sibiu und hatten alles mitbekommen, was eine perfekte Lehrerin wissen muss. Rosi Müller ist eine der letzten, die durchgehalten und ihr Lebensziel hier verwirklicht hat, und sie hat es nicht bereut.
Rosi Müller ist gebürtige Alznerin, die sich die Lebensaufgabe gestellt hat, ihrer sächsischen Dorfgemeinschaft Bestand zu verleihen. Sie ist Kuratorin und betreut die evangelische Kirche; sie ist Lehrerin und widmet die meiste Zeit ihren Schülern; sie kümmert sich um ihre Landsleute von hier und von auswärts sowie um die zahlreichen Gäste und Touristen, die immer wieder vorbeikommen. Alzen ist ein stattliches Dorf im malerischen Harbachtal und hat wie jeder Ort Besonderheiten aufzuweisen. Was auffällt, ist das harmonische Mit- und Nebeneinander der verschiedenen Ethnien. Die Rumänen pflegen ihre Bräuche, die Roma versuchen sich anzupassen, die Sachsen renovieren ihre Kirchenburg und ihre Häuser, die in Alzen einen besonderen Dekorationsstil aufweisen. Wo die Alzner Sachsen auch leben, sie treffen sich immer wieder, auch über die Landesgrenzen hinweg. Am beeindruckendsten sind immer die Treffen in der Heimat.
Das gute Zusammenleben in Alzen geht sicher auch von der Schule aus, wo 140 Kinder eingeschrieben sind, in der Hauptsache Roma. Die Lehrer verstehen sich gut miteinander, Rosi Müller trägt das ihre dazu bei. Eine Patenschaft mit der deutschen Ortschaft Frömern aus Nordrhein-Westfalen dauert schon mehr als drei Jahrzehnte, und wenn anfangs mehr die evangelische Kirche unterstützt wurde, weitete sich das bald auch auf die Schule aus. Und wenn Gaben ankamen, wurden sie brüderlich auf alle Klassen verteilt. Da die deutschen Freunde jedes zweite Jahr auf Besuch kamen, wussten sie bestens Bescheid um die Nöte und Sorgen einer Dorfschule. So spendete beispielsweise der deutsche Kirchmeister sein gesamtes Geburtstagspräsent für eine Heizanlage in der Schule, im Wert von 8000 Euro!
Dass der Besuch einer deutschen Schule ein großer Gewinn für die Kinder aller Ethnien ist, weiß man in Alzen schon lange. Zwei Alzner Rumänen, die Brüder Eugen und Ştefan Vaida, haben sich durch ihre Tätigkeit nicht nur in Siebenbürgen einen Namen gemacht. Eugen ist Architekt und arbeitet mit bekannten Stiftungen zusammen, Ştefan ist ein begabter Restaurator und beliebter Reiseleiter. Beide haben vor Kurzem ein eigenes Dorfmuseum eingerichtet, wo alle Ethnien von Alzen vertreten sind. Und beide haben ihren ersten Deutschunterricht bei Rosi Müller genossen. Auch Romakinder sind hier keine Ausnahme. Ein Romajunge besucht in Hermannstadt eine weiterbildende Schule, und ein Romamädchen arbeitet als Sekretärin bei einer deutschen Firma in Hermannstadt, nachdem sie eben die Hochschule absolviert hat.
Wie Urkunden bezeugen, lebten in Alzen im Jahr 1480 rund 80 Wirte, 2 Hirten, 2 Arme und 1 Schulmeister. 550 Jahre später gibt es in Alzen noch immer einen sächsischen Dorfschulmeister, und das ununterbrochen seit einem halben Jahrtausend! Diesmal ist es eine Frau: die bekannte und beliebte Lehrerin Rosi Müller!