Hermannstadt - Unter dem Titel „Gedanken – Gedenken. 80 Jahre seit Beginn der Russlanddeportation aus der Perspektive der Kindergeneration“ hatte das Demokratische Forum der Deutschen in Hermannstadt zu einem Hermannstädter Gespräch eingeladen.
Infolge des rumänischen Frontwechsels vom 23. August 1944 und dem im Dezember erlassenen Geheimbefehl 7161 Stalins wurden ab Januar 1945 Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren und Frauen von 18 bis 30 Jahren aus Rumänien in die Sowjetunion deportiert. Die Order Stalins bezog sich ebenfalls auf die Länder Bulgarien, Jugoslawien, die Tschechoslowakei und Ungarn. Die Deportation geschah zum „Wiederaufbau“ der Sowjetunion und galt als Reparationsleistung. Viele der Deportierten starben an Mangelernährung, wegen der Arbeitsbedingungen, an Krankheiten und Kälte. Erst 1949 kamen die meisten Deportierten frei.
Zu diesem ersten Hermannstädter Gespräch im Jahr 2025 begrüßte am Mittwochnachmittag, den 29. Januar, Christiane Böhm, ifa-Kulturmanagerin am DFDH. Sie wies darauf hin, dass rund 70.000 Menschen aus Rumänien deportiert worden seien – diese Menschen hätten sehr unterschiedliche Schicksale erlitten.
Sich diesen zu widmen, stand im Mittelpunkt des Gesprächsabends: Auf dem Podium diskutierten zwei Kinder von damals Deportierten und gaben auf diese Weise ihren Eltern eine Stimme. Aber auch ihre eigene Perspektive und Wahrnehmung der Geschehnisse kam so zum Tragen. Hannelore Baier, die sich in der Vergangenheit immer wieder mit rumäniendeutscher Geschichte auseinander gesetzt hat, führte durch den Abend und entlockte den geladenen Gästen sowie dem Publikum Hintergründe und persönliche Geschichten aus der Zeit der Deportation.
Die Erlebnisgeneration habe sehr lange geschwiegen, weil die Betroffenen trotz der Anzeichen, dass es zur Deportation kommen werde, bis zuletzt nicht geglaubt haben, dass sie tatsächlich ausgehoben werden: „Sie haben bis zuletzt nicht gewusst, wohin sie gebracht werden und haben vor allem nicht gewusst, wann sie wieder zurückkommen“, so Hannelore Baier. Alle seien mit Traumata zurückgekehrt – sofern sie zurückkehrten. Auch die Familien der Deportierten hätten gelitten, die Kinder der Deportierten blieben bei den Großeltern, anderen Angehörigen oder Nachbarn: „Viele dieser Schicksale bleiben weiterhin stumm, wir erfahren von ihnen nichts, entweder weil sich die Betroffenen nicht trauen, zu erzählen, oder, weil sie schon verstorben sind.“ Viele Kinder hätten das Verhalten ihrer Eltern in der Zeit nach deren Rückkehr nicht einordnen können.
Helga Pitters, geborene Rehner, ehemals Lehrerin, war vierzehn Jahre alt, als ihr Vater deportiert wurde. Die heute 94-Jährige berichtete, dass es im Vorfeld Gerüchte über die Aushebung gegeben habe. Am Morgen des 13. Januar 1945 musste sich der Vater im Corso-Kino in der Heltauergasse einfinden. Sie und ihre drei Geschwister hätten die Auswirkungen gespürt, wenngleich sie nicht genau über die Geschehnisse informiert wurden. Die älteste Schwester schrieb sich zur Ausbildung im Säuglingsheim ein – so blieben der Mutter nur noch drei Kinder zu versorgen: „Ich habe mich mitverantwortlich gefühlt, auch Geld ins Haus zu bringen“, so Helga Pitters. Sie habe zum Beispiel gestrickt, um etwas zur Familienkasse beizutragen.
Vom Vater gab es ein Jahr lang kein Lebenszeichen. Die erste Nachricht war die, dass er sich in Foc{ani befinde und nach Hause kommen dürfe: „Wir haben ihn alle nicht erkannt, als er spät abends auf dem Großen Ring ankam“, so Pitters. Auch der Vater von Hans Klein, ehemals Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt, Bischof Albert Klein, kehrte mit diesem Rücktransport heim. Die Erfahrung der Deportation war prägend: „Ich glaube, er hat jeden Tag etwas davon erzählt. Es hat ihn nicht losgelassen“, so Helga Pitters über ihren Vater.
Kilian Dörr, Stadtpfarrer von Hermannstadt, erinnerte sich, im Kindesalter zum ersten Mal von der Deportation erfahren zu haben: „Aber ich konnte mir unter der Deportation nicht viel vorstellen.“ Er erinnere sich, dass es bei Festessen in der Familie oft geheißen habe, das Servierte „sei so gut wie die Ziesel, die wir uns in Russland gebraten haben.“ Er habe aber nie eine Klage von seinem Vater gehört. Auffällig sei gewesen, dass er oft die positiven Erlebnisse geschildert habe.
Mehr verstanden habe er in der Gymnasialzeit und in der Zeit seines Studiums. Erst nach der Wende hätten die Menschen begonnen, darüber zu sprechen. Sein Vater habe den Journalisten des „Monitorul“ ein Interview gegeben und dabei viel mehr erzählt als üblich. Über den Umgang mit der Erinnerung an die Geschehnisse stellte Kilian Dörr fest: „Das Thema habe ich wohl lange Zeit verdrängt. Dass es so einen Einfluss auf das Heute hatte, haben wir erst später realisiert.“
Die Anwesenden konnten an diesem Nachmittag vor allem eines erleben: Wie verwoben die Lebensgeschichten und Schicksale der Deportierten waren. Wie Orte in Hermannstadt in einem anderen historischen Kleid auflebten. Wie sich manches sehr gleicht und wiederholt, sich vieles trotzdem unterscheidet. Einzelschicksale fügen sich so in ein großes Ganzes ein, das Gespräch hilft der Erinnerung. Und die Erinnerung gegen das Vergessen.
Weiterführende Literatur zum Thema
Marc Schroeder, Order 1761. Deportation, Schweigen, Erinnerung – Ein Foto-Textbuch, 2022.
Irmgard Sedler, …skoro damoi!, Hoffnung und Verzweiflung – Siebenbürger Sachsen in sowjetischen Arbeitslagern 1945-1949, 2021.