Christen untereinander

Liebe Leser und Leserinnen, als Grundlage und Vorleistung empfehle ich Ihnen die Lektüre des ganzen 4. Kapitels des 1. Johannesbriefs, weil wir nur so die Ausmaße der Liebe begreifen, zu der uns der Apostel des Herrn in den Versen 7-12 auffordert.

Als Erstes teilt Johannes die Mitmenschen ein in solche, die von der Welt sind und solche, die von Gott sind. Er redet dann von „Sie“ und „Wir“; eine Diskriminierung, die das politisch korrekte Denken am liebsten ganz beseitigen möchte, die sich aber immer wieder mit Macht in den Vordergrund drängt. So etwa, wenn es um die Einstellung zur Demokratie geht: Da ist inzwischen klar, dass es nicht nur die „Wir Demokraten“ gibt, sondern scharf abgetrennt davon auch „Sie, die Demokratiegegner“. Niemand möchte die beiden Gruppen vermischen, selbst wenn die Trennlinie durch Freundeskreise und Familien verläuft. Die ideologische Linie des generellen „Alle“ wird aufgegeben um des Zieles willen, das „Wir“ wollen, „Sie“ aber ablehnen.

In Glaubensdingen ist es auch so: Da haben z. B. die „Alle“-Ideologen Jahrzehnte lang stur behauptet, Christus sei für alle gestorben, aber der biblische Text verkündet noch sturer, dass Christus für viele gestorben ist – ein großer Unterschied. Denn Alle – das ist eine namenlos verschwommene Masse, über die man nur dogmatisch-abstrakt reden kann. Viele – das sind viele Einzelne, die ein Gesicht haben und uns jeden Tag begegnen (G. Lohfink). Viele – das bekräftigt auch die Sinnhaftigkeit eines Redens von „Sie“ und „Wir“. In unserem Text: Wir, die wir von Gott sind, sollen erst einmal einander lieb haben. Sie, die anderen, die von der Welt sind, gehen uns vorläufig nichts an; Feindesliebe ist etwas für Fortgeschrittene.

In den 70er Jahren kam ein Trend auf, der seine Freude daran hatte, Liebe zu definieren. Es hieß dann: Liebe ist ... Wenn aus dem Du und Ich ein Wir entsteht. ... Was dich lächeln läßt, wenn du müde bist. ... Wie Urlaub: man kann nicht genug davon haben. Usw. So konnte man in unerschöpflichen Variationen auf Tassen, T-Shirts, Handtüchern und anderen Artikeln Konkretionen der Liebe entdecken, aber wirklich gebracht haben sie nichts. Die Scheidungsrate stieg weiterhin, der Missbrauch von Vertrauensverhältnissen nahm weiter zu und immer mehr Menschen beklagten ihre Einsamkeit. Was da als Liebe propagiert wurde, waren gefühlvolle Lichtgedanken, die aus einem Überschwang des Wohlseins kamen und ohne Nachwirkung ins Nichts verschwanden. Man redete vom Löwen, geschrumpft auf die Größe einer Katze.

Die Liebe Gottes zu den Menschen aber und die der Christen untereinander ist der Löwe in Originalgröße. Sie ist stärker als der Tod und man sollte mit ihr nicht spielen. Aus Liebe gab Gott seinen Sohn in den Tod, aus Liebe soll ein Christ sein Leben lassen für seine Freunde, aus Liebe sollen wir vor anderen zurückstehen, auf Hab und Gut und auch auf unser Recht verzichten. Liebe ist Entäußerung, Aufgeben des eigenen Seins und der eigenen Habe, ist Erniedrigung und Gehorsam. Weil sie so tief in unsere Persönlichkeit greift, braucht die Liebe Intimität, eine Einteilung in „Wir“ und „Sie“, so wie ein Feuer die Abgegrenztheit eines Ofens braucht.  Nur so werden Mann und Frau ein Fleisch, nur so kommt Gemeinschaft der Heiligen zustande, nur so bleiben wir in Gott und Gott in uns. Amen.