Die praktische Kakerlake

Jedesmal, wenn wir in der Stadtwohnung im achten Stock abends bei Kerzenschein auf der Dachterasse sitzen, kommt mein taktischer Kampfjoghurtbecher zum Einsatz. Schnell an die Wand gestülpt, da, wo zuvor ein schwarzer Schatten war, dann kräftig geschüttelt, damit der Bordkompass der eingefangenen Kakerlake so richtig durcheinandergerät – und ab damit, in hohem Bogen über die Brüstung.

Zufrieden berechne ich mit dem Taschenrechner die Fallgeschwindigkeit und stelle mir vor, wie sie unten am Asfalt aufplatscht wie eine reife Tomate. Leider hört man den Aufprall nicht bis in den achten Stock. So geht dies etwa drei- viermal pro Abend.

Es hätte mir vielleicht zu denken geben sollen... dass, erstens, am nächsten Morgen nie tote Kakerlaken am Gehsteig liegen, und zweitens der zeitliche Abstand zwischen dem Freiflug der ersten und dem Auftauchen der zweiten, dritten und vierten Kakerlake über der Brüstung immer ziemlich derselbe ist.

Kakerlaken sind Wunder der Natur, belehrte mich kürzlich unsere Chefredakteurin. Sie sollen die einzigen Wesen sein, die Atomkrieg, Eiszeit, Erdbeben, Sintflut, Dürre und Hitze, kosmische Kataklysmen und das Ende des Maya Kalenders überleben. Ihr Chitinpanzer schützt sie vor Strahlung, Fußtritten, Austrocknung und...dem Aufprall aus dem achten Stock. Eine Kakerlake ist so einfach konstruiert, dass sie gar nicht kaputt gehen kann!

Das Programm des Exemplars, das meinen nächtlichen Jagdinstinkt beflügelt, lautet wohl nur: HOCHKLETTERN. Egal, was ihr widerfährt, sie krabbelt unermüdlich an der Außenwand des Blocks nach oben, bis es nicht mehr weiter geht – entweder, weil der Block dort zuende ist oder der Joghurtbecher zum Einsatz kommt.

Vielleicht sollte man ihr einen Pinsel an den Hinterleib binden, damit sie, ganz nebenbei, die hässliche Hauswand streicht? Dann müsste man das Tier vor dem Abwurf nur schnell in die gewünschte Farbe tunken, und irgendwann, nach 3667981241 Tagen, erstrahlt der graue Block in neuem Glanz. Oder aber man modifiziert das Programm derjenigen Exemplare, die nachts durch die Wohnung laufen: so könnten sie zum Beispiel Brotkrümel, Flusen und Staubkörnchen aufsammeln und zum Mülleimer tragen! Eine Nacht in die Küche gesperrt, und sie erstrahlt in neuem Glanz. Wenn man am Bauch des robusten Tierchens noch einen einfachen Mechanismus mit einem rotierenden Schwamm anbrächte, dann wäre es sogar zum Badewanne schrubben und Kloputzen einsetzbar.

Ein winziger Mikrochip im Rückenmark - und schon wird der einst verhasste Schädling zum liebenswerten Haushaltshelfer! Dann freuen wir uns über eine Wohnung voller Kakerlaken, denn die ist von nun an wenigstens immer blitzsauber...