Der richtige Lebenszug

Zwei Reisende saßen an einem kalten Wintertag in einem Abteil eines Eisenbahnwaggons. Bei jeder Haltestelle eilte der eine Mann an die Waggontür und kehrte enttäuscht zurück. Der andere Reisende fragte ihn besorgt: „Kennen Sie Ihr Reiseziel nicht, weil Sie an jeder Haltestelle den Namen der Station lesen?“ Der andere erklärte: „Ich fürchte, dass ich im falschen Zug fahre, weil die Haltestationen mir alle fremd sind.“ „Dann steigen Sie bei der nächsten Station doch aus,“ riet ihm der Mitreisende, „denn, wenn Sie weiter im falschen Zug fahren, entfernen Sie sich noch mehr von Ihrem Reiseziel.“ Der Mann erwiderte: „Bei dieser Winterkälte ist es doch sinnlos, den warmen Zug zu verlassen. Ich bleibe doch lieber in der Wärme dieses Abteils als draußen in der Kälte zu frieren!“ 

Diesem sonderbaren Mann gleichen viele unserer Zeitgenossen. Sie haben auf ihrer Lebensreise den falschen Zug bestiegen, der sie mit jedem Tag von ihrem Lebensreiseziel, das nur Gottes ewiges Reich sein kann, immer weiter entfernt. Sie haben den „Zug des Lebensgenusses“ gewählt, weil sie die Wärme der sinnlichen Freuden genießen wollen. Die kühle Luft der Selbstbeherrschung und des sinnlichen Verzichtes behagt ihnen nicht. Wohl merken sie, dass ihre Lebensreise in die falsche Richtung geht, aber die Wärme der Sinnesfreuden hält sie davon ab, diesen Zug zu verlassen. Was wird die Folge sein? Wenn sie bis an ihr Lebensende den Zug mit der sündigen Wärme nicht verlassen, dann führt dieser sie, laut Dantes „Divina comedia“ an das Tor des „Inferno“ auf dem geschrieben steht: „Ihr alle, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren!“ 

Christus mahnt uns im Markusevangelium (13,33): „Seht euch vor und bleibt wach!“ Prüfen wir, ob wir im richtigen Lebenszug fahren. Wir fahren dann im falschen Zug, wenn wir unser Leben mit dieser sorglosen Gesinnung gestalten, vor der uns schon der Prophet Jesaja warnt (22,13): „Was sehe ich? Rindertöten und Schafeschlachten, Fleischessen und Weintrinken, und ihr sagt: ‚Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!‘“ Die gleiche Warnung spricht auch der Apostel Paulus aus. Dringt sie in unser Herz ein?

Viele Leute gleichen dem Soldaten des Diadochenkönigs Antigonos (384-306 v. Ch.). Dieser Soldat litt an einer sehr schmerzlichen Krankheit, die nach aller Wahrscheinlichkeit zu einem frühen Tode führen musste. So stürzte sich dieser Mann im Gedanken, dass er doch nicht mehr lange zu leben habe, mit Todesverachtung stets in das dichteste Schlachtgetümmel. Antigonos, der solche Tapferkeit zu schätzen wusste, wollte den Krieger besonders belohnen. Als er aber von dem schweren Leiden des Soldaten erfuhr, übergab er ihn einem seiner tüchtigsten Ärzte zur Heilung. Die Kur gelang über Erwarten gut. Der Soldat wurde wieder völlig hergestellt. Aber von da an war er nicht mehr in den vordersten Reihen der Kämpfer zu sehen. Die Lust, sich für seinen Herrn und Wohltäter in Gefahren zu stürzen, war vorbei. Sie wich der Freude am Wohlleben. 

Gleichen nicht viele unser oft mehr leidigen als lieben Mitmenschen diesem Soldaten des Diadochenkönigs? Bei Krankheit und schwerem Leid steigen sie in den „Gotteszug“. Er soll sie zum Kurort führen. Werden sie dort gesund, steigen sie schnell wieder in den „Zug der reinen Sinnenfreuden“. Sie wollen nachholen, was sie in der Leidenszeit „versäumt“ haben.  Ob sie aber in der Zukunft noch einmal die Gelegenheit haben, den Lebenszug zu wechseln? Man kann den „Herrn des Heilzuges“ nicht überspielen, man kann sich nur selbst betrügen.

Nehmen wir uns folgende Weisheit zu Herzen: Ein Geistesmann fragte einen erfolgreichen Manager: „Was ist dir lieber? Die Sünde oder das Geld?“ Der gewiefte Geschäftsmann sagte prompt: „Natürlich ist das Geld mir lieber!“ Darauf fragte der Weise: „Warum nimmst du dann die Sünde mit dir ins Jenseits und lässt das Geld hier zurück?“ Diese Frage ist auch auf uns alle gemünzt. Geld, Hab und Gut und die Sinnenfreuden können wir nicht in die kommende Welt mitnehmen, die Sünden aber ja. Wir nehmen sie mit. Verlassen wir den Unheilszug, der uns in die Gottesferne führt, besteigen wir gläubig-mutig den Lebenszug, der uns zum ewigen Heil führt! Es ist der richtige Lebenszug!