Das Gebot der Liebe

Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.
(1.Joh. 4, 21 – Wochenspruch für die Woche nach dem 18.S.n.Trin.)

Wenn wir heute durch die Straßen einer Großstadt gehen und uns die Warenhäuser ansehen, merken wir, wie vieles uns dort angeboten wird, Möglichkeiten, von denen wir früher und Millionen Menschen von heute nur träumen können. Aber all diese Angebote machen unser Leben nicht lebenswerter und menschlicher. Was unser Leben wirklich lebenswert macht, ist die Liebe, das Geliebt werden und Lieben. Wie oft hören wir aber von lieblosen Taten, die Menschen an andern Menschen verüben? Und wie oft sind an solchen Taten Menschen beteiligt, die sich „Christen“ nennen? Und wie oft werden wir selbst an andern Menschen schuldig, weil wir uns von ihnen abwenden, weil wir ihnen unsere Liebe und unsere Zuwendung schuldig bleiben?

Das Leben spielt uns oft, wie durch Zufall, Menschen zu, die in irgendeiner Weise unsere Hilfe, Liebe und Zuwendung brauchen. Bemerken wir diese Menschen? Oder übersehen wir sie, weil wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind, weil wir aus unserer Gleichgültigkeit und Kälte nicht herauskommen können? Wie wichtig die Liebe in unserem Leben ist, sagt uns der Apostel Paulus in 1.Kor.13:

„Wenn ich mit Menschen-  und mit Engelszungen redete, / und hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte / und alle Geheimnisse wüsste / und alle Erkenntnis hätte; / und hätte allen Glauben / sodass ich Berge versetzte, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe/ und ließe meinen Leib brennen, / und hätte die Liebe nicht, / so wäre mir`s nichts nützte“.

Was ist Liebe? Liebe ist sicherlich ein Thema, das uns alle beschäftigt, und etwas, das wir uns alle wünschen. Das Thema Liebe umgibt uns überall, es ist eine Kraft, mit der wir rechnen müssen, ja sie ist mehr als eine Kraft, gilt sie doch als höchstes der Gefühle. Die griechische Sprache unterscheidet drei Wörter, die wir im Deutschen alle mit ‚Liebe’ wiedergeben: Eros (die geschlechtliche Liebe), Philia (die Liebe im Sinne von Freundschaft) und Agape (die selbstlose Liebe zum Nächsten).

Was hat nun die Liebe mit Gott zu tun?
„Seht, wie sie einander lieben” mit diesen Worten beschreibt der antike Schriftsteller Tertullian, nicht ohne zu staunen, den Zusammenhalt der ersten Christen. Die Liebe unter den Gliedern der urchristlichen Gemeinden ging scheinbar über die Erfahrung rein menschlicher Liebe weit hinaus, sodass die außen stehenden Heiden in große Verwunderung versetzt wurden, weil sie ein Mehr an Liebe entdeckten, das sie nicht kannten. Was aber war das Geheimnis dieses Mehr an Liebe im Zusammenleben der ersten Christen?

Der Evangelist Johannes versucht uns das zu erklären, indem er schreibt: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat” (Joh 3,16). Jesus sammelt alle Liebe des Vaters zu uns Menschen in sich und erwidert diese Liebe des Vaters, indem er am Kreuz für unsere Sünden stirbt. Jesu Lebenshingabe am Kreuz ist der höchste Ausdruck seiner eigenen Liebe zu uns Menschen. Zur gleichen Zeit aber auch ein Vorbild für seine Jünger – ja noch mehr: sie ist ein Auftrag an die Jünger und somit auch ein Auftrag, der an alle Christen ergeht. Sie sollen ihn, Jesus, nachahmen, genauso handeln wie er. Deshalb sagt Jesus: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe…“(Joh. 13, 15).

Und nur ein wenig später sagt Jesus: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt” (Joh 13, 34 – 35). Auf diese Weise setzt sich die Bewegung der Liebe von Gott, dem Vater, über Jesus Christus, seinen Sohn, fort zu den Jüngern und zu den ersten Christen. Aufgenommen in die Liebesgemeinschaft zwischen dem Vater und dem Sohn können die Jünger Jesu jetzt einander jene brüderliche Liebe weiterschenken, die vor allem Hingabe bedeutet.

Das Gebot der Liebe an die Jünger gilt auch uns. Umso mehr in einer Welt und Zeit, in der die Liebe zum Nächsten erkaltet und in der immer mehr die Einsamkeit und Gleichgültigkeit regiert. Mit der Liebe zum Nächsten beseelen wir die Welt und machen sie zu einem Ort, an dem es zu leben wert ist.