Das Kamel im Zelt

Wort zum Sonntag

Wir haben die materiellen Dinge zum Leben notwendig. Jeder Mensch muss essen, trinken, sich bekleiden und ein Dach über dem Kopf haben. Auch ein Bett zum Schlafen benötigen wir und einen Herd zum Kochen. Das sind alles zum Leben notwendige Dinge. Wir besitzen auch eine Menge von Dingen, die uns das Leben erleichtern: Werkzeuge, Maschinen, Kühlschrank und viele andere Dinge des täglichen Gebrauchs. Es sind die nützlichen Dinge des Lebens. Doch damit geben wir uns noch nicht zufrieden. Wir wollen unser Leben bequem, freudvoll und unterhaltsam gestalten. So schaffen wir uns Radio, Fernseher, Videoapparat und Auto an. Es sind dies die angenehmen Dinge des Lebens. So weit ist alles schön und gut. Gott verbietet uns weder die angenehmen, noch die nützlichen, noch weniger die notwendigen Dinge des Lebens. Dennoch liegt in den materiellen Gütern eine Gefahr für uns: Nämlich dass es uns so ergeht, wie es in der Fabel dem Beduinen mit seinem Kamel ergangen ist:

Ein Beduine reiste auf dem Rücken seines Kamels durch die Wüste. Am Abend schloss er sein Zelt auf, legte sich hinein und schlief den Schlaf der Gerechten. Das Kamel übernachtete im Freien. Die Nacht war kalt. Das Kamel streckte den Kopf ins Zelt – und da der schlafende Besitzer nichts dagegen sagte, zog es zuerst die Vorderfüße und danach die Hinterfüße ins Zelt. Behaglich streckte es alle Viere von sich und drückte seinen Herrn unsanft an die Wand. Dieser erwachte, und als er das Kamel im Zelt gewahrte, schrie er erbost: „Hinaus mit dir!“ Doch das Kamel blieb störrisch. Der Beduine lamentierte: „Es ist nicht Platz genug für uns beide.“ Da antwortete das Kamel: „Dann gehe du hinaus, mir fällt es nicht im Traume ein.“ So wurde der Beduine aus seinem Zelt hinausgedrängt.

Diese Fabel wiederholt sich oft auf einer anderen Ebene. Unser Herz ist wie ein Zelt. Darin sollen Glaube, Hoffnung und Liebe zu Gott wohnen. Es soll ausgefüllt sein mit der Sehnsucht nach jener schöneren und besseren Welt, die uns Jesus verheißen und für die Er sein Blut vergossen hat. Deshalb mahnt Er uns: „Macht euch Geldbeutel, die nicht zerreißen. Verschafft euch einen Schatz im Himmel, der nicht abnimmt, den kein Dieb findet und den die Motten nicht fressen!“ So müsste es sein: Unser Herz, gefüllt mit himmlischen Schätzen. Ist es das in Wirklichkeit? Weit gefehlt. Viele funktionieren ihr Herz um in eine Speisekammer. Sie haben nur Interesse für den Kochtopf und die Bratpfanne, als ob ihr Leib nur aus Verdauungsorganen bestehen würde. Frauen machen aus ihrem Herzen einen Modesalon. Ihr ganzes Sinnen und Trachten geht nur auf schöne Kleider, als ob ihr Leib ein Kleiderrechen wäre. Manche Männer gestalten ihr Herz zu einer Trinkbar, wo König Alkohol sein Zepter schwingt. Andere wieder bauen ihr Herz in ein Vergnügungslokal um. Musik, Tanz, seichte Unterhaltung und Zotenreißerei bilden den Inhalt ihres Lebens. Und viele unserer Zeitgenossen verwandeln ihr Herz in ein Geldinstitut. Ihr Himmel hängt nicht, wie der Himmel der Verliebten, voller Geigen, sondern voller Banknoten.

Viele von uns tun genau das Gegenteil von dem, was uns Christus anrät. Sie jagen nach Geld, das oft schnell seinen Wert verliert, sie schaffen sich Schätze an, um derentwillen ihnen die ungeduldigen Erben einen baldigen seligen Tod wünschen; sie scharren materielle Werte zusammen; sie sammeln Dinge, die von Motten zerfressen werden.

Das kommt alles daher, weil wir das Kamel der materiellen Dinge in das Zelt unseres Herzens bereitwillig eindringen lassen. Es nimmt zuletzt unser Herz gänzlich in Beschlag und das religiös-geistige Ich hat keinen Platz mehr darin. Soweit darf es mit uns nicht kommen. Beherzigen wir deshalb die Mahnung Christi: „Seid wachsam!“ Gott hat die materiellen Güter für uns geschaffen. Gebrauchen wir sie mit dem rechten Maß! Ihr rechter Gebrauch ist gut, nur der Missbrauch ist schlecht. Sie sollen uns notwendige, nützliche und angenehme Mittel zu einem zivilisierten und kulturellen Leben sein. Darin erschöpft sich ihr Aufgabe. Sie dürfen niemals Inhalt, Zweck und Ziel unseres Lebens werden. Ansonsten sind wir im praktischen Leben keine Anbeter des wahren Gottes, sondern Mammonsdiener, die um das goldene Kalb tanzen. Lassen wir das Zelt unseres Herzens, das doch eine himmlische Schatzkammer sein soll, nicht vom Kamel der materiellen Güter für sich beschlagnahmen. Zeigen wir uns als Herren dieses Kamels und halten wir es fest in Zaum, Zeug und Zügel!