„Wir vergessen nicht“

Gedenktafel erinnert an antisemitisches Attentat in Temeswar

Bei der Enthüllung der Tafel, die auf das antisemitische Attentat vom 26. November 1938 hinweist: Rabbi Zvika Kfir, Luciana Friedmann und Dominic Fritz

Die viersprachige Gedenktafel am Operngebäude erinnert an eine dunkle Episode aus der Geschichte Temeswars. Fotos: Raluca Nelepcu

Temeswar - Im Gemeindetheater in Temeswar/Timișoara findet eine Aufführung auf Jiddisch statt. Es tritt die beliebte jüdische Sängerin und Schauspielerin aus Czernowitz, Sidy Thal, auf. Die Aufführung ist komplett ausverkauft. Keiner im Saal scheint nur zu ahnen, dass der gemütliche Theaterabend zu einer Tragödie werden sollte.

Nur wenige Minuten nach dem Beginn der Vorstellung explodieren zwei Handgranaten im Saal. 72 Menschen werden verletzt, vier kommen bei dem Angriff ums Leben. Es ist der 26. November 1938 – nur wenige Wochen vorher hatte im Deutschen Reich die Reichskristallnacht stattgefunden, bei der Synagogen und jüdische Geschäfte brannten, Menschen starben oder verhaftet, gedemütigt und misshandelt wurden.

An die Opfer des Attentats vom 26. November 1938 in Temeswar erinnert seit Sonntag eine Tafel, die am Operngebäude in der Alba-Iulia-Straße angebracht worden ist. Darauf steht – auf Rumänisch, Hebräisch, Deutsch und Ungarisch – Folgendes geschrieben: „Zum Gedenken an die vier Juden, die beim Bombenanschlag vom 26. November 1938 in diesem Gebäude getötet wurden. Wir vergessen nicht“. Am frühen Sonntagnachmittag wurde die Tafel von Bürgermeister Dominic Fritz und Luciana Friedmann, der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, enthüllt. Der Rabbi Zvika Kfir sprach ein Gebet für die vier Opfer des antisemitischen Attentats, deren Namen er auch nannte: Berthold Eckstein, Serena Hirsch, Isidor Segal, Simon Hirsch.

„Man weiß nur sehr wenig über die Attentäter und was danach mit ihnen geschehen ist. Klar ist aber, dass es ein junger Mann aus Ferdinandsberg gewesen ist, Mitarbeiter der Rumänischen Eisenbahngesellschaft CFR, der zwei Handgranaten aus dem Balkon geworfen hat. Er hat nicht allein agiert, es war eine geplante Aktion der Eisernen Garde“, erzählte Bürgermeister Dominic Fritz. Über das dunkle Ereignis in der Geschichte Temeswars hatte ihn der Journalist und Autor William Totok, Mitglied der Aktionsgruppe „Banat“, informiert – William Totok war zum 50-jährigen Jubiläum der Aktionsgruppe nach Temeswar gereist. Voriges Jahr, bei einem Treffen von Aktionsgruppe-Gründungsmitglied Werner Kremm mit dem Abgeordneten der deutschen Minderheit im Parlament Rumäniens, Ovidiu Ganț, wurde auch letzterer davon in Kenntnis gesetzt. Dieser wiederum sprach diesbezüglich mit seinem Freund und Kollegen Silviu Vexler, dem Abgeordneten der jüdischen Minderheit, der das Bukarester Forschungsinstitut zur Geschichte der Juden mit der Forschung zu diesem Thema beauftragte. Die dadurch entstandene Dokumentation wurde an das Bürgermeisteramt Temeswar geschickt. „Ich finde es sehr gut, dass diese Tafel gemacht wurde. Es gibt einen Mythos über die hervorragenden interethnischen Beziehungen, die in Temeswar fortdauernd so waren. Die Geschichte hat gezeigt, dass es manchmal auch dunkle Seiten gegeben hat – wie zum Beispiel dieser Angriff rumänischer Faschisten auf die jüdische Gemeinschaft. Es ist auch lehrhaft für die heutigen Tage, wo ja Antisemitismus in Europa, wie auch in Rumänien, wieder erstarkt ist und wir das bekämpfen müssen“, sagte der Abgeordnete der deutschen Minderheit, Ovidiu Ganț.

Rechtzeitig zum 85-jährigen Gedenken an den antisemitischen Angriff wurde auch die Gedenktafel in der Temeswarer Innenstadt enthüllt. „Ich bedanke mich bei Herrn Bürgermeister für die Hartnäckigkeit, dieses Projekt durchzuziehen und dafür, dass er Interesse gezeigt hat. Es ist eine weniger bekannte Episode, die ich in meiner Kindheit auch gehört habe“, sagte Luciana Friedmann. „Es ist wichtig, dass wir uns daran erinnern, damit sich die Geschichte nicht wiederholt“, betonte sie. Luciana Friedmann plädierte dafür, dass sich das Publikum das Theaterstück „Sidy Thal“ am Deutschen Staatstheater Temeswar (DSTT), das in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Staatstheater in Bukarest in der Regie von Clemens Bechtel Anfang November seine Uraufführung erlebte, und gerade diesen antisemitischen Angriff thematisiert, anschaut. Den Text dafür schrieb der Dramatiker Thomas Perle im Auftrag des DSTT. Bei der Enthüllung der Gedenktafel waren der DSTT-Intendant Lucian Vărșăndan und der Operndirektor Christian Rudik zugegen. Die deutsche Konsulin in Temeswar, Regina Lochner, wie auch der ungarische Honorarkonsul Péter Tamás wohnten der Veranstaltung bei.

Andrei Schwartz, Mitglied im Jüdischen Weltkongress, sprach über den Antisemitismus in der heutigen Gesellschaft. „Der Antisemitismus hat die Juden als Zielscheibe nur in seiner ersten Etappe. Die Zerstörung der Gesellschaft aus ihrem Inneren ist die nächste Etappe. Temeswar ist nicht isoliert im Vergleich zum Rest der Gesellschaft. Wir beobachten, wie dieses Virus des Antisemitismus auf unterschiedliche Weise angewandt wird – von der höchsten bis zur untersten Ebene der Gesellschaft“, betonte Andrei Schwartz. „In Temeswar leben heute nur noch wenige Juden. Die Juden, neben den Deutschen, Ungarn, Rumänen, Serben und anderen Nationalitäten, haben einen erheblichen Beitrag zum Gewebe der heutigen Gesellschaft geleistet, das bis heute währt und das immer schwächer wird. Und wenn wir in Temeswar Märsche erleben, die das Gedenken an die Opfer des Holocaust verhöhnen, dann müssen wir uns schon über die Erziehung Sorgen machen“, sagte er. Er zeigte sich auch dankbar darüber, dass die Initiative zur Anbringung einer Gedenktafel, die an den antisemitischen Angriff vom 26. November 1938 erinnert, nicht aus den Reihen der jüdischen Gemeinschaft gekommen ist.

Man spricht wohl ungern darüber, doch Fakt ist: In einem Temeswar, das schon immer multiethnisch und multikonfessionell gewesen ist, ist das friedliche Zusammenleben der Minderheiten im Laufe der Geschichte einige Male ins Wanken geraten. Das antisemitische Attentat vom 26. November 1938 ist eines dieser Beispiele. „Auch diese Geschichte ist Teil der multikulturellen Geschichte Temeswars. Ich glaube, es ist ein Ansporn, darüber nachzudenken, dass solche Sachen geschehen können, wenn wir die Werte Temeswars nicht verteidigen, wenn wir nicht hart gegen Rassismus, Hass, Antisemitismus vorgehen“, sagte Bürgermeister Dominic Fritz.