Der Minister und sein Schatten

Eine Biografie, die an der Realität scheitert. Ein Staat, der seine Eliten nicht wählt, sondern geschehen lässt

Es gibt politische Skandale, die überraschen, und solche, die ernüchtern. Der Rücktritt des Verteidigungsministers Ionuț Moșteanu gehört zur zweiten Kategorie. Überraschend war wenig: nicht, dass ein Minister in buchhalterischer Kreativität über seinen Bildungsweg gestolpert ist; nicht einmal, dass einer der sensibelsten Posten eines NATO-Staates von jemandem besetzt wurde, dessen akademischer Untergrund bereits bei flüchtiger Betrachtung bröselte. Ernüchternd war vielmehr, wie lange es niemanden störte.

In Moșteanus Lebenslauf finden sich jene kleinen Unstimmigkeiten, die in Rumänien kaum als moralische Frage wahrgenommen werden, sondern als Kulturtechnik: ein Studium, das begonnen, aber nicht beendet wurde; ein Abschluss, der erst spät entdeckt, dann früh betont wurde; eine Universität, die in einem CV auftaucht, in einem anderen verschwindet. Die rumänische Öffentlichkeit ist mit solchen Fällen vertraut, vielleicht zu vertraut. Dass der Mann aber die Streitkräfte eines Landes führen sollte, dessen Ostgrenze am Krieg liegt, war mehr als ein Schönheitsfehler.

Mo{teanu ist nicht die Ausnahme. Er ist der Ausdruck eines Systems, in dem die Unterscheidungskraft von Qualifikationen erodiert. Rumänien kennt hervorragende öffentliche Hochschulen, die – wie in Bukarest, Klausenburg, Temeswar oder Jassy – eine real existierende akademische Kultur pflegen. Daneben aber steht ein jahrzehntelang gewachsener Markt privater Bildungseinrichtungen, deren Beiträge zur Wissensgesellschaft bisweilen von erstaunlicher Bescheidenheit sind. Das allein wäre noch kein Grund zur Sorge. In einer liberalen Gesellschaft darf es Vielfalt geben: staatliche Exzellenz, private Bemühung, Kommerz, Ambition. Problematisch wird es erst, wenn der Staat selbst die Unterschiede nicht mehr kennt. Wenn eine Verwaltung von nationaler Bedeutung jene Diplome akzeptiert, die anderswo kaum als Qualifikationsversuch durchgingen. Wenn zentrale Posten nicht nach Befähigung, sondern nach Papier und Parteibuch vergeben werden. Der Bukarester Soziologe Bogdan Bucur hat dieses Phänomen jüngst als „Kollaps der Selektionskriterien“ beschrieben – eine Diagnose, die weniger kulturpessimistisch als realistisch wirkt. Rumänien, so seine These, habe sich daran gewöhnt, dass der Wert eines Abschlusses vor allem darin liege, irgendeiner Norm zu genügen, nicht einer Erwartung. Hier liegt der Kern der umgekehrten Elitenselektion: Nicht die Besten erreichen den Staat, sondern jene, für die der Staat das geringste Hindernis darstellt.

Dass Moșteanu Verteidigungsminister werden konnte, ist kein Zufall, sondern das Resultat politischer Bequemlichkeit. Parteien, die personell chronisch unterversorgt sind, lernen schnell, dass Loyalität ein verwertbares Gut ist und Kompetenz ein nachrangiges. Ein Politiker, der in innerparteilichen Konflikten verlässlich agiert, ist wertvoller als einer mit einem lückenlosen Lebenslauf. Dass Moșteanu in den vergangenen Jahren mehrfach die Seiten wechselte, dass er – je nach Machtarithmetik – einstige Verbündete fallen ließ, hat ihn nicht geschwächt, sondern qualifiziert. Seine diplomatische Biografie war vielleicht fragil, seine politische dagegen erstaunlich belastbar. 

Auffällig war die Reaktion der Partei, die Moșteanu erst zu dem Amt gebracht hatte. Statt sich zu fragen, wie ein derart unsorgfältig geprüfter Lebenslauf bis in die sicherheitspolitische Spitze des Landes gelangen konnte, entschied sich die Führung der USR für eine andere Linie: Schutzbehauptung statt Selbstkritik. Parteichef Dominic Fritz lobte auf Facebook den Rücktritt als Ausdruck „großen Respekts“, pries Moșteanu als „integren, engagierten und international geschätzten“ Minister und stellte die Demission als noble Geste eines „korrekten Menschen“ dar, der in schwierigen Zeiten „Mut“ bewiesen habe. Es ist die Sprache einer Partei, die das Problem weniger als institutionelles Versagen erkennt, sondern als moralischen Missstand, der durch Charakterstärke bereinigt wurde. Dass die fraglichen Lebenslaufangaben damit zur Fußnote degradiert werden, fällt kaum auf – oder fällt nicht ins Gewicht. Gerade dadurch aber offenbart sich ein anderer Zug der USR, der in den vergangenen Jahren häufiger sichtbar wurde: die Tendenz, nach außen mit großer moralischer Härte aufzutreten, während eigene Fehler unter dem Teppich rhetorischer Loyalität verschwinden. Die Partei, die einst angetreten war, um die rumänische Politik zu entgiften, wirkt mittlerweile wie eine Formation, die sich in ihren inneren Fraktionen belauert, nach außen aber unnachgiebige Reinheit performt. Wer in der politischen Arena kompromisslos die Fehler der anderen anprangert, aber die eigenen in ein Narrativ moralischer Tapferkeit überführt, gerät schnell in die Nähe einer kollektiven Selbstmythologisierung.

Dass Moșteanu nach Angaben aus den eigenen Reihen nicht aus Einsicht, sondern aus parteiinternem Druck fiel, wirft ein Schlaglicht auf diese Dynamik. In einer kleinen Partei, die sich zunehmend als geschlossene moralische Gemeinschaft versteht, entscheidet nicht allein das Vergehen über politische Schicksale, sondern die Frage, welche Fraktion über welchen Zeitpunkt verfügt. Die Energie, mit der man die Korruption der anderen analysiert, findet sich selten im Umgang mit eigenen Ambivalenzen. Das Ergebnis ist ein politisches Selbstbild, das nicht stabilisiert, sondern isoliert. So viel über die Sauberkeit der USR-Moralapostel.

Dass ein solcher Minister jetzt gehen musste, geschieht in einer Phase, die alles andere als stabil ist. Rumänien spielt sicherheitspolitisch eine größere Rolle, als sein Selbstbild vermuten lässt: Grenzland zu einem Krieg, logistisches Drehkreuz für westliche Unterstützung, Standort für NATO-Strukturen. Dass die politische Führung in solch einem Moment die Prüfung eines Lebenslaufs den Instinkten einer Parteizentrale überlässt, ist ein Problem – für Rumänien, für die Region, für Europa. Denn die Frage, die sich aus der Affäre ergibt, ist nicht, wie ein einzelner Minister zu seinem Titel kam. Die Frage ist, warum niemand früher danach fragte. Wer in einem Ministerium sitzt, das über Krieg und Frieden zu entscheiden hat, sollte sich darauf verlassen können, dass seine Kollegen – und Vorgesetzten – das Handwerk verstehen, das ihnen anvertraut wurde. Diese Selbstverständlichkeit ist in Rumänien längst zur Ausnahme geworden. Das Gleiche gilt für andere Ressorts. Nicht nur die USR, auch die großen Parteien verfügen kaum über belastbare Kader. Die umgekehrte Elitenselektion funktioniert systemisch – und sie funktioniert inzwischen geradezu reibungslos. Das eigentlich Tragische ist, dass sie immer „besser“ funktioniert. Schaut man zurück, zieht sie sich wie ein roter Faden durch die jüngere Geschichte: beginnend spätestens Ende der sechziger Jahre, als Nicolae Ceaușescu die wenigen halbwegs kompetenten Politiker, die Gheorghiu-Dej vor seinem Tod um sich gesammelt hatte, durch Gefolgsleute ersetzte – ein Muster, das in variierter Form jede nachfolgende Phase geprägt hat. Allein die Aufzählung dieser Gestalten würde Seiten einnehmen. Jetzt sind wir bei Moșteanu gelandet. Er ist nicht der erste – und wird nicht der letzte sein.

Rumänien ist in den vergangenen Jahren materiell reicher geworden, politisch aber nicht stabiler. Die Fähigkeit des Staates, seine eigenen Möglichkeiten zu nutzen, wird zunehmend von den gleichen Kräften behindert, die Moșteanus Karriere ermöglicht haben: dem Mut zur Improvisation, der Toleranz für das Halbseidene, der Bequemlichkeit gegenüber dem Ungeprüften. Wer die öffentlichen Debatten im Land verfolgt, spürt, dass diese Diagnose längst im kollektiven Bewusstsein angekommen ist. Man kennt die Muster: Parteisoldaten mit fragwürdigen Diplomen, Verwaltungsapparate mit zu vielen Titelträgern und zu wenigen Experten, politische Kader, die schneller im Amt sind, als ihre Qualifikation zu verifizieren wäre. Der Fall Moșteanu hat das nicht erzeugt – er hat es nur beleuchtet. Dabei ist das Land auf dem Weg, ein moderner europäischer Staat zu werden, und hat in den vergangenen Jahren vieles nachgeholt, was Europa lange erwartet hat: Wachstum, Offenheit, eine neue Generation politischer Akteure. Doch indem sie ihre Eliten nicht nach Kompetenz auswählt, sondern nach Opportunität, beraubt sich die rumänische Gesellschaft der eigenen Zukunft.

Der Fall Moșteanu ist keine Episode, sondern eine Erzählung über die fragile Grammatik rumänischer Politik. Solange eine Partei wie die USR glaubt, moralische Prinzipien durch Rhetorik statt durch institutionelle Transparenz verteidigen zu können – und solange die großen Parteien dieselben Fehler begehen –, wird das Land seine wichtigste Ressource verspielen: Vertrauen.

Politik ist kein Narrativ, sondern eine Praxis. Es reicht nicht, europäisch zu klingen – man muss europäisch handeln. Rumänien wird erst dann ein wirklich verlässliches Mitglied der europäischen Familie sein, wenn seine Elite nicht länger aus Zufällen, Loyalitäten und schlecht geprüften Papieren besteht, sondern aus Menschen, deren Biografien belastbar sind. Ein Verteidigungsminister ohne Fundament war ein Warnsignal. Die Frage ist, ob jemand bereit ist, es zu hören. Die vorherigen Warnsignale hat man allzu oft überhört – dieses sollte man sich nicht noch einmal leisten.