Abenteuerbahn

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Ehrlich, ich fahre sehr gern mit der Bahn. Vor allem auf kleinen Regionalstrecken, wo der Erlebniswert besonders hoch ist. Arsenal-Park oder Disneyland können sich im Vergleich zur rumänischen CFR getrost verstecken.

Der Spaß beginnt schon morgens, bevor man den Bahnsteig erklommen hat. Denn dazu muss man an unserem Vorstadtbahnhof durch einen schmalen, dunklen Tunnel. Selbst bei schönstem Sonnenschein lauern dort lichtscheue Wesen in Grüppchen, die mit Räucherwerk und Lärm wohl böse Geister vertreiben. Denn einfach rauchen und laute Musik hören könnte man im Freien auch. Dabei drängen sie sich eng zusammen – lange braucht es für die Entscheidung, wo – wenn überhaupt – ein kleiner Raum für überraschend auftauchende Passanten freigemacht wird. Nachts verwandelt sich der Geistertunnel dann auf wunderbare Weise in ein öffentliches Herren-WC. Gratis. Wie nett von der CFR! Oder hat da bloß jemand sein Revier markiert? Die morgendlichen Belagerer scheint der Revierduft nicht abzuschrecken.

Auf Bahnsteig 1 drängen sich nun Leute mit Besen und Bürsten, geschnitzten Löffeln und Taschen voller Gemüse. Ob sie in die Hauptstadt auf den Markt wollen? Schade, das bunte Völkchen nimmt den Zug in die Gegenrichtung.

Doch das Unterhaltungsprogramm in Richtung Bukarest ist auch nicht schlecht: Da gibt’s den Löffelschnitzer, der die Tüte mit all seinen Löffeln auf dem Polsterstuhl auskippt, um sie zu zählen. Der blausamtene Bezug bleibt weiß gepudert zurück, als ob da jemand mit viel Mehl Kuchen gebacken hätte. Oder den Mann, der winzige viereckige Papierstücke unermüdlich faltet – das Endprodukt wirft er in eine Tüte. Sprüche für Glückskekse? Himmel und Hölle? Miniaturbriefumschläge? Was immer er da produziert, er hat sich damit wohl eine Marktnische geschaffen. Dann die drei Arbeiter, die schon um 7.00 Uhr morgens eine große Plastikflasche Timișoreana kreisen lassen: Frühstück! Oder befolgen sie nur den Radiospruch „Trinken Sie täglich mindestens zwei Liter Flüssigkeit!“?

Der Waggon ähnelt einer Sauna, doch scheint es ein unausgesprochenes Tabu in diesem Land zu geben: Kein Mensch zieht jemals in öffentlichen Verkehrsmitteln seine Jacke aus. Ich oute mich mit exhibitionistischen Anwandlungen – Schal, Mütze und Handschuhe werden schon beim Einsteigen heruntergerissen – sofort als fremdländisches Greenhorn. Macht nichts, schon mein Tretroller stempelt mich zur Attraktion wie ein seltenes Zirkustier. Verstohlene Blicke, flüsternde Stimmen. Während ich auf dem Bahnsteig herumkurve, belehrt eine Frau ihr Kind: „Der ist natürlich elektrisch!“ Natürlich ist er das nicht.
Zuglichter tauchen auf. Für den, der keine Zeit mehr hatte, auf den Fahrplan zu gucken, wird jetzt die Frage spannend: Kommt ein Privatzug oder einer von der CFR? Man sieht es ihm von außen nicht an. Nur: Für den CFR-Zug hätte man am Schalter eine Fahrkarte lösen müssen. Für den Privatzug gibt es gar keinen Schalter. Zahlen muss man beim Schaffner. Der CFR-Schaffner hingegen schimpft wie ein Rohrspatz, dass er kein Fahrkartenverkäufer sei. Ein Monatsabo hilft in diesem Dilemma nur bedingt, denn es gibt keins, das die Betreiber von allen Zügen umfasst. Und so steigt man weiterhin mit der spannenden Frage zu, wenn man im letzten Moment zum Bahnsteig hetzt: CFR – oder nicht?

Die rumänische Bahn ist wie ein Rummelplatz, auf dem es unterschiedliche Fahrgeschäfte gibt. Solche, die futuristisch glänzen und deren automatische Türen mal gerne blockieren, als wollten sie dem schnöden Pendler vom Land arrogant den Dienst verweigern. Und solche, die rumpeln, rattern und den Abenteuergeist herausfordern, wie der Zug um zehn Uhr abends aus Bukarest in die Provinz. Als Teil des vorindustriellen Kulturerbes dieses Landes begeistert er Museumsfreunde mit verschlissenen, plastikbezogenen Sitzen, halboffen steckengebliebenen Toilettentüren und einer alles bedeckenden braunen Patina, die sich in den letzten beiden Jahrtausenden seit der Dakerzeit gebildet haben muss. Dafür funktionierte die Heizung einwandfrei. Sie war AN – und wie! – und alle Fenster AUF. Sie blieben es auch während der Fahrt, sonst hätte man im Abteil Spiegeleier braten können. Was ums Verrecken nicht aufging an meiner Haltestelle war – die Tür!