Temeswar (ADZ) – Man habe sich nie mit ihm beraten und deshalb lege er den Ehrenvorsitz des Temeswarer Kulturhauptstadt-Vereins nieder. Er habe dieses Amt praktisch nie ausgeübt und wolle es zukünftig nicht mehr bekleiden. So beginnt der offene Brief des gebürtigen Temeswarers und langjährigen Direktors der Wiener Staatsoper, Ioan Holender, an die Leitung des Kulturhauptstadt-Vereins und an die Bürger von Temeswar. Die Tatsache, dass führende Temeswarer Intellektuelle von der gegenwärtigen Vereinsleitung ebenfalls aus dem Projekt ausgeschlossen wurden, habe zu seiner Entscheidung beigetragen.
Er wolle, dass sein Name mit dem Kulturhauptstadt-Verein nicht mehr in Verbindung gebracht wird, so Holender weiter. Er stehe zu den Intellektuellen seiner Stadt, zu Persönlichkeiten wie Marcel Tolcea, Sorina Jecza, Daniel Vighi, Adriana Lupu Hausvater, Adriana Babe]i, Brânduşa Armanca, Ioan Coriolan Gârboni, Corneliu Murgu und etliche andere, die, insoweit er verstehen konnte, von den Anliegen der Kulturhauptstadt ausgeschlossen und nicht einmal zu Rate gezogen wurden. Andererseits habe man einen schwedischen Staatsbürger, den bereits stark in die Kritik geratenen künstlerischen Leiter des Vereins, Chris Torch, angestellt. Dieser habe überhaupt keine Beziehung zu Temeswar und kenne die rumänische Sprache nicht, setzte Holender seine Vorwürfe gegen Vereinsleiterin Simona Neumann fort.
Der Verein habe seinen Ehrenvorsitzenden nicht einmal darüber informiert, dass Simona Neumanns Ehegatte, Victor Neumann, dem leitenden Gremium des Vereins angehöre. Holender erklärte, dass er gar nicht wusste, wer überhaupt Mitglied in diesem Gremium sei. Seine Entscheidung solle publik gemacht werden, so die Schlussforderung seines öffentliches Briefes, der bereits am Montagabend über Facebook zirkulierte, in der Online-Presse veröffentlicht und in den Gesprächsforen der Temeswarer Medien heiß diskutiert wurde.
Vereinsleiterin Simona Neumann erklärte derweil, man habe sie über Holenders Entscheidung in Kenntnis gesetzt. Der ehemalige Direktor der Wiener Staatsoper habe das Amt des Ehrenvorsitzenden seit 2011 bekleidet und sich damals sehr engagiert. Auch habe er während der Endphase der Kandidatur, als Temeswar in die engere Auswahl gekommen war, den Verein unterstützt. Dafür gebühre ihm Dank, sagte Neumann. Der Verein aber stehe vor einer Umstrukturierung, auch sein Leitungsgremium werde demnächst einer Erneuerungskur unterzogen. Neue Mitglieder sollen herangezogen, ihre Kompetenzen werden besser und klarer geregelt werden, der Verein müsse reformiert werden.
Für die Stadt Temeswar und vor allem für die gegenwärtige Leitung des Kulturhauptstadt-Vereins ist der Rücktritt von Ioan Holender ein Image-Verlust. Seine Entscheidung kommt nach einem bereits mehrere Wochen andauernden öffentlichen Streit zwischen einigen führenden Intellektuellen und der Vereinsleitung um Simona Neumann und Chris Torch. Wie die ADZ berichtete, hatte sich Bürgermeister Nicolae Robu in den Streit eingeschaltet und nach einem Treffen im Rathaus mit allen Beteiligten für noch mehr Wirbel gesorgt. Damals hatte der Bürgermeister vorgeschlagen, neue Ausschüsse und Kommissionen, darunter einen Ethikrat, zu gründen, um die Arbeit des Vereins besser zu kontrollieren. Nachdem aber Anfang voriger Woche der Verein in der Aula Magna der West-Universität seine Agenda für 2018 vorgestellt hatte, schienen sich die Wogen etwas zu glätten. Der Brief Holenders gießt jedoch neues Öl ins Feuer, gehörte der 1935 in Temeswar Geborene doch zu jener Gruppe international anerkannter Persönlichkeiten, die das Kulturhauptstadt-Projekt von Anfang an mit großer Begeisterung und mit viel Erfahrung unterstützt haben.