„Das Publikum hat keine Anhaltspunkte“

Marian Gîlea, Kulturmanager und Generaldirektor der Zeitschrift „Zile și Nopți“ im Interview

Marian Gîlea in der Evangelischen Kirche aus Brenndort/Bod, vor dem Gospel-Konzert der amerikanischen Sängerin Sharrie Williams – im Rahmen des Jazz&Blues Festivals 2022 Fotos: Jazz And Blues Festival

Durch musikalische Installationen im Titulescu-Zentralpark werden beim Jazz&Blues-Festival insbesondere Familien mit Kindern angesprochen.

Das Jazz&Blues-Festival, die Theater-Komödienwoche und das Dracula Film Festival sind einige der Ereignisse, die das Kulturleben von Kronstadt/Bra{ov bereichern. Seit zehn Jahren veranstaltet Kulturmanager Marian Gîlea Events, die angesagte nationale und internationale Musiker, Schauspieler und Regisseure auf die lokalen Bühnen bringen. Er ist auch Mitgründer der Zeitschrift „Zile și Nopți“, die Kulturereignisse und -produktionen in den Städten ankündigt und vorstellt, sowie Interviews, Rezensionen und Artikel zu Themen wie Kunst, Musik oder Film präsentiert. Im Gespräch mit ADZ-Redakteurin Laura Căpățână Juller gibt er Einblicke in seine Arbeit und das Kulturleben der Stadt unter der Zinne.

Sie stammen aus Hațeg und haben 1997 die Wirtschaftsakademie/Fakultät für Wirtschaftswissenschaften in Kronstadt absolviert. Seit 2012 sind Sie im Kulturbereich der Stadt tätig. Wie kam es dazu?

Nach dem Uni-Abschluss habe ich beim Unternehmen Romradioatoare als Ökonom gearbeitet. Mich hat aber immer die Kunst interessiert, ich habe schon als Kind gerne gezeichnet und mit 12 Jahren eine eigene Zeitschrift für mich und meine Freunde gegründet, „Zimbrul“ (Der Wisent). Dieses Interesse habe ich weiter verfolgt. So rief ich auf Anfrage und in Zusammenarbeit meines Kollegen Aurel Martinescu aus Hațeg die Zeitschrift „Zile și Nopți“ ins Leben, in der wir Kulturevents vorstellen, die in Großstädten stattfinden. Es war damals eine effiziente Methode, von Veranstaltungen zu erfahren – soziale Medien, Facebook, Instagram gab es noch nicht. Unser Umsatz war sehr schön.

Die Weltfinanzkrise änderte das und wir mussten beginnen, selbst Veranstaltungen zu organisieren, um als Unternehmen zu überleben. Das war genau vor zehn Jahren.

Wie war damals das Kulturangebot in Kronstadt?

2012 passierte gar nichts in Kronstadt, außer dem Musikfestival „Cerbul de Aur“ (Goldener Hirsch). Weder der Kreisrat noch die Lokalbehörden finanzierten Kulturprojekte. Es gab auch keine Nichtregierungsorganisationen, die etwas veranstaltet hätten, außer Dan Opreas „Depoul de artă urbană“ (Anm. d. Red. hat zwischen 2008 und 2013 das „Fatzade“-Festival veranstaltet, mit Konzerten, Ausstellungen, Workshops, Spielplätze und angeleiteten Aktivitäten für Kinder). So gründeten wir 2013 den Kulturverein „Fanzin“, bzw. „Fan Zile și Nopți“.

Zu Beginn haben wir viele Festivals veranstaltet. Bei „Dock and Roll“ beispielsweise zeigten wir Dokumentationen über Rockstars und -bands, beim Dracula Film Festival Horror- und Fantasy-Filme, wir hatten einige Musikfestivals, unter denen auch das Jazz&Blues. Bis vor wenigen Jahren hatten wir auch das Stand Up-Fest organisiert. Es war der Anfängergeist.

Finanziell und logistisch war das auf die Dauer aber nicht tragbar, wir waren ständig auf der Suche nach Sponsoren. Deswegen führen wir nur noch Jazz&Blues, die Komödienwoche und das Dracula Film Festival fort, in denen wir großes Potential sehen.

Wie hat das Publikum vor zehn Jahren Ihr Angebot aufgenommen?

Damals war es sehr offen und erwartungsvoll, die Säle waren rappelvoll. Die Kronstädter waren sehr offen für kulturelle Veranstaltungen. Das hat uns ermutigt weiterzumachen.

Hat es sich seither verändert?

Das Kulturangebot ist stark gewachsen, die Auswahl ist groß, sodass das Publikum wählerisch geworden ist. Es kann aber nicht immer die Qualität erkennen. Wir hatten im Vorjahr R²zvan Mazilus Musical „Familia Addams“ (Die Adams Familie) des Excelsior-Theaters aus Bukarest bei der Abschlussfeier der Komödienwoche gezeigt. Es war die einzige Aufführung, die nicht ausverkauft war. Dabei ist es doch hervorragend.

Woran liegt das? Kreisrat und Bürgermeisteramt haben knapp 6,35 Millionen Lei in über 45 Kulturprojekte in der Stadt investiert.

Das Kronstädter Publikum hat keine Anhaltspunkte. Es gibt zwar zahlreiche Veranstaltungen, es geht aber auch um deren Qualität. In Kronstadt mangelt es leider an Leistung. Private und staatliche Kulturveranstalter müssen verstehen, ihr Bestes zu geben, wenn sie etwas anbieten. Man kann keine Kompromisse schließen, alles muss stimmen, vom Empfang der Zuschauer und der Gäste bis zur Qualität der Bühne, des Tons, der Videoausstrahlung, zur Bedienung, den Sitz- oder Stehplätzen, zum Auftritt. Alles muss tadellos laufen, so wie im Ausland!

Welches ist Ihr wichtigstes Projekt?

Das Jazz&Blues-Festival hatte diesen Sommer die zehnte Auflage. Es ist auf Lokalebene das Ereignis mit dem größten Budget, 600.000 Lei, und landesweit das einzige städtische Festival, das diese Musik anbietet. Der Markt im Bereich elektronische Musik ist bereits überlaufen. Es gibt Untold, Electric Castle, Summer Well. Aber ein großes urbanes Festival für Jazz und Blues gibt es nicht. Die Festivals Jazz in the Park im  Ethnographischen Museum Klausenburg/Cluj-Napoca, das Gărâna-Jazzfestival in Wolfsberg/Gărâna im Kreis Caraș Severin, das Open Air Blues Festival in Brezoi, Vâlcea sind tolle Ereignisse in kleinen Ortschaften. Kronstadt bietet das einzige urbane derartige Fest an und es hat tatsächlich alle Vorteile ein großes Jazz&Blues-Festival anzubieten. Im kommenden Jahr wird auch der Flughafen funktionsfähig sein, sodass wir noch mehr Zuschauer erwarten.

Was ist Besonders an diesem Festival?

Wir bringen tolle Musiker aus dem In- und Ausland, beispielsweise Jan Akkerman, Carlos Bica, oder Berti Barbera vor das Publikum, haben im Zentralpark musikalische Installationen, die das Publikum ausprobieren kann. Es gab eine Wohlfühlzone, Filmvorführungen, Gesprächsrunden, aber auch eine Messe für Liebhaber alter Vinyl-Schallplatten. Das Fest ist sehr groß, hat sich auf sechs Bühnen abgespielt: Johannisplatz/Piața Sf. Ioan, Brassai-Platz, Titulescu-Zentralpark und im Juno Wine Garden, der Gaststätte Deane’s Irish Pub und dem Astra Kino, wie auch in der Kirchenburg in Brenndorf/Bod.

Jazz und Blues ist keine zugängliche Musik, wie beispielsweise Rock. Deswegen bestehen wir darauf, dass der Eintritt zu den meisten Ereignissen kostenlos ist. So machen wir das Publikum auf diese Genres aufmerksam, und vielleicht mögen einige der Zuschauer die Musik und kommen in der Zukunft wieder. Seit dem Vorjahr haben wir eine Open Air-Bühne im Zentralpark. Dort bieten wir  musikalische Workshops für Kinder an, in denen sie unter professioneller Anweisung Instrumente spielen, singen, auf der Bühne auftreten. Es ist ein Erziehungsprozess, den wir leisten.

Welches sind die Zukunftspläne für dieses Ereignis?

Ich träume davon, weiterhin Gratis-Eintritt anbieten zu können, um Leute damit anzuziehen. Aber ich will auch eine Szene für Jazz&Blues-Fans, die bereit sind, für eine Karte zu bezahlen. Ich träume von großen Konzerten, die uns finanzielle Sicherheit bieten, damit wir nicht mehr von öffentlichen Finanzierungen abhängen.

Haben Sie einen bestimmten Platz dafür im Sinn?

Die Sportarena Ion }iriac unter der Zinne (Anm. d. Red.: der Sportplatz des D-Gebäudes des Johannes Honterus-Nationalkollegs) wäre super dafür. Es gibt da 10.000 Stehplätze. Es ist riesig. Dort hat das Konzert der Band Europe (Anm. d. Red. im Jahr 2005) stattgefunden, das Oktoberfest. Wir wollen aber sicher gehen, dass etwa 5000 zahlende Zuschauer zu den Veranstaltungen kommen, und dafür sind kommerzielle Namen wie etwa Sting oder Pink Martini nötig. Ich bin zuversichtlich, dass Musikfans aus dem ganzen Land für diese Künstler nach Kronstadt kommen würden.

Welches sind die Pläne für die Komödienwoche, deren neunte Auflage im Juli stattgefunden hat?

Dieses Fest ist auch stark gewachsen. Anfangs hatten wir nur Theater im Angebot. Seit dem Vorjahr auch Film. Ab 2023 werden sich Kronstädter und Touristen auch über Stand-up und Musik freuen können. Wir planen auch, Straßentheater nach Kronstadt zu bringen, so wie es in Hermannstadt ist – das würde sehr viel bedeuten.

Im Oktober findet die Jubiläumsedition des Dracula Film Festivals statt.

Unser Fokus richtet sich auf Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ von 1922. Eine spanische Band spielt Livemusik zum Stummfilm. Das Fest findet zwischen dem 12. und 16. Oktober statt. Ich träume davon, einen großen Dracula-Maskenball zu veranstalten und internationale Stars nach Kronstadt zu bringen, wie David Lynch. Dafür brauchen wir aber ein ernsthaftes Budget.

Ich bin so dankbar, dass ich jeden Monat etwas anderes arbeite, ich bin praktisch das ganze Jahr über mit Kulturprojekten beschäftigt. Jedes Festival ist ein Projekt an sich. Das gibt mir eine sehr gute Energie.

Vielen Dank für das Gespräch!


„Zile și Nopți“ ist eine Zeitschrift, die Kulturveranstaltungen und -produktionen ankündigt und vorstellt und in 30.000 hochqualitativ gedruckten Exemplaren erscheint. Sie ist in Cafés, Malls, Restaurants in Städten kostenlos erhältlich. Events in Bukarest, Kronstadt, Klausenburg, Hermannstadt/Sibiu, Temeswar/Timișoara, Jassy/Iași, Großwardein/Oradea und Konstanza/Constanța werden im Heft vorgestellt. Interviews, Kritiken, Filmvorstellungen und Artikel zu den Themen Kunst und Musik, aber auch Lebensstil finden sich in der Zeitschrift, die etwa 100 Seiten umfasst. Seit zwei Jahren ist sie neben Dilema Veche, Decât o Revistă, Zeppelin, Igloo oder Scena9 als Kulturpublikation anerkannt.