„Sie geht von der Hyper-Affektivität runter“

Eine Handvoll Kino-Zuschauer debattierte über Hannah Arendt

Hermannstadt – „Wäre sie auch ohne ´Eichmann in Jerusalem´ bekannt geworden?“, fragte Philosophin und Lektorin Dr. Eveline Cioflec von der Lucian-Blaga-Universität Sibiu (ULSB) zurecht am Donnerstagabend, dem 4. Dezember, in den Hochmeister-Saal des gleichnamigen Hauses und Deutschen Kulturzentrums vor Ort im zentralen Hermannstadt hinein. Ihre zum Ja neigende Vermutung äußerte sie nicht gleich sofort, doch Kollegin Vanessa Schmitz von der Eberhard-Karls-Universität Tübingen holte unmittelbar zu der Erläuterung aus, dass die Hauptperson des zuvor gezeigten Films (2012) von Regisseurin Margarethe von Trotta NS-Verbrecher Otto Adolf Eichmann „nicht verzeihen, aber verstehen“ wollte, weshalb es als unwahrscheinlich anzunehmen ist, dass die Welt früher oder später nicht von ihrer Art des Erörterns schwerer Dilemmata Notiz genommen hätte.

Ein „sehr arbeitsames Wesen“ soll Hannah Arendt gewesen sein, gab Dr. Cioflec dem kleinen Publikum des Kinoabends haargenau zum 50. Jahrestag seit dem Tod der in New York City verstorbenen Publizistin weiter. Mindestens 2500 Seiten Verhandlungsprotokolle vom Eichmann-Prozess hat die für das Magazin „The New Yorker“ nach Jerusalem entsandte Reporterin deutscher Abstammung und jüdischer Identität bis in letzte Details konsultiert, woran auch der biografische Kunstfilm Margarethe von Trottas erinnert. „Sie geht von der Hyper-Affektivität runter“, stellte treffend nach Filmende im Hochmeister-Festsaal Hermannstadts freischaffende Musikerin Monika Robescu in Bezug auf Hanna Arendts gewollt spitze Feder fest. Und tatsächlich wäre ihr „Bericht über die Banalität des Bösen“ auch Dr. Eveline Cioflec zufolge „bis heute kontrovers“, wo Arendt binnen kürzester Zeit nach der 1963 zunächst in den USA mächtig für Furore sorgenden Erstveröffentlichung ihres pikanten Berichts herausfinden musste, „wer meine richtigen Freunde sind“, da die Anzahl ihrer Meinungsgegner sprungartig in die Höhe geschossen war. Und das in einer freien Welt, deren Schlagzeilen damals noch analog ihre weiten Kreise unter Medien-Konsumenten zogen. „Die Öffentlichkeit operiert heute anders“, schlussfolgerte Diskussions-Moderatorin Dr. Eveline Cioflec, und darüber, dass Hannah Arendt im digitalisierten Weltdorf das Publikum nicht wegbliebe, war man sich am Abend des 4. Dezember im Hochmeister-Haus einig. Leider hatten die Kino-Zuschauer einige Unterbrechungen im Ausstrahlen des historisch sehr akkuraten Streifens auf die weiße Zimmerwand dulden müssen, doch lässt er sich in voller Länge von einer Stunde und 53 Minuten jederzeit auch auf Youtube nachverfolgen. „Nicht vor dem Monströsen, sondern dem Mitläufertum“ soll Eichmanns Prozess-Beobachterin Hannah Arendt erschrocken sein.