Ungerechtigkeit und Manipulation der Geschichte

Timișoara-Gesellschaft nimmt Stellung zur OGH-Entscheidung

Temeswar - „Die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) in der Rechtssache Gheorghe Ursu hinterlässt bei uns das Gefühl der Empörung über eine offensichtliche Ungerechtigkeit, aber auch der Hilflosigkeit angesichts einer systematischen Manipulation der Geschichte“: Etwa so klingt, ins Deutsche übertragen, der erste Satz einer öffentlichen Stellungnahme der Timi{oara-Gesellschaft in Temeswar. Die Timișoara-Gesellschaft wurde von einigen direkt an der Revolution 1989 in Temeswar beteiligten Intelektuellen im ersten Monat nach Ausbruch der Revolution gegründet, mit dem Ziel, die Demokratie, Menschenrechte und richtige Information zu fördern. In der Rechtssache Ursu sprach der OGH vor kurzem zwei frühere Securitate-Offiziere von dem Vorwurf frei, 1985 an der Ermordung des Regimekritikers Gheorghe Ursu beteiligt gewesen zu sein. Das  Institut für die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen hatte bestürzt reagiert, und auch Justizministerin  Alina Gorghiu (PNL) kritisierte den Gerichtsbeschluss (die ADZ berichtete).

„Für die vergangenen 80 Jahre gibt es, wie wir glauben, eine subjektive Geschichte (weil sie selten Gegenstand einer wissenschaftlichen  Analyse ist), die mit den Augen derjenigen gesehen wird, die sie aufzeichnen, und in der die mündliche Geschichte und das Gedächtnis der Zeitzeugen jener Zeit zusammenkommen. Daneben gibt es die verfälschte Geschichte, die von ehemaligen Geheimagenten geschrieben wurde, die damit ihre Taten rechtfertigen. Neben den Schriften ehemaliger Geheimagenten gibt es die Schriften gehorsamer, gut finanzierter ´Spezialisten´, die ihre eigenen Versionen in den Geschichtsbüchern und in der Öffentlichkeit verbreiten und die ihren Platz im staatlich finanzierten Institut der Rumänischen Revolution gefunden haben.

Es gibt auch eine Geschichte, die vorgibt, objektiv zu sein, die auf Fakten, greifbaren Beweisen und Zeugenaussagen beruht, in der ein Gericht ein Urteil verkündet, das die Geschichte ebenfalls verzeichnen muss. Um eine solche objektive Geschichte schreiben zu können, fordern wir seit langem die Vervollständigung der Revolutionsakte, solange Ion Iliescu noch am Leben ist, ohne daran zu denken, dass auch auf dieser Ebene, von einigen Fachleuten - mit Gehältern und Sonderrenten, die von den Steuerzahlern unterstützt werden, eben um die Objektivität zu gewährleisten - die Realität verdreht werden kann. Wie wird die Geschichte nach einer solchen Gerichtsentscheidung für unsere Enkelkinder aussehen? Wie können wir nach mehr als dreißig Jahren akzeptieren, dass unser Kampf vergeblich war und dass wir eine Geschichte erlebt haben, die wir nicht anerkennen?“, heißt es in der Stellungnahme der Timișoara-Gesellschaft vom 1. August 2023.