Die Malerei als großes Spiel

ADZ-Gespräch mit Andreea Foanene, der Kuratorin der Retrospektivausstellung von Romul Nuțiu

Kuratorin Andreea Foanene führt durch die Retrospektivausstellung von Romul Nu]iu. Sie hatte den Meister für einige Jahre als Lehrer an der Kunsthochschule in Temeswar. Foto: AndradaPecican / KunstmuseumTemeswar

Er ist der wohl wichtigste Vertreter des abstrakten Expressionismus in Rumänien: Romul Nuțiu, der aus Bilbor im Kreis Harghita stammt, lebte und wirkte von 1957 bis zu seinem Lebensende in Temeswar/Timi{oara. Ihm ist die Retrospektivausstellung „Das Spiel mit dem Zufall“ gewidmet, die noch bis mindestens Mitte August im Temeswarer Kunstmuseum zu sehen ist. Mehr als 120 Werke in verschiedenen Techniken sowie jede Menge Dokumentationsmaterial – Fotografien, Multimedia-Materialien, Kataloge, Broschüren und Autorentexte – können in der Ausstellung bewundert werden. Kuratorin Andreea Foanene, die gemeinsam mit der Tochter des Künstlers, Simona Nu]iu-Gradoux, für die Ausstellung zuständig ist, erklärt in folgendem Gespräch unter anderen, welche die große Bedeutung Romul Nu]ius als Künstler ist. Die Fragen stellte ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu. 

Wie ist die Idee zu dieser Ausstellung entstanden?

Die Idee zur Ausstellung wurde durch die Persönlichkeit und das Werk von Romul Nu]iu inspiriert. Er ist ein Künstler, der sein ganzes Leben dem Schaffen und Temeswar gewidmet hat. Er lebte und schuf in hier bis zu seinem Lebensende 2012. Für uns als Museum ist dieses Jahr, das der Kultur gewidmet ist, sehr wichtig in dem Sinne, dass wir an vorderster Front stehen und Ausstellungen und Großprojekte organisieren müssen.

In dieser Kategorie möchte ich die Retrospektivausstellungen erwähnen, die Victor Brauner und Constantin Brâncu{i gewidmet sind, Künstlern, die in Rumänien geboren wurden und eine internationale Karriere gemacht haben. Zu dieser Kategorie gehört auch die Retrospektive von Paul Neagu. Neben diesen großen Ausstellungen hatten wir als Museum auch die Absicht, eine Reihe von Künstlern vorzustellen, die in Rumänien geboren wurden und international Karriere gemacht haben, aber hier geblieben sind und eine strukturelle Beziehung zu Temeswar haben. Romul Nuțiu gehört zu dieser Kategorie, da er hier lebte, sein Atelier hier hatte, an der Kunsthochschule in Temeswar unterrichtete und somit eine intensive Lehrtätigkeit ausübte. Sein Leben ist untrennbar mit Temeswar verbunden, denn er ist in vielen öffentlichen und privaten Sammlungen in dieser Stadt, aber auch in Rumänien und in der Welt vertreten.

Dieser Moment ist sehr wichtig für ihn, denn es ist der Moment, in dem er als Künstler von außen nach innen gesehen und wahrgenommen wird, in dem Sinne, dass es Kunsttheoretiker gibt, wie die Chanel-Kuratorin für die National Portrait Gallery in London, Flavia Frigeri, die zur Ausstellungseröffnung gekommen ist und die einen sehr schönen Text in der Ausstellung hat. Eine weitere wichtige Theoretikerin ist Helen Harrison, die Direktorin und Kuratorin des Pollock-Krasner House and Study Center in East Hampton, New York. Eine führende Theoretikerin also, die den Grenzbereichen des abstrakten Expressionismus jetzt mehr Aufmerksamkeit schenkt. Das ist sehr wichtig für einen Künstler aus Rumänien, der während des kommunistischen Regimes, als die meisten Künstler den Kriterien des sozialistischen Realismus als offiziellem Stil jenseits des Eisernen Vorhangs im kommunistischen Rumänien folgten, abstrakt malte und sich durch den Stil und die Themen, die er in seiner Kunst anwandte, mit der amerikanischen und westeuropäischen Kunst verband.

Alles in allem also eine Reihe von Gründen, warum wir uns entschieden haben, diesen Künstler zu fördern, ihn genauer zu studieren und ihn der Öffentlichkeit in einem Licht zu präsentieren, das einem tieferen Verständnis erforderlich ist, denn er ist ein Mann dieses Ortes und gleichzeitig ein universeller Künstler.

Worauf bezieht sich der Titel der Ausstellung? „Das Spiel mit dem Zufall“: Was bedeutet das?

Das Spiel mit dem Zufall (Jocul cu hazardul – Playing hazard) ist eine Metapher, die sich auf seine bedeutendste Periode des Experimentierens mit den Grenzen der Malerei bezieht. Und diese sehr wichtige Periode fällt, chronologisch gesehen, in die Jahrzehnte 1960-1980, eine Zeit, in der sich in Temeswar diese Strömung der rumänischen Neo-Avantgarde-Kunst entwickelt, zu der Romul Nuțiu als eigenständige Persönlichkeit neben anderen Künstlern gehört. Wir sprechen hier von Künstlern wie Ștefan Bertalan, Roman Cotoșman, Constantin Flondor, Doru Tulcan, Viorel Toma oder Ciprian Radovan. Und was tat Romul Nu]iu in dieser Zeit? Er spielte mit dem Zufall, er testete die Grenzen der Malerei aus, in dem Sinne, dass sein Atelier eine Art Experimentierfeld war, und er näherte sich der Malerei jenseits bestimmter Themen, jenseits der Anforderungen der Sammler oder der Auflagen des politischen Regimes, so dass er die Malerei wie ein großes Spiel betrachtete.

Nu]ius Erkundung der abstrakten expressionistischen Technik hatte mehrere Wurzeln. Eine war das Experiment, das von einer Beobachtung ausging, von einem Spiel, davon, dass er beobachtete, wie sich Industriefarben in einer wässrigen Umgebung zerstreuen und Muster, Inseln und damit eine Art Bewegung der Form erzeugen, die mit den klassischen Werkzeugen der Malerei nicht wiedergegeben werden konnten, wie Pinsel oder Schwämme oder andere traditionelle Werkzeuge, sondern diese Formen, diese Inseln, diese Modelle entstehen und zerstreuen sich und entwickeln sich in Zeit und Raum, nach unbekannten, ungeschriebenen, vom Menschen nicht zu beherrschenden Regeln und nach ihrem eigenen Paradigma.

Und irgendwie ist hier klar, dass der Zufall eingreift, dass der Zufall etwas mehr eingreift als das Urteilsvermögen des Künstlers. Warum haben wir die Ausstellung „Das Spiel mit dem Zufall“ benannt? Weil Nu]iu aus diesem spielerischen Dialog mit den unkontrollierbaren Kräften der Natur einen Stil entwickelte, in dem Sinne, dass er, nachdem er diese Bewegung der Industriefarben in der wässrigen Umgebung beobachtet hat, in seinem Atelier einen Bottich baut, in den er Wasser einfüllt, industrielle Farben und diesen völlig unkontrollierbaren chromatischen Kontext schafft, dem er folgt und in den er seine Leinwände oder Objekte einführt, die er mit einer sehr gut koordinierten und gut geplanten technischen Antizipation vorbereitet hat. Er führt sie in dieses Farbbad in dem Moment ein, in dem er denkt, dass er die Oberfläche, die das Kunstwerk werden wird, fixieren will. Er fixiert sozusagen die Früchte dieses Risikos und dies ist in gewisser Weise ein Spiel, aber auch eine Annahme.

Nachdem er die Objekte oder Leinwände aus diesem Farbbad herausgeholt hat, interagiert er mit ihnen, denn er behält nicht alles so, wie es sich aus diesem chromatischen Experiment ergibt, sondern greift mit dünneren oder energischeren Strichen, mit chromatischen Änderungen oder mit allen Arten von ihm eigenen Ausdrucksweisen ein, aber das meiste bleibt ein Zeichen des Zufalls der Natur, mit dem er als Meister spielt. Er steht in gewisser Weise über dem Zufall, und genau aus diesem phänomenologischen Verständnis der Art und Weise, wie er seine Kunstwerke zusammenstellt, haben wir den Titel der Ausstellung formuliert.

Bei der Vernissage wurde erwähnt, dass Romul Nuțiu auch Ihr Lehrer gewesen ist. Wie war er als Lehrer? Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Ja, bei der Eröffnung waren viele ehemalige Studenten, Lehrlinge oder Leute, die eine pädagogische Verbindung zu Romul Nu]iu hatten. Zu diesen Menschen gehöre auch ich, denn er war vier Jahre lang mein Lehrer und wir waren sieben oder acht Jahre lang befreundet.

Ich kann persönlich sagen, dass ich Romul Nu]iubewusst als Lehrer gewählt habe. Ich habe nämlich das Kunstgymnasium in Hermannstadt/Sibiu abgeschlossen und die meisten Absolventen gehen dann an die Kunstfakultät nach Klausenburg/Cluj-Napoca.

Für mich war es strukturell sehr wichtig, dass meine Lehrer mir in dem pädagogischen Prozess, der stattfinden sollte, ein großes Maß an Freiheit ermöglichen. Aus diesem Grund habe ich mich, bevor ich an die Universität ging, ein wenig mit dem Profil der Lehrer beschäftigt, die mein Leben prägen sollten. 

Und ich habe mich für Romul Nuțiu entschieden, weil ich seine künstlerische Arbeit mochte und weil ich herausgefunden habe, dass die Art und Weise, wie er über seine Kunstwerke denkt, sowie die Art und Weise, wie er sich zu seinem eigenen Schaffen verhält, auch charakteristisch für seine pädagogische Herangehensweise ist. 

Schon damals wusste ich, dass er viele ehemalige Studenten hatte, die sehr gute Künstler geworden waren. Auch, dass er ein Lehrer-Künstler ist, der den Künstler neben sich respektiert und die Freiheit des zerbrechlichen Menschen, des jungen Menschen, des Menschen, der kommt, um etwas zu lernen, aber der sich in einer Phase seines Lebens befindet, in der es wichtig ist, seine Besonderheit und seine einzigartige Art, zu sein und die Welt zu verstehen, respektiert. 

Für mich persönlich waren diese Dinge sehr wichtig, denn die Kunsterziehung unterscheidet sich von anderen Arten der Bildung. Neben dem wichtigen und notwendigen Wissen über Kunst gibt der Lehrer auch noch etwas anderes an die jungen Menschen neben ihm weiter: Er vermittelt ihnen Manifestationen von Freiheitsgraden und er vermittelt ihnen auch Möglichkeiten von Stufen in ihrem Werden als Künstler, als Profi. Er vermittelt ihnen auch eine gewisse Leidenschaft für den Bereich, in dem sie später arbeiten werden. All diese Dinge sind nicht quantifizierbar, aber sie sind sehr wichtig für die Entwicklung eines jungen Künstlers. Und aus diesen Gründen habe ich Romul Nuțiu als meinen Lehrer gewählt.

Und war er tatsächlich so, wie Sie es erwartet hatten?

Ja, es war so, wie ich es erwartet hatte, und er war sogar noch viel mehr als das. Was meine Erinnerungen an ihn angeht, so kann ich sagen, dass er ein Künstler, ein Mann, ein Lehrer war, der sich seines Wertes sehr bewusst war und der es verstand, uns jungen Künstlern unsere kreativen Fähigkeiten bewusst zu machen. Er war ein Mann, der sehr auf Details achtete und der es verstand, uns anzuleiten, nicht an die scheinbar unbedeutenden Ereignisse in unserem Leben und in unserem Schaffen zu denken, denn manchmal liegen in den Details oder in den kleinen Dingen die Anfänge von Wegen, von kreativen Reisen, die durch evolutionäre Systeme und den Übergang von einem Stil zum anderen, von einer Art des Verständnisses zu einem viel offeneren, stärkeren, umfassenderen, kreativeren Bewusstsein vollendet werden können.

Ich kann sagen, dass er auch ein sehr fleißiger Mann war und die Vormittage liebte. Er kam in das Atelier 206, wo ich vier Jahre lang Malerei studierte, immer sehr früh, so gegen 7:30 oder 8 Uhr. Irgendwie waren diese frühen Morgenstunden auch für mich eine Freude. Wir tranken oft einen Kaffee am Morgen und sprachen über die Entwürfe, die wir in den letzten Stunden geschaffen hatten, über das, was wir gelesen hatten, über viele Dinge.

Wer sollte sich diese Ausstellung ansehen?

Jeder, denn die Ausstellung bietet so viel! Sie ist für Eingeweihte und Uneingeweihte gleicherma-ßen geeignet. Sie ist für Kenner und für Menschen, die einfach nur die Malerei genießen wollen, ohne etwas darüber zu wissen. Sie ist für Kinder, denn wer kann die Freude oder das Licht in einem Gemälde besser verstehen als ein Kind oder ein Mensch, der sich sein inneres Kind bewahrt hat.

In jedem Alter sind seine Bilder eine Offenbarung. Man kann die Ausstellung besuchen, um allein den Dialog mit dem Werk des Künstlers zu genießen, oder man kann mit Freunden, Nachbarn oder Arbeitskollegen kommen und über die Bilder diskutieren. Natürlich würde ich mich freuen, wenn Presseleute, Kunsttheoretiker und Kulturschaffende die Ausstellung besuchen und dazu etwas veröffentlichen, denn das bedeutet, dass die Botschaften der Ausstellung ein immer breiteres Publikum erreichen, das sonst vielleicht keinen Fuß auf die Schwelle eines Museums gesetzt hätte. Im Großen und Ganzen ist ein Museum kein Mausoleum, sondern ein öffentlicher Raum, ein Raum des Wissens, der Freude, des Verständnisses, der zwischenmenschlichen Beziehungen und des Werdens.